Ostdeutschland holt wirtschaftlich immer weiter auf – und die Annäherung an Westdeutschland steht nicht still. Dass die Wirtschaftskraft der ostdeutschen Länder in absehbarer Zeit jener des westdeutschen Durchschnitts entspricht, ist allerdings unrealistisch, zeigt eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft. Vielmehr bilden die schwächeren Westländer ein erreichbares Ziel.
30 Jahre Wiedervereinigung: Sachsen muss nicht an Bayern herankommen
Auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung hinkt die Wirtschaft Ostdeutschlands der des Westens noch um 25 Prozent hinterher – rechnet man Berlin heraus, beträgt der Abstand sogar 30 Prozent. Doch wer nur auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) schaut, übersieht wichtige Erfolge, die beim Aufbau Ost erzielt wurden.
Vor diesem Hintergrund hat das IW den Einheitsindex entwickelt. Er bewertet neben der Wirtschaftskraft sechs weitere Indikatoren wie die Produktivität, die Arbeitslosigkeit und den Kapitalstock. Ein Wert von 100 hieße vollkommene Angleichung. Am Index zeigen sich zwei Dinge: Zum einen ist Ostdeutschland weiter fortgeschritten, als es der reine Blick auf das BIP vermuten lässt. So ist der IW-Einheitsindex zwischen 1991 und 2019 von gut 50 Prozent des westdeutschen Niveaus auf knapp 77 Prozent gestiegen. Zum anderen steht die Konvergenz nicht still, seit 2014 ist der Index um drei Prozentpunkte gestiegen. „Der Aufbau Ost ist nicht gescheitert und schreitet voran“, sagt IW-Regionalexperte Klaus-Heiner Röhl.
Mehr Zuwanderung kann Ostdeutschland helfen
Besonders gut steht Ostdeutschland bei den verfügbaren Einkommen dar, die zum Teil schon so hoch sind wie in manchen Westländern. Brandenburger und Sachsen haben im Schnitt 20.475 beziehungsweise 20.335 Euro pro Jahr – das ist mehr als die Saarländer und nur etwas weniger als die Niedersachsen. Auch bei der Produktivität sieht es gut aus, sie liegt bereits seit 2005 bei 80 Prozent des westdeutschen Werts. Ebenso sind die Arbeitskosten nur geringfügig höher als im Westen.
Allerdings bremsen einige Indikatoren auch den ostdeutschen Aufstieg. Beispielsweise wird zu wenig in Maschinen und Anlagen investiert und zu wenig Geld in Forschung und Entwicklung gesteckt. Gründe dafür sind die verhältnismäßig wenigen Großunternehmen im Osten und ein Rückstand der Industrie. Ein Problem ist auch die Demografie. Obwohl der Wanderungssaldo zwischen Ost und West inzwischen ausgeglichen ist, schrumpft die Zahl der Erwerbstätigen. Denn jene Jahrgänge, die jetzt Kinder bekommen, sind schwach besetzt; außerdem ist die Zuwanderung aus dem Ausland geringer als im Westen. „Die demografische Entwicklung ist die Achillesferse Ostdeutschlands“, sagt Studienautor Röhl. Die Region müsse daher attraktiver werden für qualifizierte Zuwanderer aus dem Ausland.
Schwache West-Länder sind das Ziel
Angesichts der negativen Einflussfaktoren ist es unrealistisch, dass das ostdeutsche BIP in absehbarer Zeit den westdeutschen Durchschnitt erreichen wird, sagt Studienautor Röhl. Vielmehr dürften Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und das Saarland, also die drei wirtschaftlich schwächsten West-Länder, eine realistische Zielmarke sein. Deren räumliche Struktur ähnelt der des Ostens am ehesten, es gibt wenige starke Ballungsräume. Zu diesen drei Ländern hat die ostdeutsche Wirtschaft nur noch eine Lücke von sechs Prozent aufzuholen, wenn man Berlin einbezieht.
Klaus-Heiner Röhl: 30 Jahre Wiedervereinigung – Ein differenziertes Bild
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