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Markus Demary / Tobias Hentze / Björn Kauder / Judith Niehues Gutachten 5. Juli 2021 Die Rolle der Betriebsvermögen in der Vermögensverteilung

Seit Jahren stehen die Verteilung und Konzentration der Vermögen im Zentrum vieler Debatten. Besondere Aufmerksamkeit erlangen die Debatten nicht nur dadurch, dass die Vermögen ungleicher verteilt sind als die Einkommen; sondern mit der Verfügbarkeit länderübergreifender Vermögensdaten der Europäischen Zentralbank ist auch der Befund zutage getreten, dass die Vermögensungleichheit in Deutschland im Vergleich zu den übrigen Euroländern relativ stark ausgeprägt ist.

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Gutachten
Die Rolle der Betriebsvermögen in der Vermögensverteilung
Markus Demary / Tobias Hentze / Björn Kauder / Judith Niehues Gutachten 5. Juli 2021

Die Rolle der Betriebsvermögen in der Vermögensverteilung

Gutachten im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen

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Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Seit Jahren stehen die Verteilung und Konzentration der Vermögen im Zentrum vieler Debatten. Besondere Aufmerksamkeit erlangen die Debatten nicht nur dadurch, dass die Vermögen ungleicher verteilt sind als die Einkommen; sondern mit der Verfügbarkeit länderübergreifender Vermögensdaten der Europäischen Zentralbank ist auch der Befund zutage getreten, dass die Vermögensungleichheit in Deutschland im Vergleich zu den übrigen Euroländern relativ stark ausgeprägt ist.

Ohne Einordnung in den spezifischen Länderkontext lassen sich internationale Vermögensunterschiede jedoch kaum bewerten. Neben sozio-demografischen Merkmalen wie Alters- und Haushaltsstruktur liegt ein wesentlicher Erklärungsfaktor für die Verteilung privater Vermögen in den unterschiedlichen sozialen Sicherungssystemen der Euroländer. Ist beispielsweise ein wesentlicher Teil der Alterssicherung über eine gesetzliche Rentenversicherung organisiert, dann gibt es geringere Anreize privat vorzusorgen. Ähnliches gilt für die Absicherung weiterer Risiken, wie beispielsweise Arbeitsplatzverlust, Krankheit oder auch Einkommensrisiken wie aktuell durch die Corona-Pandemie. Wenn diese maßgeblich durch soziale Sicherungsleistungen abgedeckt werden, fällt auch hier die Notwendigkeit privater Rücklagen geringer aus als in Staaten ohne vergleichbar umfangreiche sozialstaatliche Absicherung. In vielen Ländern bedeutet ein Arbeitsplatzverlust durch die Pandemie unmittelbar existenzielle Not, in Deutschland werden Einkommensausfälle durch Kurzarbeitergeld und Hilfsprogramme zumindest teilweise kompensiert, sodass eine existenzielle Not in der Regel durch das soziale Sicherungssystem verhindert werden kann, auch wenn ein Haushalt nicht auf privates Vermögen zurückgreifen kann. So zeigt sich im europäischen Vergleich, dass die Vermögensungleichheit insbesondere in denjenigen Ländern besonders ausgeprägt ist, die durch umfangreiche wohlfahrtsstaatliche Sicherungssysteme gekennzeichnet sind. Neben Deutschland zählen hierzu beispielsweise die skandinavischen Länder.

Eine weitere Erklärung für die vergleichsweise hohe Vermögenskonzentration in Deutschland liegt in der Wirtschaftsstruktur Deutschlands, die besonders durch eigentümergeführte Familienunternehmen geprägt ist.1 Für Aufsehen hat in diesem Zusammenhang im Sommer 2019 eine Studie des Internationalen Währungsfonds gesorgt, die die eigentümergeführten Familienunternehmen im negativen Sinne für die hohe Vermögensungleichheit verantwortlich macht (IMF, 2019). Der Zusammenhang ist zunächst naheliegend: Wenn Unternehmensbesitz und damit verbundene Immobilien und andere Vermögenswerte in den Händen weniger Unternehmerfamilien und Selbstständiger konzentriert sind, ist die gemessene Vermögensungleichheit rechnerisch höher, als wenn es in Deutschland ausschließlich börsennotierte Unternehmen im Streubesitz gäbe. Dabei bleibt jedoch außen vor, dass Familienunternehmen häufig nachhaltiger agieren als börsennotierte Unternehmen, sie stärker regional verankert sind und eine geringere Mitarbeiterfluktuation aufweisen (Stiftung Familienunternehmen, 2020a; Röhl, 2017, S. 23). Die britische Zeitschrift „The Economist“ hob erst kürzlich die Bedeutung der Familienunternehmen für periphere Regionen hervor: Mindestens zwei Drittel der sogenannten „Hidden Champions“ haben demnach ihren Standort in Städten mit weniger als 50.000 Einwohnern; zwar vornehmlich in Westdeutschland, dort aber breitflächig gestreut. Für den „Economist“ ist das ein wesentlicher Grund, warum es in Deutschland keine „Gelbwesten-Proteste“ gegeben hat.

In Debatten um die hohe Vermögensungleichheit nimmt das Betriebsvermögen folglich eine besondere Rolle ein. Auch der Ökonom Marcel Fratzscher geht beispielsweise in seiner eher kritischen Verteilungsbetrachtung auf die Rolle der „reichen Familienunternehmen“ ein und stellt fest: „Deutschland ist zu Recht stolz auf diese Wirtschaftsstruktur, die wie keine zweite durch einen starken Mittelstand und Familienunternehmen geprägt ist“ (Fratzscher, 2016, S. 150). Er hebt in diesem Zusammenhang insbesondere die Vorteile der eher langfristigen Orientierung mittelständischer Unternehmen in der globalen Finanzkrise zwischen 2008 und 2010 hervor, die zusammen mit dem System der Mitbestimmung Arbeitsplätze geschützt und den Anstieg der Arbeitslosigkeit in Deutschland überschaubar gehalten haben (ebd., S. 150). Auch in der Corona-Pandemie schützt die besondere Wirtschaftsstruktur im Zusammenspiel mit den institutionellen Elementen der sozialen Marktwirtschaft vor einem dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit, wie sie beispielsweise in den USA als Reaktion auf den ersten Lockdown zu beobachten war (Tagesschau, 2020).

Anders als im Fall von liquiden Finanzanlagen handelt es sich bei Betriebsvermögen um gebundenes Kapital, welches produktiv eingesetzt wird und an dem viele Arbeitsplätze hängen. Betriebsvermögen sind in der Vermögensverteilung somit gesondert zu bewerten. Die Bestimmung der Höhe des Betriebsvermögens ist jedoch keinesfalls trivial. Einige Befragungsdaten, die zur Bestimmung der Vermögensungleichheit herangezogen werden, enthalten zwar auch Abfragen zum Unternehmensbesitz und zur Höhe der Betriebsvermögen. Da jedoch in kleinen Stichproben sehr hohe Vermögen regelmäßig untererfasst sind, reichen diese Datensätze zur Bewertung der Rolle der Betriebsvermögen in der Vermögensverteilung nicht aus. In einer historischen Betrachtung der Entwicklung der Vermögensungleichheit greifen Albers et al. (2020) auf Daten der Finanzierungsrechnung/gesamtwirtschaftlichen Vermögensbilanz und Steuerstatistiken zurück, um der Untererfassung hoher Vermögen zu begegnen und fokussieren dabei insbesondere auf Betriebsvermögen. Über Kapitalisierung von unternehmerischen Gewinnen werden Betriebsvermögen ermittelt und entsprechend der Verteilung von Unternehmensbesitz in die Befragungsdaten integriert. Ohne Berücksichtigung von Unternehmensbeteiligungen in Form von Aktien und Fonds steigt das Betriebsvermögen durch die Hochrechnung auf rund 3 Billionen Euro und liegt damit erheblich oberhalb der Rohwerte der Befragungsdatensätze, die zwischen ungefähr 730 Milliarden und rund 1,14 Billionen Euro liegen. In einem Forschungsprojekt für den Sechsten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung haben Schröder et al. (2020) über Adressinformationen von Besitzern von Unternehmensbeteiligungen die Befragungsdaten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) um eine spezielle Hochvermögendenstichprobe ergänzt, um die Datenlücke im Bereich hoher Vermögen zu schließen.3 Im Ergebnis steigt die Vermögensungleichheit erwartungsgemäß, allerdings zeigt sich ebenso, dass insbesondere im obersten Vermögensbereich die Vermögen weniger aus liquiden Finanzanlagen bestehen, sondern insbesondere bei den obersten 0,1 Prozent zu beinahe 60 Prozent im Betriebsvermögen gebunden sind (Schröder et al., 2020, S. 42).

Diese Ausführungen zeigen, dass anders als bei Geldvermögen eine exakte Quantifizierung des aggregierten Betriebsvermögens praktisch nicht möglich ist. Das liegt zum einen daran, dass sich der faktische Marktwert von Unternehmen in der Regel erst bei einer Veräußerung zeigt. Zum anderen fehlen Vergleichswerte, da es keinen klassischen Markt für Unternehmenstransaktionen gibt. Hierin unterscheidet sich auch Kapital, welches in eigentümergeführten Familienunternehmen gebunden ist von Kapital, welches in Form von Aktien gehalten wird. 

Bei allen bestehenden Unsicherheiten soll im vorliegenden Forschungsprojekt der Umfang des Betriebsvermögens in Deutschland geschätzt und die besondere Bedeutung des Betriebsvermögens für die Vermögensverteilung herausgearbeitet werden. Zunächst werden die besonderen Eigenschaften von Betriebsvermögen gegenüber anderen Vermögensanlagen beschrieben. In einem zweiten Schritt werden Informationen aus Befragungsdaten ausgewertet, um Charakteristika von Betriebsvermögen zu analysieren und mit Referenzdaten des Unternehmensregisters (Statistisches Bundesamt, 2021) abzugleichen. 

In einem nächsten Schritt werden Bewertungsverfahren diskutiert, um die Höhe des Betriebsvermögens abschätzen zu können. Auf Basis von Unternehmensinformationen der dafne-Datenbank werden Bandbreiten für die Höhe des Betriebsvermögens von Unternehmen mit zehn Beschäftigten und mehr bestimmt, die in Befragungsdaten unzureichend abgebildet sind. Ähnlich wie in Albers et al. (2020) werden die resultierenden Werte gemäß der Portfoliostruktur nach Vermögenshöhe in die Mikrodaten integriert, um schließlich die Auswirkungen auf die Vermögensverteilung zu analysieren. Anschließend folgt eine Einordnung der Ergebnisse in die Verteilungsdebatte sowie die damit verbundene Diskussion über eine Vermögensteuer. 
 

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