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Hagen Lesch / Luis Winter IW-Report Nr. 9 2. März 2022 Tarifpolitischer Bericht 2. Halbjahr 2021: Langwierige Verhandlungen

Das Tarifjahr 2021 war durch langwierige Verhandlungen geprägt. Pandemiebedingt wurden einige Konflikte schon 2020 unterbrochen oder ausgesetzt, etwa im Hotel- und Gaststättengewerbe, im Sozial- und Erziehungsdienst oder in der Druckindustrie.

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Langwierige Verhandlungen
Hagen Lesch / Luis Winter IW-Report Nr. 9 2. März 2022

Tarifpolitischer Bericht 2. Halbjahr 2021: Langwierige Verhandlungen

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Das Tarifjahr 2021 war durch langwierige Verhandlungen geprägt. Pandemiebedingt wurden einige Konflikte schon 2020 unterbrochen oder ausgesetzt, etwa im Hotel- und Gaststättengewerbe, im Sozial- und Erziehungsdienst oder in der Druckindustrie.

Aber auch neue, erst im Laufe des Jahres 2021 begonnene Tarifverhandlungen zogen sich hin. Im Einzelhandel dauerten die Verhandlungen 7,6 Monate, in der Metall- und Elektro-Industrie 7,4, im Bauhauptgewerbe 7,0 und im Groß- und Außenhandel 6,9 Monate. Bei den privaten und öffentlichen Banken, wo die Verhandlungen bereits im Juni 2021 starteten, ist keine Einigung in Sicht. Die durchschnittliche Verhandlungsdauer lag 2021 in den 21 Tarifkonflikten aus insgesamt zwanzig Branchen, die im Rahmen des IW-Konfliktmonitorings analysiert wurden, bei 6 Monaten. Im langjährigen Durchschnitt der Jahre 2005 bis 2020 waren es lediglich 4,2 Monate und 2020, im ersten Pandemiejahr, 5,3 Monate.

Gleichzeitig hat die Konfliktbereitschaft in den Tarifverhandlungen spürbar zugenommen. Die Konfliktintensität – sie summiert die in Tarifverhandlungen ergriffenen Eskalationshandlungen (etwa Streikdrohungen, Warnstreiks, Streiks und Aussperrungen, juristische Auseinandersetzungen oder Urabstimmungen) – stieg 2021 im Durchschnitt auf 11,5 Punkte je Tarifkonflikt. Das sind knapp 28 Prozent mehr als im langjährigen Durchschnitt der Jahre 2005 bis 2020 (9 Punkte). Im ersten Pandemiejahr, 2020, summierten sich die Eskalationsstufen im Durchschnitt auf lediglich 2,2 Punkte pro Verhandlung. Im letzten Jahr vor der Pandemie, 2019, waren es 10,3 Punkte. Das rauere Verhandlungsklima drückt sich auch in einer gestiegenen maximalen Eskalationsstufe aus. Diese drückt aus, bis zu welcher Stufe ein Tarifkonflikt eskaliert, wobei die Skala von 1 (Streikdrohung) bis 7 (Arbeitskampf) reicht. Im Jahr 2021 lag die maximale Eskalationsstufe bei 3,2 und damit um 0,7 Prozentpunkte oder um 28 Prozent über dem langjährigen Durchschnitt der Jahre 2005 bis 2020 (2,5). Im Jahr davor hatte sie noch 1,4 betragen.

Die Konfliktverschärfung ist darauf zurückzuführen, dass 2020 die Beschäftigungssicherung im Mittelpunkt der Tarifverhandlungen stand, während im zweiten Jahr der Corona-Pandemie wieder die Lohnentwicklung in den Fokus rückte. Es wurden wieder mehr konkrete Lohnforderungen gestellt, die sich in einer Spanne von 4 bis 5,5 Prozent bewegten. Da die Arbeitgeberverbände nach wie vor unter dem Einfluss einer in vielen Branchen schwierigen und unsicheren Wirtschaftslage verhandelten, wurde es schwieriger, Kompromisse zu finden. Die seit Mitte 2021 anziehende Inflation wirkte sich noch nicht spürbar auf die Tarifabschlüsse aus. Allerdings bewegen sich die im zweiten Halbjahr gestellten Lohnforderungen im oberen Rand des Forderungskorridors. So forderte der Marburger Bund für die Ärzte an kommunalen Klinken 5,5 Prozent mehr und im Öffentlichen Dienst der Länder wurden 5 Prozent, mindestens aber monatlich 150 Euro gefordert.

Durch anhaltende Lieferkettenprobleme und steigende Energiepreise könnte die Teuerungsrate 2022 weiter anziehen. Damit droht eine expansivere Lohnpolitik und als Zweitrundeneffekt dann auch eine Lohn-Preis-Spirale. Die Gewerkschaften haben bereits damit begonnen, einen Inflationsausgleich zu fordern. Bei Eurowings gab es im Januar 2022 einen Abschluss, bei dem die Lohnsteigerungen an die Inflationsentwicklung gekoppelt werden. In der chemischen und pharmazeutischen Industrie strebt die Gewerkschaft ein Entgeltplus oberhalb der Teuerungsrate an und für die ostdeutsche Textilindustrie liegt ebenso wie für die Deutsche Telekom eine Forderungsempfehlung von 6 Prozent vor. Hauptproblem dürfte in den Verhandlungen die Frage sein, wer die Last der steigenden Energiepreise zu tragen hat. Damit droht ein Verteilungskampf. Der mindestlohninduzierte Preisanstieg wird sich allerdings erst 2023 auswirken. In diesem Jahr spielt er im Vergleich zu der drohenden Energiepreisexplosion eine untergeordnete Rolle.

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