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IW-Direktor Michael Hüther
Michael Hüther im Luxemburger Wort Interview 7. Februar 2020

Investitionen: „Wir sind zu langsam beim Ausbau europäischer Infrastrukturen”

Das starre Festhalten an der deutschen Schuldenbremse stößt zunehmend auf Kritik unter Ökonomen, die einen Investitionsstau zu lasten künftiger Generationen sehen. IW-Direktor Michael Hüther plädiert im Gespräch mit dem „Luxemburger Wort” für Investitionsfonds für Deutschland und Europa.

Herr Hüther, Ihre Kritik richtet sich vor allem gegen die deutsche Fixierung auf die „schwarze Null“ und insbesondere auf die Schuldenbremse, die die staatliche Nettoverschuldung in Deutschland auf höchstens 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts begrenzt. Halten Sie die entsprechende Verfassungsänderung vor etwa zehn Jahren für einen Fehler?

Nein, zu dem Zeitpunkt, als die Schuldenbremse verabschiedet wurde, war das eine richtige Maßnahme. Erinnern Sie sich einmal zurück daran, was Sie im Januar 2010 erwartet haben für die damals bevorstehende Dekade. Wir standen damals vor dem Hintergrund einer schweren Wirtschaftskrise. In Deutschland war das Bruttoinlandsprodukt im Jahresdurchschnitt um fünf Prozent geschrumpft. In kurzer Zeit war die Schuldenstandsquote von rund 60 auf 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) angestiegen. Es hatte also Gründe, warum man damals nach neuen Formen der Schuldenregulierung gesucht hat.

Inwieweit hat sich die Situation seither verändert?

Es gab zwei wesentliche Veränderungen in den Jahren 2018 und 2019, die dazu geführt haben, den Blick auf die Schuldenbremse zu verändern. Das eine ist, dass Deutschland wieder maastrichtkonform ist. Die Schuldenstandsquote ist 2019 knapp unter 60 Prozent des BIPs gefallen. Es hätte niemand erwartet, dass es gelingt, in relativ kurzer Zeit die Schuldenquote von 80 auf knapp unter 60 Prozent zu senken. Der zweite neue Faktor ist, dass wir eine grundlegend veränderte Zinssituation haben.

Was hat sich denn in Bezug auf die Zinsen geändert?

Der Realzins ist kontinuierlich gesunken. Inzwischen ist der Zinssatz auf öffentliche Schulden geringer als die Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts. In einer solchen Situation verlagere ich durch Verschuldung keine Lasten auf die Zukunft, sondern beteilige die künftigen Generationen angemessen an der Finanzierung. Das ist eine grundsätzlich andere Lage. Damit verändern sich fundamental die Bedingungen für eine Schuldenbremse. Denn die Schuldenbremse macht ja vor allen Dingen Sinn vor dem Hintergrund einer Überforderung künftiger Generationen.

Was ist denn aus der Sicht eines Volkswirts der Grund für die dauerhaft niedrigen Zinsen?

Das kommt daher, dass inzwischen alle Nettosparer sind. Das gilt für die Unternehmen, die privaten Haushalte und seit 2011 auch für den deutschen Staat. Wenn alle volkswirtschaftlichen Sektoren Nettosparer sind, wie soll dann der Realzins steigen? Das ist eine einfache Frage von Angebot und Nachfrage. Wenn es keine Nachfrage nach Kredit gibt, dann drückt das nun mal den Preis, und das ist der Realzins.

Woran liegt es, dass es eine so viel geringere Nachfrage nach Krediten gibt?

Einmal die Demografie; mit Blick auf die Altersversorgung sparen die private Haushalte eher als sich zu verschulden. Bei den Unternehmen war nach der Krise zu beobachten, dass sie ihre Kreditbestände abgebaut haben und ihr Eigenkapital erhöht haben. Daneben hat die zunehmende Digitalisierung den Effekt, dass die Firmen einen geringeren Kapitalbedarf haben.

Warum brauchen die Unternehmen heute weniger Geld?

Im Großen und Ganzen investieren Unternehmen heute viel weniger in große Anlagen und Maschinen, sondern in IT-Plattformen. Auch das kostet natürlich Geld, aber der Kapitalbedarf ist grundsätzlich geringer als in einer klassischen auf Sachkapital bezogenen Ökonomie. Hinzu kommen die Effekte der sogenannten „Superstar“-Unternehmen wie Google oder Apple. Die sind in bestimmten Bereichen so weit in Führung in Bezug auf Wettbewerbsfähigkeit, Durchdringung mit digitalen Ansätzen und Renditen, dass die nicht so gut aufgestellten Unternehmen überhaupt nicht mehr die Wahrscheinlichkeit sehen, dass sie den Superstar einholen. Das heißt, sie investieren dann weniger in diese Bereiche. Aufgrund dieser Faktoren ist dauerhaft mit einem sehr niedrigen Zinsniveau zu rechnen. In dieser Beziehung sind wir in einer anderen Welt angekommen.

Der Staat kann sich so günstig verschulden wie nie zuvor. Wie genau sieht Ihr Vorschlag zur Lockerung der Schuldenbremse aus?

Allein in Deutschland gibt es Investitionsrückstände wie in der Bildung und neue Bedarfe, zum Beispiel für Digitale Infrastruktur und Klimapolitik von vorsichtig geschätzt rund 450 Milliarden Euro. Ein Investitionsfonds könnte über einen Zeitraum von zehn Jahren jährlich eine Summe von 45 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. So ein Sonderhaushalt hat den großen Charme, dass er transparent ist. Ich kann jetzt jedes Jahr schauen, was genau mit den Mitteln passiert ist.

Sehen Sie einen Investitionsstau auch europaweit?

Die Situation ist in den jeweiligen Ländern natürlich unterschiedlich. Aber grundsätzlich sind wir einfach zu langsam, was den Ausbau der europäischen Infrastrukturen wie das Eisenbahn- oder Stromnetz angeht. Das könnte man nach einem ähnlichen Modell mit einem europaweiten Investitionsfonds angehen und über gemeinsame Bonds finanzieren.

Wer würde solche Bonds ausgeben?

Das könnte man über die Europäische Investitionsbank tätigen. Man könnte auch gucken, ob die Europäische Union eigene Anleihen begibt für ihre Investitionen. Das wären sehr sichere Anleihen, und an den Kapitalmärkten gibt es einen sehr hohen Bedarf nach sicheren Anlagemöglichkeiten.

Zum Interview auf wort.lu

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