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Holger Schäfer IW-Nachricht 30. April 2021

Niedriglöhne: Hartz IV sorgt nicht für Niedriglohnanstieg

92 Prozent der Friseure erhalten in Deutschland den Niedriglohn – das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken hervor. Branchenübergreifend erhalten demnach 18,8 Prozent der Vollzeitbeschäftigten Niedriglöhne. Allerdings ist die Datenquelle für eine genaue Betrachtung nicht geeignet: Nach ihrer Definition wäre ein Stundenlohn von bis zu 15 Euro nötig, um nicht mehr zu den Niedriglohnverdienern zu zählen.

Als Niedriglohnbeschäftigter gilt, wer weniger als zwei Drittel des mittleren Bruttostundenlohns verdient. Die Größe des Niedriglohnsektors ist mithin – wie auch die Armutsgefährdung – ein Maß der Ungleichheit. Über existenzielle Notlagen sagt das Niedriglohnkonzept nichts aus. In Deutschland ist ungefähr jeder fünfte Arbeitnehmer zu einem so definierten Niedriglohn beschäftigt.

Es gibt zwei Datenquellen, mit denen der Niedriglohnsektor üblicherweise gemessen wird: Erstens ist das die Statistik der Bundesagentur für Arbeit, in der die Entgelte aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten erfasst sind. Diese Datenbasis hat gewichtige Nachteile: So werden nur sozialversicherungspflichtig Beschäftigte berücksichtigt, das heißt geringfügig Beschäftigte oder Beamte bleiben außen vor. Noch problematischer ist, dass in dieser Statistik keine Arbeitszeiten erhoben werden. Das ist für die Berechnung eines Stundenlohns eigentlich ein K.O.-Kriterium. Man behilft sich damit, die Auswertung auf die Vollzeitbeschäftigten zu beschränken und ignoriert, dass auch Vollzeitbeschäftigte ganz unterschiedliche Wochenarbeitszeiten haben können.

Unplausible Ergebnisse

Somit wird nur ein eng abgegrenzter Bereich des Arbeitsmarktes untersucht – noch dazu einer, in dem Niedriglohnjobs eher untypisch sind. Dementsprechend wenig plausibel sind die Befunde. So liegt die Niedriglohnschwelle in diesem Konzept bei 2.267 Euro brutto im Monat. Umgerechnet ergäbe das bei einer 39-Stunden-Woche eine Grenze von 13,30 Euro Bruttostundenlohn. Ein Zeitarbeitnehmer, der nur 35 Stunden in der Woche arbeitet, müsste schon fast 15 Euro in der Stunde verdienen, um nicht als Niedriglohnbeschäftigter zu gelten. Da kann es kaum verwundern, dass sich in dieser Betrachtungsweise nahezu alle Friseure im Niedriglohnbereich wiederfinden.

Eine wesentlich geeignetere Datenquelle ist zum Beispiel das Sozio-ökonomische Panel (SOEP), eine jährliche Befragung von ca. 30.000 Personen. Als Stichprobe unterliegen die Befunde zwar einem Schätzfehler – dafür sind Bereiche des Arbeitsmarktes berücksichtigt, die für den Niedriglohnbereich eine wichtige Rolle spielen, etwa Minijobs oder Teilzeit. Außerdem wird die Arbeitszeit erfragt, sodass es möglich ist, einen Stundenlohn zu berechnen. Die Niedriglohnschwelle liegt hier nur bei 11,20 Euro.

Vor allem Minijobber betroffen

Auch in dieser Datenquelle liegt der Niedriglohnanteil bei rund 22 Prozent – allerdings handelt es sich bei den Niedriglohnbeschäftigten um eine ganz andere Gruppe. Vor allem Minijob-Beschäftigte haben einen Niedriglohn, der Anteil liegt in diesem Segment bei 82 Prozent. Vollzeitbeschäftigte kommen hingegen nur auf einen Niedriglohnanteil von 13 Prozent. Im Zeitverlauf hat sich die Größe des Niedriglohnsektors seit 2006 wenig verändert – entgegen der allgemeinen Wahrnehmung hat Hartz IV somit nicht für einen Anstieg des Niedriglohnbereichs gesorgt. Zuletzt ist er vor allem in Ostdeutschland etwas geschrumpft, das ergeben die Befunde einer Untersuchung des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ).

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