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Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (© Sean Gallup / Getty Images)
Michael Hüther IW-Nachricht 15. November 2023

Nachtragshaushalt verfassungswidrig: Haushaltstricksereien müssen enden

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Umwidmung der Corona-Kredite beweist, wie groß der Reformbedarf bei der Schuldenbremse ist. Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigen: Schon bei einer leichten Lockerung der Schuldenbremse würden rund 50 Milliarden Euro frei.

Mit der heutigen Entscheidung zu den Corona-Krediten dürfte das Bundesverfassungsgericht noch lange für Kopfzerbrechen in Berlin sorgen. Doch man muss es so deutlich sagen: Diese Suppe hat sich die Ampel-Koalition selbst eingebrockt. Das Urteil ist Beleg dafür, welch fataler Irrtum die Mischung aus strikter Schuldenbremse und haushälterischer Taschenspielertricks war.

Dabei ist die Kritik an der Haushaltspolitik der Ampel so alt, wie die Umwidmung selbst – genauso, wie die Vorschläge es anders zu machen. Mit dem heutigen Tag muss klar sein: Die Politik kann sich nicht mehr mit Spielereien vor der Aufgabe drücken, die Schuldenbremse an die heutigen Erfordernisse anzupassen. Die Schuldenbremse ist aus der Zeit gefallen, die Transformation zur Klimaneutralität erfordert andere Lösungen – aus Gründen der Effizienz und der Generationengerechtigkeit. 

Spielraum von 50 Milliarden Euro im nächsten Jahr

Den Spielraum gäbe es aus ökonomischer Sicht, denn IW-Berechnungen zeigen: Auch bei einer Anhebung der Schuldenbremse von ihrem jetzigen Stand von 0,35 Prozent auf 1,5 Prozent (strukturelle Verschuldung in Relation zum BIP) würde die Schuldenquote Jahr für Jahr deutlich sinken. Das würde allein im kommenden Jahr eine zusätzliche Verschuldung von rund 50 Milliarden Euro erlauben, ohne die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen zu gefährden. 

Denkbar wäre bei einer Reform eine Investitionsklausel, die Ausnahmen für bestimmte Ausgaben macht. Zudem wäre es überlegenswert, das Zinsniveau bei der Nettokreditaufnahme zu berücksichtigen, indem beispielsweise die Zins-Steuer-Quote als Frühindikator fungiert: Steigen die Zinsausgaben als Anteil der Steuereinnahmen, muss die Nettoneuverschuldung zurückgefahren werden. Bei niedrigen Zinsausgaben steigt dafür das Kreditpotenzial. Grundsätzlich bleibt es richtig, dass der Finanzminister sozialpolitischen Begehrlichkeiten den Riegel vorschiebt – daran hat der heutige Tag nichts geändert. 

Reform der Fiskalregeln nötig

Das Urteil bietet vor diesem Hintergrund eine Chance und sollte die für die Volkswirtschaft wichtige Reform der Fiskalregeln anstoßen. Viel zu lange hat die Bundesregierung versäumt, für transparente Bedingungen für Sondervermögen und Notfallkredite sowie deren Tilgung zu sorgen. 

Wachstumspolitisch kommt das Urteil jedoch zur Unzeit. Der Sachverständigenrat hat jüngst im Jahresgutachten das Wachstumspotential unserer Volkswirtschaft auf nur noch 0,4 Prozent taxiert. Das liegt an der demografischen Alterung, und vieles davon hängt mit dem Investitionsstau im Land zusammen. Wir stehen vor Jahrzehnten des Umbaus unserer Volkswirtschaft. Wenn die Politik gerade jetzt um jeden Euro für Schienen, Straßen oder Energienetze feilschen muss, kann die Transformation nur scheitern. Denn eine Generation kann diese historische Aufgabe nicht aus ihren Steuereinnahmen finanzieren.

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