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(© Foto: JodiJacobson/iStock)
Jochen Pimpertz IW-Nachricht 24. November 2016

Rentengipfel: Weitblick statt Aktionismus

Wenn die Große Koalition um einen Rentenkompromiss streitet, geht es nicht nur um einen Interessenausgleich zwischen gut und gering verdienenden Arbeitnehmern sowie Menschen mit niedrigen oder hohen Renten. Es geht eigentlich auch um die Interessen der jungen Beitragszahler und Kinder – doch die werden häufig nicht berücksichtigt.

Noch vor Beginn des Wahlkampfes will die Bundesregierung ein parteiübergreifendes Konzept verabschieden, um die Alterssicherung weiterzuentwickeln. Ob damit aber das Rententhema aus dem Bundestagswahlkampf herausgehalten werden kann, ist fraglich: Es stehen zu viele Punkte auf der Agenda, zu unterschiedlich sind die Positionen vor allem jenseits der Großen Koalition.

Für die Gesetzliche Rentenversicherung stehen zur Entscheidung:

Haltelinie Rentenniveau. Angesichts der Prognosen, dass die gesetzliche Rente langfristig sinken wird, möchte Bundessozialministerin Andrea Nahles eine Haltelinie ziehen. Wo die liegen soll, ist aber noch offen. Dabei besteht bereits mit dem Mindestsicherungsniveau von 43 Prozent eine solche Untergrenze, die aber über das Jahr 2030 hinaus verlängert werden sollte. Insbesondere wenn man beim Sicherungsniveau den Anstieg der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre berücksichtigt, dürfte die Haltelinie von 43 Prozent bis weit in die kommenden Jahrzehnte Jahre ausreichen.

Doppelte Haltelinie, Obergrenze Beitragssatz. Sollte die Bundesregierung am aktuellen Sicherungsniveau vor Steuern festhalten, drohen neue Finanzierungslasten, die künftige Beitragszahler zusätzlich – also über die ohnehin anstehenden Mehrbelastungen hinaus – schultern müssen. Sie sollte daher den Beitragsanstieg auf maximal 22 Prozent über das Jahr 2030 hinaus beschränken, ansonsten wird auch ein höheres Renteneinstiegsalter unvermeidlich.

Einbeziehung von Selbständigen. Manch einer glaubt, mit der Ausweitung der Versicherungspflicht auf bislang nicht versicherte Selbständige zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen zu können: Gerade geringverdienende Selbständige könnten vor Altersarmut geschützt werden und im Idealfall würden die neuen Mitglieder mehr einzahlen, als sie zunächst an Ansprüchen geltend machen.

Um über die beitragsbezogene Rente gegen Altersarmut abgesichert zu sein, müssen aber über eine ausreichend lange Zeit hohe Beiträge eingezahlt werden. Allein die Mitgliedschaft im gesetzlichen System garantiert noch keinen Schutz vor Armut – zumal offen bleibt, ob der Ehepartner nicht für das Alter mit vorsorgt.

Umgekehrt bedeutet ein Beitragssatz von 18,7 Prozent für einen Selbständigen ein um den gleichen Prozentsatz niedrigeres Nettoeinkommen. Für manch Erwerbstätigen könnte sich dann aber der Arbeitseinsatz nicht mehr lohnen. Der Gesellschaft ginge dann aber nicht nur deren produktive Leistung verloren, im schlimmsten Fall käme ein weiterer Transferempfänger hinzu.

Rentenrechtsangleichung Ost/West. 25 Jahre nach der Wiedervereinigung fordert Nahles, das Rentenrecht zu vereinheitlichen. Warum dies aber ab dem Jahr 2020 fast 4 Milliarden Euro kosten soll, erschließt sich nicht. Denn die Ostrentner werden bislang nicht benachteiligt. Nach dem bestehenden Rentenrecht erhalten Beschäftigte bei gleichem Verdienst in den neuen Ländern sogar mehr Rente als im Westen. Vielmehr muss es darum gehen, das Rentenrecht aufkommensneutral zu vereinheitlichen, also zusätzliche Lasten für die Beitrags- und Steuerzahler zu vermeiden.

Erwerbsminderung absichern. Werden Arbeitnehmer erwerbsunfähig, ist dies häufig mit einem erhöhten Armutsrisiko verbunden. Deshalb macht es Sinn, wenn die Koalitionäre über längere Zurechnungszeiten und den Verzicht auf Abschläge bei frühzeitigem Bezug der Altersrente diskutieren. Unabhängig davon ist es aber weiterhin unvermeidbar, dass die Beschäftigten auch privat vorsorgen.

Neben dem gesetzlichen System bleibt die ergänzende Altersversorgung ein wichtiges Reformfeld. Seit Monaten wird über die scheinbar nur mangelhaft verbreitete betriebliche Vorsorge und das Riester-Sparen diskutiert. Dabei wird allzu selten beachtet, dass im Haushalt der Hauptverdiener oftmals auch die Hauptlast der gemeinsam geplanten Altersvorsorge trägt. In den Fällen, in denen der Partner zum Beispiel familiär bedingt pausiert, ergibt es wenig Sinn, eine möglichst hundertprozentige Verbreitung privater Vorsorge anzustreben.

Weit verbreitet ist auch die Vorstellung, dass sich zusätzliche Vorsorge insbesondere für Geringverdiener erst dann lohnt, wenn gewährleistet wird, dass die Grundsicherung im Alter mit privater Vorsorge höher ausfällt als ohne. Deshalb sollen Renten aus der betrieblichen oder privaten Vorsorge nicht oder nur zu einem Teil auf den Grundsicherungsanspruch im Alter angerechnet werden. Auch wenn das Gerechtigkeitsempfinden spontan für eine solche Ausnahme sprechen mag, sind damit neue Probleme vorprogrammiert. Es droht eine Zwei-Klassen-Grundsicherung. Denn nicht jeder kann ergänzend vorsorgen, weil er zum Beispiel als Selbständiger gar keinen Zugang zur Riester-Förderung hat oder nicht ausreichend lange Beitragszeiten nachweisen kann.

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