Lediglich 5 Prozent der Beschäftigten schätzen ihre Arbeitsmarktperspektiven für das laufende und nächste Jahr pessimistisch ein. Die Betroffenen fürchten vor allem, dass ihre Tätigkeit künftig nicht mehr gebraucht wird.
Wer zählt sich zu den Verlierern am Arbeitsmarkt?
Institut der deutschen Wirtschaft (IW)
Lediglich 5 Prozent der Beschäftigten schätzen ihre Arbeitsmarktperspektiven für das laufende und nächste Jahr pessimistisch ein. Die Betroffenen fürchten vor allem, dass ihre Tätigkeit künftig nicht mehr gebraucht wird.
Die schwächer werdende Konjunktur macht sich zunehmend auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar. Die Auswirkungen auf die Entwicklung der Erwerbstätigkeit erscheinen noch moderat (Grömling/Seele, 2024). Im Jahresdurchschnitt 2024 könnte es sogar einen leichten Zuwachs geben. Hinsichtlich der Entwicklung der Arbeitslosigkeit zeigen sich indes stärkere Auswirkungen. Für das laufende Jahr 2024 wird in der Mehrzahl der Prognosen ein – mit 70.000 bis 120.000 allerdings nicht allzu großer – Zuwachs der Arbeitslosigkeit erwartet (z.B. SVR, 2024; Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose, 2024; IW-Kooperationscluster Makroökonomie und Konjunktur, 2024).
Derzeit gibt es noch keine Anzeichen für einen deutlichen Anstieg der Entlassungen. So steigt die Anzahl der Zugänge in Arbeitslosigkeit aus Erwerbstätigkeit am ersten Arbeitsmarkt zwar an, liegt aber immer noch unter dem Niveau, das vor der Covid-Pandemie zu beobachten war. Dessen ungeachtet wird angesichts einer sinkenden Einstellungsbereitschaft der Betriebe und einer fortgesetzt hohen Nettozuwanderung der (Wieder-)Einstieg in den Arbeitsmarkt schwerer werden. Vor diesem Hintergrund ist von Interesse, wer sich am ehesten von der verschlechterten Ausgangslage bedroht sieht. Dies könnte unter anderem Hinweise darauf liefern, mit welchen arbeitsmarktpolitischen Instrumenten der Entwicklung begegnet werden könnte.
Um eine Antwort auf die Frage zu finden, welche Merkmale Menschen aufweisen, die sich von der Arbeitsmarktlage aktuell bedroht sehen, werden nachfolgend Daten der IW-Beschäftigtenbefragung 2024 ausgewertet. Darin wurden im April 2024 5.060 sozialversicherungspflichtig oder geringfügig Beschäftigte zu verschiedenen Aspekten ihrer Erwerbstätigkeit repräsentativ befragt. Eine Frage lautete, ob es die Befragten als wahrscheinlich ansehen, dass sie in den nächsten beiden Jahren den Arbeitsplatz verlieren. Eine andere Frage lautete, ob es ihnen im Falle des Arbeitsplatzverlustes leichtfallen würde, eine gleichwertige neue Stelle zu finden. Aus den Antworten auf diese Fragen (trifft zu/trifft nicht zu) werden die Befragten in drei Gruppen geteilt:
1. Optimisten: Beschäftigte, die keinen Verlust des Arbeitsplatzes befürchten (85 Prozent)
2. Wechsler: Beschäftigte, die den Verlust des Arbeitsplatzes befürchten, aber glauben, leicht eine gleichwertige neue Stelle finden zu können (9 Prozent)
3. Pessimisten: Beschäftigte, die den Verlust des Arbeitsplatzes befürchten und nicht glauben, leicht eine gleichwertige neue Stelle zu finden (5 Prozent)
Eine These wäre, dass sich vorrangig Ältere bedroht fühlen, die Sorgen haben, dass sie mit der Implementierung neuer Technologien im Zuge von Digitalisierung oder Dekarbonisierung nicht zurechtkommen und daher auch ihre Chancen auf Wiederbeschäftigung schlecht einschätzen. Diese These kann mit den vorliegenden Daten nicht eindeutig verifiziert werden. Überproportional häufig befürchten eher Jüngere den Verlust ihres Arbeitsplatzes. Ältere hingegen sind häufiger der Meinung, dass es ihnen nicht leichtfallen würde, eine neue Stelle zu finden. Die Befürchtungen entsprechen den tatsächlichen Gegebenheiten: Ältere werden seltener arbeitslos als Jüngere, finden aber schwerer eine neue Arbeit, wenn Arbeitslosigkeit eingetreten ist (Statistik der Bundesagentur für Arbeit, 2024). Insgesamt gleichen sich beide Faktoren in etwa aus: In der Problemgruppe der Fälle, die einen Arbeitsplatzverlust befürchten und glauben, keine neue Stelle finden zu können, sind die Altersgruppen nahezu gleich verteilt (Grafik).
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Die Gruppe der Pessimisten ist durch ein unterdurchschnittliches Qualifikationsniveau gekennzeichnet: 29 Prozent von ihnen verfügen über keine abgeschlossene Berufsausbildung, während 12 Prozent einen Hochschulabschluss haben. Unter den Beschäftigten, die keinen Verlust des Arbeitsplatzes fürchten, sind hingegen nur 15 Prozent Geringqualifizierte, aber 20 Prozent Akademiker. Dennoch wäre es voreilig, Beschäftigten in der Problemgruppe eine zunehmende Überforderung am Arbeitsplatz zu unterstellen. Denn nur 35 Prozent von ihnen sind der Meinung, dass die Anforderungen an Fähigkeiten und Kompetenzen gestiegen seien, während dies 49 Prozent der Beschäftigten bejahen, die keine Sorgen um ihren Arbeitsplatz haben. In die gleiche Richtung deutet der Befund, dass der Anteil der Beschäftigten, die eine zunehmende Anzahl von Aufgaben zu erledigen haben, unter den Pessimisten nicht höher ist als bei anderen. Der Anteil der Befragten, die zunehmend Neues lernen müssen, um ihre Aufgaben weiterhin ausüben zu können, liegt unter den Pessimisten sogar niedriger als unter den Optimisten.
Demgegenüber glauben 61 Prozent der Pessimisten, dass ihre beruflichen Kenntnisse wegen des technischen Fortschritts an Wert verlieren werden. Unter den Optimisten glauben dies nur 19 Prozent. Die Pessimisten befürchten also nicht, in ihrem Job überfordert zu werden – sie fürchten vielmehr, dass ihr Job und ihre beruflichen Kenntnisse als Ganzes überflüssig werden. Dafür spricht auch, dass die Pessimisten die wirtschaftliche Lage ihres Unternehmens deutlich schlechter einschätzen als andere Beschäftigte. Der Anteil der Befragten, die einen Wertverlust ihrer beruflichen Kenntnisse befürchten, ist unter den Wechslern mit 73 Prozent sogar noch größer als unter den Pessimisten. Für ihre optimistischere Beurteilung der Chancen auf Wiederbeschäftigung sind demnach andere Faktoren ausschlaggebend.
Die Arbeitsplatzsorgen sind nicht allein eine Frage der beruflichen Spezialisierung. Unterschiede liegen darüber hinaus in betriebs- und arbeitsplatzbezogenen Merkmalen. Beschäftigte, die ihre Arbeitsmarktperspektiven pessimistisch einschätzen, arbeiten überdurchschnittlich häufig Teilzeit und im Minijob. Nur 59 Prozent der Pessimisten sind vollzeitbeschäftigt, aber 72 Prozent der Optimisten. Unter den Wechslern sind es sogar 74 Prozent.
Beschäftigte, die pessimistisch hinsichtlich ihrer künftigen Arbeitsmarktchancen sind, berichten häufiger als die Optimisten, dass Entscheidungsspielräume zur Gestaltung ihrer Arbeit in den letzten beiden Jahren abgenommen haben. Gleiches gilt für die Möglichkeiten, Ideen und Kreativität einzubringen. Die Wechsler liegen in dieser Hinsicht zwischen Optimisten und Pessimisten in der Mitte. Insofern könnte die Befürchtung eines dauerhaften Arbeitsplatzverlustes mit einem zunehmenden Routinecharakter der Tätigkeit einhergehen. Arbeitnehmer könnten zu dem Schluss kommen, dass ihre Tätigkeit mit zunehmender Wahrscheinlichkeit automatisiert werden könnte.
Die Sorge, dass mit dem technischen Fortschritt eigene berufliche Kenntnisse entwertet werden, erscheint nachvollziehbar und begründet. Die Beispiele, bei denen selbst komplexe bisher von Menschen bewältigte Aufgaben durch Künstliche Intelligenz und Automatisierung ersetzt werden, sind zahlreich. Weniger eindeutig sind hingegen die Konsequenzen für die Entwicklung von Tätigkeiten. Eine Tätigkeit besteht aus verschiedenen Aufgaben, die ein jeweils unterschiedliches Potenzial der Ersetzung durch moderne Technologien aufweisen. Dass einige dieser Aufgaben automatisiert werden, führt nicht zwingend dazu, dass die komplette Tätigkeit ersetzt wird. Vielmehr ist zu erwarten, dass sich der Charakter der Tätigkeit wandelt, indem nicht automatisierbare Aufgaben ein größeres Gewicht bei der Ausübung der Tätigkeit erhalten. Hinzu kommt, dass durch neue Technologien auch neue Tätigkeiten entstehen (Grienberger et al., 2024). In der Konsequenz könnte sich die Befürchtung schlechter Arbeitsmarktperspektiven als unbegründet erweisen. So lässt sich bislang nicht belegen, dass Beschäftigte in leicht automatisierbaren Tätigkeiten häufiger von einem Arbeitsplatzverlust betroffen sind (Seele/Stettes, 2023).
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