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Markus Beumer und Michael Hüther im Handelsblatt Interview 15. Mai 2014

"Wir wissen viel mehr über unsere Kunden als Google und Facebook"

Der Mittelstandsvorstand der Commerzbank, Markus Beumer, und der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, Michael Hüther, sprechen im Interview mit dem Handelsblatt über Investitionsmuffel, die Attraktivität der Industrieländer und Big Data.

Einige Banker hoffen ja, dass die Investitionen deutscher Unternehmen nach einer langen Phase der Zurückhaltung wieder steigen. Teilen Sie diesen Optimismus?

Hüther: Nein. Zwar haben wir nach der Krise eine Belebung der gesamtwirtschaftlichen Investitionen gesehen, aber wir sind noch nicht einmal wieder auf Vorkrisenniveau angekommen. Der Cash-Bestand der Unternehmen ist hoch, offensichtlich fehlt ihnen eine Wachstumsperspektive.

Auch im Ausland?

Beumer: Der Hype um die Emerging Markets nimmt eher ab. Nur 19 Prozent der Befragten erwarten in den Brics-Staaten zusätzliches Geschäftspotenzial. Die Bereitschaft, im Ausland in eigene Standorte zu investieren, ist bei Unternehmen zurückgegangen. Doch jene, die vor Ort aktiv sind, lassen sich nicht abschrecken.

Hüther: Vielleicht liegt das auch daran, dass der Aufschwung derzeit von den Industrieländern getragen wird. Das ist bemerkenswert, denn vor der Krise waren die Schwellenländer ein wichtiger Wachstumsmotor. Nun nimmt man stärker Probleme und Hemmnisse in diesen Ländern wahr. Das schmälert deren Anziehungskraft.

Zeigt sich das auch in der Kreditnachfrage?

Beumer: Teils teils. Eine gewisse Belebung beobachten wir derzeit weniger bei Investitionskrediten, sondern bei der Finanzierung für Übernahmen. Da weiß man vorher, was man bekommt, selbst wenn man relativ viel zahlt. Die Planungsunsicherheit ist geringer. Ich kann mich an keinen Kundentermin während der letzten Monate erinnern, bei dem jemand über seine Pläne für ein neues, großes Werk geredet hätte.

Die Studie zeigt: Unternehmen finanzieren Investitionen zunehmend anders als über Kredit. Müssen da die Banken nicht ihr Geschäftsmodell ändern?

Beumer: Der Kredit als Ankerprodukt ist wichtig, um auch andere Geschäfte mit einem Unternehmen abzuschließen. Kredite machen nur die Hälfte unseres Geschäfts aus, die andere Hälfte ist Cross Selling.

Volkswirte kritisieren in der Studie auch, dass Unternehmen auf Kredite verzichten, ihnen ist ihre Unabhängigkeit wichtiger. Was soll daran so verkehrt sein?

Beumer: Wir zwingen unseren Kunden keine Kredite auf. Aber uns interessiert die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens. Meine Perspektive ist relativ simpel: Kann das Unternehmen auf Dauer wettbewerbsfähig sein, wenn es nicht investiert? Meiner Ansicht nach lautet die Antwort: 50:50. Es könnte viele Firmen geben, die ihre Marktposition gefährden, wenn sie nicht in Wachstum oder in Innovationen investieren. Das macht mir Sorgen. Denn die Folgen des Nichtinvestierens sieht man erst übermorgen.

Laut Studie investieren die Firmen gleichermaßen in den Bestand des Unternehmens und in Wachstum. Sind sie also dümmer als die Banken?

Beumer: Es geht nicht um dümmer oder schlauer, es geht um die Wahrnehmung. Wenn Sie einen Unternehmer fragen, wie viel er früher investiert hat und wie viel das heute ist, dann weiß er oft keine Antwort.

Wird der deutsche Mittelstand abgehängt?

Beumer: Deutschland ist mehr denn je vom Welthandel abhängig. Wenn andere Länder stärker in Innovationen investieren, dann könnten deutsche Firmen Marktanteile verlieren. Wenn die Investitionsquoten hier auf Dauer niedriger bleiben als im Ausland, dann wird das Konsequenzen haben.

Wie deutlich sagen Sie das den Investitionsmuffeln im Kundengespräch?

Beumer: Wir fordern unsere Kunden schon heraus - und das wollen die auch. Wir thematisieren ihre Pläne, fragen, ob sie organisch oder durch Übernahmen wachsen wollen. Wir sagen ihnen auch, wenn wir den Eindruck haben, dass einzelne Wettbewerber weiter sind. Im Handel geht es regelmäßig darum, wie sich ein Unternehmen gegen die Großen in der Branche aufstellt - oder wie es mit dem Internet umgeht. Wenn sich die Unternehmen auch diese Fragen gestellt haben, ist alles gut. Wenn nicht, dann werden wir manchmal unruhig.

Laut Studie suchen auch die Unternehmen bei den Banken Ideen für ihre Investitionen. Sind deutsche Unternehmen so fantasielos?

Beumer: Das ist ein sehr interessantes Ergebnis. Einerseits sagen die Unternehmen, dass sie Banken für keine unabhängigen Berater halten, andererseits wollen sie Ratschläge. Wir beobachten, dass unsere Kunden meist sehr beeindruckt davon sind, wenn wir ihnen sagen, welchen Kreditspielraum wir ihnen einräumen würden. Das interessiert sie sogar dann, wenn sie keinen Kredit wollen. Diese Analyse ändert ihren Blick auf sich und ihre Möglichkeiten.

Die Bank als Lackmustest…

Beumer: Ja, als Lackmustest. Das fordern die Unternehmen ein. Sie wollen nicht, dass wir ihnen sagen, dass alles ganz leicht und einfach ist. Die Kunden wollen eine klare Aussage sowie transparente und schnelle Kreditentscheidungen. Wir haben dafür eine immense Datenbasis - es grenzt nahezu an Big Data. Wir wissen viel mehr über unsere Kunden als Google oder Facebook.

Könnten die Banken einen Investitionsboom im deutschen Mittelstand auch finanzieren? Oder bremst die Regulierung die Vergabe langfristiger Darlehen?

Beumer: Es gibt eine gewisse Unsicherheit in der Branche. Unsere Antwort ist klar: Wir haben längst eine Kreditinitiative gestartet, um ebendiesen Bedarf zu sättigen, der sich da möglicherweise auftut. Für uns ist das eine Chance. Wir haben nicht besonders viele Langfristkredite ausstehen. Wir können da also noch wachsen. 2013 haben wir im Kreditvolumen um sechs Prozent zugelegt.

Hüther: Bislang lässt sich in der Tat kein Finanzierungsengpass beobachten, das zeigt ja auch die Entwicklung des Kredithürde-Index des ifo-Instituts. Offenkundig können die Unternehmen, die es wollen, investieren. Die Investitionsschwäche hat also nicht mit einer Kreditrestriktion zu tun.

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