Ein groß angelegtes Experiment zeigt die angeblichen Vorteile einer Vier-Tage-Woche. Beim genaueren Hinsehen zeigt sich jedoch: Viele Thesen der Befürworter der Vier-Tage-Woche sind durch die Ergebnisse nicht gestützt.
Vier-Tage-Woche: Ein Experiment ohne Erkenntnisse
Alle bisherigen Experimente zur Vier-Tage-Woche haben eines gemeinsam: Sie sind nicht dazu geeignet, einen Beweis zu erbringen, dass das Konzept ein gesamtwirtschaftlich sinnvoller Ansatz ist. Vier Gründe, warum auch das heute vorgestellte Experiment wenig Aussagekraft besitzt.
- Verzerrte Teilnehmerliste: Die teilnehmenden Unternehmen haben sich aktiv für das Experiment beworben und wurden nicht zufällig ausgewählt. So ist naheliegend, dass viele der Unternehmen einer Viertagewoche positiv gegenüberstehen oder davon ausgehen, dass sie für den eigenen Betrieb funktioniert. Das Problem: Die Erkenntnisse sind nicht verallgemeinerbar, sondern nur für die Teilnehmer selbst gültig.
- Die Vergleichsgruppe fehlt: Angenommen der Umsatz steigt bei einem teilnehmenden Unternehmen. Schnell könnte man meinen, dass der Grund dafür die Vier-Tage-Woche ist. Doch um diesen kausalen Zusammenhang eindeutig belegen zu können, müsste man das Unternehmen mit einer Kontrollgruppe vergleichen, die keine Viertagewoche eingeführt hat. Nur so kann ausgeschlossen werden, dass beispielsweise eine günstige Konjunktur Grund für die steigenden Umsätze war. Das Experiment nutzt Kontrollgruppen aber nur für den Vergleich verschiedener Beschäftigtengruppen, nicht für den Vergleich verschiedener Unternehmen.
- Produktivität fraglich: Wenn die Arbeitszeit sinkt, müssen Mitarbeiter schneller arbeiten, um das Gleiche zu schaffen – die Produktivität muss also steigen. Ob dies bei den Teilnehmern der Fall war, wurde im Experiment aber gar nicht konsistent erfasst. Und selbst wenn: Die Produktivität ließe sich auch ohne geringere Arbeitszeiten steigern.
- Nachhaltigkeit ist ein Marathon: Selbst wenn es für kurze Zeit gelingt, produktiver zu arbeiten und den fehlenden Arbeitstag auszugleichen, bleibt offen, wie nachhaltig das ist. Nachhaltigkeit ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Viele kehren mittel- bis langfristig wieder in gewohnte Routinen zurück, die Produktivität sinkt. Der fehlende Arbeitstag macht sich dann bemerkbar.
Grundsätzlich ist die Arbeitszeit Sache der Tarifpartner. Gegen eine generelle Vier-Tage-Woche spricht aber, dass in den kommenden Jahren Millionen Babyboomer in Rente gehen und eine Lücke auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen. Wenn der Rest der arbeitenden Bevölkerung darüber hinaus einen Tag weniger arbeitet, verschärft sich der Fachkräftemangel noch weiter.
IW-Ökonomin Stefanie Seele hält Festrede an der Humboldt-Universität
Auf Einladung der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin hielt IW-Arbeitsmarktexpertin Stefanie Seele am 25. Oktober 2024 die Festrede auf der Absolventenfeier.
IW
Produktivität und Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich
Wöchentliche Arbeitszeiten von 60 oder 70 Stunden waren Ende des 19. Jahrhunderts keine Seltenheit. Im Jahr 1891 wurde die Sechstagewoche für Arbeiter Gesetz. Mittlerweile gilt eine werktägliche Höchstarbeitszeit von acht Stunden. Sie kann jedoch in ...
IW