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Michael Voigtländer im Tagesspiegel Interview 26. März 2019

Enteignungsdebatte in Berlin: „Es gibt keine Bauflächen, das hat die Politik verschuldet”

Der Aktivist Rouzbeh Taheri will Immobilienkonzerne in Berlin enteignen. IW-Immobilienexperte Michael Voigtländer warnt davor. Ein Streitgespräch.

Herr Taheri, Berlin hat schmerzhaft erleben müssen, was passiert, wenn Bürger enteignet und ganze Wirtschaftsbranchen verstaatlicht werden. Warum halten Sie eine Neuauflage dieses Experiments für eine gute Idee?

TAHERI: Wir wollen die Bestände der großen Immobilienkonzerne vergesellschaften und unter demokratische Kontrolle der Mieter und der Stadtgesellschaft stellen. Das ist ein fundamentaler Unterschied zur DDR. Dort gab es keine demokratische Kontrolle. Eine freie Marktwirtschaft, wo die Starken machen können, was sie wollen, führt dazu, dass die Schwachen auf der Strecke bleiben. Deshalb bin ich für starke staatliche Regulierung im Bereich der Wohnungswirtschaft.

VOIGTLÄNDER: Da möchte ich widersprechen. Die Idee der Marktwirtschaft ist es, Konkurrenz unter Unternehmen zu schaffen, die sich im Preiswettbewerb um Konsumenten bemühen. Das Problem ist nur: Es gibt keine Bauflächen, und das ist ein Problem, das die Politik verschuldet hat. Weil derzeit viele Menschen nach Berlin ziehen, muss sie genug Bauflächen zur Verfügung stellen, damit die Konkurrenz funktionieren kann. Dann würden auch die Preise sinken.

TAHERI: Ich kenne kein einziges privates Bauvorhaben, das in den vergangenen Jahren bezahlbaren Wohnraum geschaffen hat. Die Marktpreise kommen durch Spekulation zustande. Natürlich müssen wir massenhaft neue Häuser bauen. Aber das hilft nur, wenn bezahlbar gebaut wird. Hochpreisige Lofts und Eigentumswohnungen bringen nichts.

VOIGTLÄNDER: Auch da trägt die Politik eine Mitschuld. Stellen Sie sich vor, man würde der Autoindustrie die Hälfte der Rohstoffe wegnehmen. Welche Autos würden die wohl bauen? Nicht die kleinen mit den geringen Margen, sondern die großen und teuren. Das haben wir auch im Wohnungsmarkt wegen der Flächenknappheit. Hinzu kommt, dass wir die Standards immer weiter erhöht haben. Das ist Politikversagen.

Herr Taheri, trifft die Politik die Schuld an der Wohnungskrise?

TAHERI: Wir haben ein Versagen auf allen Ebenen. Nehmen wir die Baugenehmigungen: Ja, es gibt mangelnde Kapazitäten in der Bauverwaltung. Es gibt aber auch 25000 Baugenehmigungen in Berlin, die nicht realisiert werden, weil auf steigende Preise spekuliert wird.

VOIGTLÄNDER: Neben dem Versagen von Politik und Markt gibt es übrigens noch ein drittes Versagen, nämlich das der Gesellschaft. Schauen Sie sich den Widerstand der Bürger an, den es in Berlin gegen eine Bebauung des Tempelhofer Felds gibt. Wir wollen auf der einen Seite eine offene Stadt sein und dass Menschen zu uns kommen, sind aber auf der anderen Seite nicht bereit, Bebauung zuzulassen. Dadurch wird das Wohnen immer teurer.

TAHERI: Ich habe nichts gegen Neubau, einen neuen Stadtteil mit 70 Prozent geförderten Wohnraum wie es ihn in Wien gibt, würde ich mir auch für Berlin wünschen. Aber nicht auf dem Tempelhofer Feld, da reicht der Platz nicht aus.

VOIGTLÄNDER: Wir werden allerdings auch nicht allen Berlinern subventionierten Wohnraum zur Verfügung stellen können. Ein großer Teil der Mieter der landeseigenen Wohnungsgesellschaften hat überdurchschnittliche Einkommen. Wenn Sie Wohnungen zurückkaufen, die Mieten deckeln oder gar Firmen enteignen, unterstützen Sie viele Menschen, die auf Hilfe gar nicht angewiesen sind. Das geht auf Kosten derjenigen, die wirklich hilfsbedürftig sind.

TAHERI: Ich bin ein großer Freund davon, die Mieten in den staatlichen Wohnungen an die Einkommen zu koppeln. Wir haben zwei Modelle beim Neubau von Sozialwohnungen, in denen 6,50 Euro und 8,50 Euro für die untere Mittelschicht gefordert wird. Und ich bin auch dafür, Mietstufen einzuführen. Die eigentliche Frage ist, was ist mit den Leuten, die aus den Wohnungen raus müssen? Für Durchschnittsverdiener ist es fast unmöglich, eine bezahlbare Wohnung zu finden.

VOIGTLÄNDER: Es gibt doch schon eine Menge Regeln, die die Bestandsmieter schützen. Wir müssen besser mal darüber reden, ob jemand, der auszieht, ein Recht darauf hat, im gleichen Stadtviertel wie bisher wohnen zu bleiben.

TAHERI: Vielleicht nicht im gleichen Viertel, aber in der gleichen Stadt.

VOIGTLÄNDER: Aber diese Möglichkeit gibt es ja weiterhin. Es ist ja nicht so, dass die Preise in Berlin überall so massiv gestiegen sind.

TAHERI: Aber ich kann einer 80-jährigen Oma doch nicht sagen, sie soll in Schöneberg ausziehen und in Marzahn einziehen und dabei ihre sozialen Beziehungen aufgeben. Die Menschen sind keine Masse, die man beliebig durch die Stadt verschieben kann.

VOIGTLÄNDER: Ich sage auch nicht, dass man eine 80-Jährige aus ihrem Haus schmeißen soll. Aber wer eine neue Wohnung haben will, ist normaler Marktteilnehmer und muss sich mit den anderen anstellen. Da kann der Staat nicht jemanden begünstigen, nur weil er in Kreuzberg wohnt. Wir können doch kein Recht auf Wohnen in Berlin schaffen.

Und die Angst der Menschen vor der Verdrängung ist unbegründet?

VOIGTLÄNDER: Nein, es passieren auch Dinge, die so nicht passieren dürfen. Bei der Modernisierung etwa läuft manches falsch. Aber nehmen wir noch mal das Beispiel der 80-Jährigen: Die großen Konzerne wie die Deutsche Wohnen haben mittlerweile Härtefall-Regelungen, die genau solche Fälle verhindern sollen. Bei Modernisierungen haben wir eher das Problem mit den kleineren Investoren, die einzelne Häuser kaufen und es komplett umwandeln in Eigentum.

TAHERI: Ja, die Deutsche Wohnen ist nicht das schlimmste Unternehmen, aber es ist das größte unter den schlimmsten. Es ist ja nachgewiesen, dass die Instandhaltungsaufwendungen der Deutschen Wohnen halb so hoch liegen wie bei den städtischen Gesellschaften – obwohl die Wohnungen von Standard, Bauart und Typ vergleichbar sind. Die Modernisierungskosten fallen dagegen doppelt so hoch aus. Das ist eine antisoziale Geschäftspolitik gegen die Interessen der Gesellschaft.

VOIGTLÄNDER: Zahlen des sozioökonomischen Panels sprechen eine andere Sprache. Demnach beklagen mehr Mieter bei den Kommunalen, dass die Wohnungen sanierungsbedürftig sind als bei den Privaten. Wir wollen die energetische Sanierung der Häuser, mehr altersgerechte Wohnungen und die Mieter besser ausgestattete Wohnungen. Das hat zwangsläufig einen höheren Mietpreis zur Folge. Ich wäre aber dafür, den Mietpreis nicht über die Kosten der Modernisierung, sondern über Zuschläge zu steuern. Dann würde eine Wohnung mit Balkon mehr kosten als eine ohne – genauso einen Zuschlag gäbe es auch für ein besser ausgestattetes Bad. Diese Zuschläge könnte man ermitteln, und das gäbe den Unternehmen einen Anreiz zu schauen, wofür es wirklich eine Zahlungsbereitschaft am Markt gibt. Aber es gibt Bedürfnisse und Wünsche und wenn wir die Modernisierungsumlage weiter kappen oder anderweitig stark begrenzen, wird es keine Investitionen mehr geben.

Zum Streitgespräch auf tagesspiegel.de

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