1. Home
  2. Presse
  3. Nachtragshaushalt: „Die Schuldenbremse ist der Kern des Problems”
Tobias Hentze auf n-tv Interview 14. Dezember 2021

Nachtragshaushalt: „Die Schuldenbremse ist der Kern des Problems”

Dass Finanzminister Lindner 60 Milliarden Euro Schulden auf Vorrat aufnimmt, weil die Schuldenbremse das bald nicht mehr zulassen wird, könne man „Gestaltung nennen oder Trick”, sagt IW-Ökonom Tobias Hentze. In jedem Fall zeige das Vorgehen einen Widerspruch in der Haushaltspolitik der Ampel auf.

Der Beschluss der Ampel-Regierung, 60 Milliarden Euro Schulden aus dem aktuellen Haushaltsjahr in eine Rücklage für künftige Klimaschutzinvestitionen fließen zu lassen, sorgt für Kritik. Finanzminister Lindner betont, dass es sich nicht um „neue Schulden” handle, sondern um bereits im Haushalt vorgesehene, aber aktuell nicht benötigte „Kreditermächtigungen”. Was ist das denn genau für Geld?

Klar ist: Der Staat müsste diese Schulden aktuell eigentlich gar nicht machen. Es ist Geld, das im Haushalt im Rahmen der Corona-Krise für 2021 vorgesehen war, aber nicht benötigt wurde. Die Regierung könnte nun einfach 60 Milliarden Euro weniger neue Schulden machen als im ursprünglichen Haushaltsentwurf vorgesehen war. Stattdessen hat sie sich entschlossen, dieses Geld trotzdem aufzunehmen und in einen Fonds fließen zu lassen, als Reserve für die Zeit, wenn die aktuell ausgesetzten Verschuldungsregeln der Schuldenbremse wieder greifen werden und es erheblich weniger Spielraum für neue Schulden geben wird.

Klingt nach einem Taschenspielertrick.

Ich kann das Motiv der Regierung verstehen. Hier wurden Gelder für 2021 eingestellt, die wir in diesem Jahr nicht benötigen. Ab spätestens 2023 wird es jedoch umgekehrt sein: Wir werden hohe Summen für Investitionen benötigen, aber die Schuldenbremse wird kaum noch Spielraum zur Schuldenaufnahme zulassen. Da liegt es natürlich nahe, die 60 Milliarden Euro einfach als Reserve zu nutzen. Das kann man nun Gestaltung nennen oder Trick. Ob das legal ist, kann ich als Ökonom gar nicht beurteilen.

Zeigt das nicht, dass das eigentliche Problem in der Schuldenbremse liegt?

Gäbe es nicht die Schuldenbremse - zumindest in ihrer aktuellen rigiden Form - wäre ein solches Vorgehen nicht notwendig, sie ist der Kern des Problems. Für die aktuelle Situation gibt es keinen Präzedenzfall. Zum ersten Mal wurden in der Pandemie die Verschuldungsregeln der Schuldenbremse für eine Krisenzeit ausgesetzt, was eine praktisch grenzenlose Schuldenaufnahme ermöglicht. Es fehlt allerdings eine Regelung für die Übergangszeit danach. Ab 2023 wird die Begrenzung der Neuverschuldung auf 0,35 Prozent des BIP für den Bund wieder brutal zuschlagen. Die Politiker versuchen gerade, diese fehlende Übergangsregelung irgendwie zu ersetzen, indem sie eine Reserve anlegen.

Wäre es dann nicht sinnvoller, die Schuldenbremse zu reformieren?

Das wäre ökonomisch gesehen logisch und wünschenswert. Die Begrenzung der Neuverschuldung auf 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung ist ohnehin nicht sinnvoll. Denn das führt bei einer wachsenden Wirtschaft zu einer stark sinkenden Verschuldungsquote, langfristig auf nahezu null. Das ist für einen Staat nicht zielführend und engt den Finanzierungsspielraum insbesondere angesichts des geringen Zinsniveaus unnötig ein. Aber für eine Reform der Schuldenbremse im Grundgesetz ist eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag notwendig und damit die Zustimmung der Union, die das kategorisch ablehnt. Und auch die Ampel-Koalition hat sich ja darauf festgelegt, die Schuldenbremse auf keinen Fall aufzuweichen.

Aber neue Schulden sind offenbar notwendig, um die Klimaschutzpläne der Ampel zu finanzieren.

Das zeigt den Widerspruch bei der Haushaltspolitik der Ampel-Koalitionäre zwischen dem Anspruch, die Schuldenbremse einzuhalten und gleichzeitig eine Investitionsoffensive zu starten. Dabei gäbe es ja theoretisch auch Alternativen wie Kürzungen im Haushalt etwa bei Subventionen oder Sozialausgaben oder die Gründung einer rechtlich selbständigen Investitionsgesellschaft. Ich würde mir eine ehrliche Debatte darüber wünschen, wie wir die Kosten für die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft dauerhaft finanzieren.

Der Trick mit den Schulden auf Vorrat funktioniert ja nur ein oder höchstens zwei Mal...

Genau. Die Ausnahme von der Schuldenbremse gilt nur noch dieses und kommendes Jahr. Selbst wenn 2022 noch einmal so viel Geld aufgenommen würde, wird das langfristig wahrscheinlich nicht für die angestrebten Investitionen reichen. Die notwendige Debatte über die Finanzierung ist damit nur aufgeschoben.

Zum Interview auf ntv.de.

Mehr zum Thema

Artikel lesen
IW-Direktor Michael Hüther
Michael Hüther im Handelsblatt Gastbeitrag 5. April 2024

Schuldenbremse: Frische Impulse dank systematischer Steuerreformen

IW-Direktor Michael Hüther plädiert in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt für eine Ordnungspolitik, die endlich auf der Höhe der Zeit ist und neue Impulse für die Wirtschaft setzt. Sein Vorschlag: ein neuer Ausnahmetatbestand.

IW

Artikel lesen
Martin Beznoska / Tobias Hentze IW-Trends Nr. 1 21. Februar 2024

Fiskalpolitik vor 50 Jahren und heute – Expansion, Stabilisierung und Konsolidierung

Die Haushalts- und Finanzpolitik hat in den vergangenen 50 Jahren viele Krisen und Schocks miterlebt, aber die Grundfragen sind dabei unverändert geblieben.

IW

Mehr zum Thema

Inhaltselement mit der ID 8880