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Holger Schäfer IW-Kurzbericht Nr. 79 4. Dezember 2019 Crowdwork und Plattformarbeit in Deutschland

Es wird häufig davon ausgegangen, dass die Organisation von Arbeit über Online-Plattformen an Bedeutung gewinnt. Nicht zuletzt deshalb wird verbreitet eine stärkere Regulierung dieser Erwerbsform vorgeschlagen. Tatsächlich liegen über die Verbreitung von Crowdwork nur wenig belastbare empirische Erkenntnisse vor. Da Belege für eine mehr als marginale Bedeutung oder soziale Probleme ausstehen, wäre ein Handeln des Gesetzgebers in dieser Frage voreilig.

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Crowdwork und Plattformarbeit in Deutschland
Holger Schäfer IW-Kurzbericht Nr. 79 4. Dezember 2019

Crowdwork und Plattformarbeit in Deutschland

IW-Kurzbericht

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Es wird häufig davon ausgegangen, dass die Organisation von Arbeit über Online-Plattformen an Bedeutung gewinnt. Nicht zuletzt deshalb wird verbreitet eine stärkere Regulierung dieser Erwerbsform vorgeschlagen. Tatsächlich liegen über die Verbreitung von Crowdwork nur wenig belastbare empirische Erkenntnisse vor. Da Belege für eine mehr als marginale Bedeutung oder soziale Probleme ausstehen, wäre ein Handeln des Gesetzgebers in dieser Frage voreilig.

Crowdwork und Plattformarbeit sind vergleichsweise neue Formen der Erwerbsarbeit. Im Grundsatz geht es um Tätigkeiten, für deren Beauftragung eine Online-Plattform genutzt wird. Sofern auch die Tätigkeit selbst online erfolgt, kann man von Crowdwork im eigentlichen Sinne sprechen. Ein solches Arrangement ist typisch für IT-nahe Tätigkeiten wie Softwareentwicklung, Erstellen und Lektorieren von Texten oder Bilderkennung. Sofern die Tätigkeit nicht online erfolgt, wird mitunter auch von Plattformarbeit gesprochen. Typische Fälle sind Uber-Fahrer oder Lieferanten von Essen. Im Folgenden wird der Begriff Crowdwork für beide Erwerbsformen verwendet.

Ungeachtet der wenigen Erfahrungen, die mit diesen neuen Erwerbsformen vorliegen, wird deren Regulierung gefordert. Diese betreffen unter anderem Mindestarbeitsbedingungen, die Feststellung des Arbeitnehmer- bzw. Selbstständigenstatus, Fragen der Mitbestimmung und der sozialen Sicherheit. Ziel der Regulierung ist nicht nur die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Erwerbstätigen, sondern explizit auch die Verhinderung der Ausbreitung vermeintlich prekärer Erwerbsformen. Konkrete Forderungen sind zum Beispiel die gesetzliche Festlegung von Mindesthonoraren und die Ausweitung des Arbeitnehmerbegriffs. Begründet werden die Forderungen unter anderem damit, dass den neuen Erwerbsformen zunehmende Bedeutung zukomme (Greef/Schroeder, 2017).

Vor diesem Hintergrund erlangt die empirisch nachweisbare Inzidenz von Crowdwork Bedeutung in der Debatte um die Gestaltung der Rahmenbedingungen. Bemerkenswert ist dabei, dass belastbare empirische Erkenntnisse gegenwärtig in nur geringem Maß vorliegen. Die Empirie stützt sich im Wesentlichen auf Befunde von eigens durchgeführten Personenbefragungen. In jüngerer Zeit sind drei Studien mit einer eigenständigen Empirie vorgelegt worden:

  • Die Untersuchung von Bonin/Rinne (2017) basiert auf einer repräsentativen Befragung von 10.000 Personen im Alter von 18 Jahren und älter. Diese wurden befragt, ob sie Arbeitsaufträge erledigen, die sie über das Internet oder eine App akquiriert haben. Dies bejahen 2,9 Prozent der Befragten. Die Auswertung zeigte jedoch, dass die unpräzise Fragestellung die Anzahl der solchermaßen ermittelten Crowdworker stark überzeichnet. So waren unter den vermeintlichen Crowdworkern etliche, die lediglich Bankgeschäfte über das Internet tätigten, Stellen im Online-Angebot der Bundesagentur für Arbeit suchten oder Dinge bei eBay verkauften. Nach Korrektur um diese Fälle verblieben nur noch 0,85 Prozent der Bevölkerung, die als Crowdworker gelten können. Die Autoren schlussfolgern, dass sich die Verbreitung dieser Erwerbsformen an der Messbarkeitsschwelle bewege.
  • In einer Studie von Pesole et al. (2018) wurden 2.300 Personen im Alter von 16 bis 74 Jahren online befragt, ob sie schon einmal über Plattformen Arbeit angeboten haben. Der Berichtskreis ist zunächst nur repräsentativ für Internetnutzer. Erst nachträglich erfolgt der Versuch, über eine Korrektur mit dem Anteil der Internetnutzer an der Bevölkerung allgemeingültige Aussagen zu treffen. Der solchermaßen ermittelte Anteil der Crowdworker an der Bevölkerung liegt mit 10,4 Prozent mehr als zehnmal so hoch wie in der Untersuchung von Bonin/Rinne (2017). Davon seien 2,5 Prozent Erwerbstätige, für die Crowdwork sogar als Hauptbeschäftigung angesehen werden kann, weil sie mehr als die Hälfte ihres Einkommens damit erzielen. Das entspräche einer Anzahl von knapp 1,6 Millionen Erwerbstätigen. Obwohl Crowdwork im Grundsatz eine selbstständige Erwerbsform ist, stufen sich die meisten als abhängig Beschäftigte ein. Dies inkludiert Personen, die zwar keine andere, größere Einkommensquelle haben, aber dennoch Crowdwork nur im Nebenerwerb ausüben, zum Beispiel Studierende.
  • Serfling (2019) befragte über ein Online-Tool, das in diverse Webseiten eingebunden wird, im Zeitraum Juli 2017 bis Oktober 2018 insgesamt 495.000 Personen, ob sie Arbeiten ausführen, deren Aufträge über Onlineplattformen oder -marktplätze vermittelt wurden. Die Repräsentativität der Stichprobe ist schon hinsichtlich der Internetnutzer zweifelhaft, hinsichtlich der Bevölkerung ist sie nicht gegeben. Zwar erfolgt eine nachträgliche Schichtung mit diversen persönlichen Merkmalen, aber der Autor räumt selbst ein, dass eine Verzerrung wahrscheinlich ist. Vor diesem Hintergrund ist auch die Schätzung der Inzidenz von Crowdwork mit Vorsicht zu behandeln. Der Autor ermittelt je nach betrachtetem Personenkreis einen Anteil von 3,6 bis 4,7 Prozent der Bevölkerung über 15 Jahre. Darunter sind 1,6 Prozent, die Crowdwork als Haupteinkommensquelle haben – auch unter diesen können Studierende ohne andere Haupteinkommensquelle sein.

Offenkundig wird die Inzidenz von Crowdwork bei Online-Befragungen wesentlich höher eingeschätzt als bei konventionellen Befragungen, die in der Regel über das Telefon erfolgen. Das kann kaum verwundern, da Crowdworker definitionsgemäß auch immer – mutmaßlich intensive – Internetnutzer sind. Zwar ist nicht gesagt, dass Telefonnutzer repräsentativer für die Bevölkerung sind als Internetnutzer. Doch eine Auswahlverzerrung kann bereits auf der Ebene der Internetnutzer auftreten: Eine Befragung zum Thema Crowdwork werden überproportional jene beantworten, die bereits Erfahrungen damit gemacht haben.

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Hinsichtlich der demografischen Merkmale der Crowdworker haben die Befragungen hingegen oft konsistente Befunde. Crowdworker sind überdurchschnittlich oft männlich, jung, hochqualifiziert und selbstständig.

Die amtliche Statistik kann zur Verbreitung von Crowdwork nur wenige Erkenntnisse beisteuern. Da Crowdwork im Wesentlichen den Charakter einer selbstständigen Erwerbstätigkeit hat, bietet sich die Betrachtung der Entwicklung der Selbstständigen ohne eigene Mitarbeiter an. Diese wird im Mikrozensus erfasst (Abbildung). Demnach ist der Anteil der Selbstständigen ohne Mitarbeiter seit 1991 zwar gestiegen. Doch der Anstieg geht weitgehend auf einen Niveausprung im Zeitraum 2003 bis 2005 zurück, der durch die Einführung der „Ich-AG“-Förderung im Jahr 2003 verursacht sein dürfte. Die technisch-organisatorischen Voraussetzungen für Crowdwork liegen erst sein einigen Jahren vor. In diesem Zeitraum war aber kein Anstieg, sondern vielmehr ein Rückgang der Anzahl der Solo-Selbstständigen zu beobachten.

Für die grundlegenden Thesen der Befürworter einer Regulierung von Crowdwork – eine nennenswerte und steigende empirische Bedeutung sowie ein erhöhtes Prekaritätspotenzial – fehlt es an belastbarer Evidenz. Es wurden bislang keine Belege vorgebracht, die eine mehr als marginale Bedeutung dieser Erwerbsform nahelegen. Die Evidenz spricht auch nicht für einen hohen Anteil von Crowdworkern mit geringen Entgelten. So verortet Serfling (2019) das mittlere Einkommen bei 30 Euro pro Arbeitsstunde. Nur 25 Prozent verdienen weniger als 20 Euro. Die Frage, ob der bestehende gesetzliche Rahmen ausreicht, um Fehlentwicklungen wirksam zu begegnen, kann mit dem gegenwärtigen Kenntnisstand nicht verneint werden. Der Gesetzgeber sollte sich daher zunächst mit Regulierungen zurückhalten, um nicht die Chancen zu beschneiden, die mit der Herausbildung innovativer Erwerbsformen einhergehen.

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