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Vanessa Hünnemeyer im SPIEGEL Interview 4. Oktober 2023

Wirtschaftsstandort Bayern: „Wir beobachten eine gewisse Wachstumsmüdigkeit”

Auch im Landtagswahlkampf gilt Bayerns Wirtschaft vor allem als eines – spitze. Laut IW-Forscherin Vanessa Hünnemeyer droht für die Zukunft im Freistaat aber vieles zu fehlen: Flächen, Fachkräfte und grüner Strom für die Industrie.

Es wäre nicht Bayern, wenn es die eigene Konjunktur nicht anhand eines Weizenbierglases vermessen würde. Der sogenannte Weißbierindex der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft  (VBW) gibt zweimal im Jahr an, wie es um die Wirtschaft im Freistaat bestellt ist. Als so lala ließ sich demnach die Lage im sonst so selbstbewussten Bundesland zuletzt am besten beschreiben. Was also braucht der Freistaat, damit das Glas nach der Landtagswahl am 8. Oktober wieder voller wird? Die Industrie benötige Flächen, Fachkräfte und grünen Strom, sagt Vanessa Hünnemeyer. Die Wirtschaftsgeografin befasst sich in einer Tochtergesellschaft des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln mit der Entwicklung der Regionen in Deutschland. Und dabei ist längst nicht sicher, dass der Süden auch in Zukunft immer vorn ist.

Frau Hünnemeyer, Bayern dominiert die deutsche Wirtschaft seit Jahren. Kann es jetzt nur noch bergab gehen?

Das muss nicht so sein, aber der Norden hat aktuell gute Chancen aufzuholen. Der Norden profitiert von grünem Strom und verfügbaren Industrieflächen. Auch im Norden Deutschlands lässt es sich gut leben. Zudem hatten einige bayerische Landkreise während der Coronapandemie an Dynamik verloren .

Wo hakt es derzeit besonders?

Die hohen Energiepreise und Probleme bei der Versorgung mit günstigem Strom belasten die bayerischen Industrieregionen. Industrie verschwindet zwar nicht von heute auf morgen, doch die aktuellen Entwicklungen geben Anlass zur Sorge. Wenn neue Impulse fehlen, können die exzellenten Innovationsökosysteme langsam erodieren. Die nächsten Jahre sind entscheidend.

Ist diese Botschaft in Bayern bereits angekommen?

Wir beobachten eine gewisse Wachstumsmüdigkeit, eben weil das Wohlstandsniveau in Bayern sehr hoch ist. In unserer jährlichen Befragung von Wirtschaftsförderungseinrichtungen wird deutlich, dass im Süden beispielsweise besonders wenig Industrieflächen verfügbar sind. Wenn Städte und Landkreise sich nicht mehr klar zur industriellen Entwicklung bekennen, muss man fragen, ob es noch ein Bewusstsein dafür gibt, woher Wohlstand und Arbeitsplätze in Deutschland kommen.

Das klingt nicht gerade optimistisch.

Es gibt durchaus Landkreise, die wissen, dass sie an ihren Strukturen arbeiten müssen, und dies auch erfolgreich tun. Der Landkreis Tirschenreuth ist so ein Beispiel. Trotz peripherer Lage gelingt es, dass sich Unternehmen ansiedeln und dort wachsen. Auch in den bayerischen Automobilregionen arbeitet eine Vielzahl an Akteuren daran, die Strukturen zu verbessern. Insgesamt ist Bayern im bundesweiten Vergleich nach wie vor immer noch sehr stark. Acht der zehn wirtschaftlich erfolgreichsten Kreise Deutschlands kommen aus Bayern, besonders im Großraum München.

Was muss die Landesregierung tun, damit das so bleibt?

Für Bayern wird entscheidend sein, die Problematik der Energiekosten in den Griff zu bekommen. Es gibt dort zwar viel Sonne, aber nur sehr wenig Windkraft. Und auch bei der Solarenergie könnte man noch Dinge verbessern. Auch wenn Bayern ein attraktives Bundesland ist, fehlen Fachkräfte, im Jahresdurchschnitt 2022/23 mehr als 157.000.

Hilft hier ein staatlich subventionierter, niedriger Industriestrompreis, über den die Ampel diskutiert?

Ein temporär günstigerer Strompreis entlastet Unternehmen und kann ihre Wettbewerbsfähigkeit sichern. In Kombination mit weiteren Reformen, Instrumenten und Investitionen kann so ein wichtiges Zeitfenster geschaffen werden, die Transformation voranzutreiben, ohne die industrielle Basis dauerhaft zu verlieren.

Der Ausbau von Produktionsstätten und Energieinfrastruktur könnte noch schwieriger sein. In Niederbayern durften zuletzt ein paar wenige Tausend Einwohner über den Bau eines neuen BMW-Werks abstimmen.

Die enorm hohe Wahlbeteiligung in Straßkirchen zeigt, dass diese Themen die Menschen bewegen. Die Akzeptanz von Infrastruktur und Industrie ist auch eine kommunikative Aufgabe. Das können Sie auch beim Streit über den geplanten Brenner-Zulauf beobachten.

„Wenn Investitionen ausbleiben, bedeutet das einen Verlust von Wettbewerbsfähigkeit.”

Ziehen die Unternehmen aus der gefährlichen Lage bereits Konsequenzen?

Bislang gibt es keine Verlagerungen von Unternehmenssitzen ins Ausland, keine größeren Entlassungen. Aber Neuinvestitionen finden inzwischen auch außerhalb Bayerns statt – auch von bayerischen Unternehmen. So erweitert etwa Infineon seinen Produktionsstandort in Dresden. Wenn Investitionen ausbleiben, bedeutet das jedoch einen Verlust von Wettbewerbsfähigkeit.

Es gibt aber doch noch große Ansiedlungen. Der iPhone-Hersteller Apple baut derzeit in München einen großen neuen Standort.

Diese Ansiedlung ist als Magnet für den Zuzug von Fachkräften unglaublich wichtig. Für Apple ist der Standort München aber ja auch noch günstig! Gehälter und Immobilienpreise sind hier viel niedriger als im Silicon Valley.

Im innerdeutschen Vergleich sind die Immobilienpreise in München und Umgebung allerdings extrem hoch – ein Zeichen dafür, dass Bayern gefragt ist?

Ja, aber es gibt diese hohen Preise gerade in Südbayern nicht nur, weil jeder dorthin ziehen will, sondern auch, weil das Angebot an Wohnraum nicht passend ist. Das kann dann auch strukturelle Folgen etwa für das Nahverkehrsangebot oder die Kinderbetreuung haben. Auch im Landkreis Miesbach oder im Landkreis Rosenheim müssen ja Busfahrer oder Erzieherinnen von ihrem Gehalt leben können.

Zum Interview auf spiegel.de
 

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