Der Welthandel ist aufgrund von Lieferengpässen durch die Coronapandemie und den russischen Angriff auf die Ukraine aus dem Gleichgewicht geraten. Die politische Weltlage ist seitdem angespannter: Das Verhältnis zu China hat sich verschlechtert und die Beziehungen zu Russland sind eingefroren. Im Interview mit Makronom spricht IW-Direktor Michael Hüther über die Folgen für deutsche Unternehmen, Welthandel und Wohlstand.
„Wandel durch Handel ist nicht obsolet geworden“
Herr Hüther, schon vor den krisenbedingten Engpässen hatten sich die Lieferketten zunehmend fragmentiert – eine Entwicklung, die offenbar mit Kosteneinsparungen einherging. Die internationale Arbeitsteilung ist aber zunehmend gefährdet. Welche Branchen sind besonders von Problemen betroffen?
Das Geflecht der Lieferbeziehungen und die Netze der Wertschöpfung sind Ausdruck von Spezialisierungsmustern, die angesichts der Marktstrukturen, der Wettbewerbsbedingungen und der institutionellen Gegebenheiten zustande gekommen sind. Dabei differiert die Betroffenheit der krisenbedingten Engpässe und Probleme stark nach Branchen und einzelnen Unternehmen. Die Komplexität der Lieferbeziehungen ist seit geraumer Zeit geoökonomischer und geopolitischer Volatilität ausgesetzt, die durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine eine besondere Bedeutung erlangt hat. Grundsätzlich gilt, dass die Betriebskosten des weltwirtschaftlichen Systems aus drei Gründen deutlich angestiegen sind: höhere regulatorische Kosten wegen stärkerer regionaler Integration statt regelbasierter multilateraler Ordnung, höhere betriebswirtschaftliche Ausgaben für Sicherheit (Cyber Security), höhere Kosten für Energie. Dazu kommt die – vermutlich – transitorische Störung der Logistiksysteme. Besonders zu spüren ist dies in den international vernetzten Branchen, so haben die Autoindustrie und der Maschinenbau besondere Probleme mit der Beschaffung von Halbleitern.
Welche Strategie ist hier den Unternehmen zu empfehlen? Sollte die Lagerhaltung erhöht werden? Oder die Bezugsquellen diversifiziert?
Es ist zuerst und vor allem eine Aufgabe der Unternehmen, die mit den Lieferstrukturen und Wertschöpfungsnetzen verbundenen Risiken zu managen. Dazu gehört, sich nie an einen Standort so zu binden, dass dessen Gefährdung ein Existenzrisiko für das Unternehmen begründet. Daneben sind eine bewusste Diversifikation der Bezugsquellen und eine größere Lagerhaltung empfehlenswert, aber freilich nicht immer durchführbar. Allein Taiwan vereint über 66 Prozent der Halbleiterproduktion auf sich, sodass Alternativen hier schwer zu finden sind. Dazu kommt eine umfassende Nachhaltigkeitsregulierung der Lieferketten, was besonders den Mittelstand betrifft. Die Anforderungen an die Standortentscheidung für Unternehmen nehmen zu und führen zu zusätzlichen Kosten.
Eine höhere Lagerhaltung, der Verzicht auf Skalenvorteile und die Diversifizierung der Bezugsquellen würde die Kosten der Unternehmen steigen lassen. Führen solche Präventionsmaßnahmen generell zu höheren Preisen?
Wie gesagt: Die Betriebskosten des weltwirtschaftlichen Systems sind grundsätzlich angestiegen, was auch für die Konsumenten dauerhaft spürbar sein wird. Die bisherige Phase der Globalisierung nach Zerfall der Sowjetunion und vor allem seit Eintreten Chinas in die WTO im Jahr 2001 war jedoch geprägt durch kompetitive Vorteile und globale Arbeitsteilung, was umfangreiche Potenziale für Kosteneinsparungen eröffnete. Mit der offenkundigen Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas gilt nun die Prämisse, dass man kritische Abhängigkeiten identifizieren und möglichst reduzieren sollte. Eine Risikominimierung ist oft mit Kosten verbunden, die man als Art Risikoprämie zu tragen hat. Eine Diversifikation hat somit für sich genommen einen Preis. Eine kritische Abhängigkeit von einzelnen Handelspartnern in Zeiten multipler Risiken wie geopolitischer Konflikte, Klimakrise oder demographischer Wandel könnte unter Umständen aber noch teurer sein. Die Konsumenten in den westlichen Industrieländern, die durch die Globalisierung der vergangenen drei Jahrzehnte über Preisrückgänge, Innovationsdynamik und Optionsmehrung sehr stark profitiert haben, werden darauf für längere Zeit nicht mehr setzen können.
Auch die Abhängigkeit vom großen Absatzmarkt China kann sich für einige Branchen zum Problem auswachsen, vor allem wenn die chinesische Politik stärker ins Blickfeld genommen wird – zum einen wegen der Bedrohung des Nachbarn Taiwan, zum anderen durch Menschenrechtsverletzungen im Inland. Sollte der Außenhandel mit China eingeschränkt werden?
Man kann China als Handelsmacht, als Investitionsstandort und als Absatzmarkt auch künftig nicht übergehen und es sollte keine Entkopplung im Sinne einer übergreifenden Strategie oder politischen Orientierung erfolgen. Aber es ist mehr auf Diversifizierung von Beschaffungsquellen zu achten, vor allem mit Blick auf die Abhängigkeit von strategischen Rohstoffen wie Seltene Erden. Zudem sollte die Politik keine besonderen Anreize für unternehmerische Aktivitäten in China setzen und über die staatliche Absicherung von politischen Risiken durch Investitionsgarantien das unternehmerische Investitionskalkül verzerren.
Bieten sich alternative Handelspartner an?
Die Politik sollte Partnerschaften mit Ländern der ASEAN, zu denen unter anderen beispielsweise Indonesien und Thailand gehören, sowie zum weiteren Globalen Süden pflegen und ausbauen. Die Indo-Pazifik-Strategie der letzten Bundesregierung hat in diese Richtung gewiesen. Die geopolitischen Herausforderungen haben zugenommen: Neu gegründete und ausgeweitete Handelsabkommen fordern die EU als Freihandelszone heraus. Hinzukommt die Global Power Competition, in der die EU mit ihrer geopolitischen und geoökonomischen Strategie echte Alternativen (wie mit dem Programm Global Gateway) zu den chinesischen Offerten wie der Seidenstraße bieten muss, um attraktiv und wettbewerbsfähig für andere Potenzialregionen des globalen Südens zu bleiben resp. zu werden. Trotz der Erfahrung mit Russland ist die Perspektive „Wandel durch Handel“ im Grundsatz nicht obsolet geworden; aber genaueres Hinsehen ist immer schon richtig gewesen.
Ist es sinnvoll und möglich, geopolitische Überlegungen im Außenhandel anzuwenden?
Es ist lange übersehen worden, dass Globalisierung ein normativ geprägtes Projekt ist, das aus Sicht des transatlantischen Westens – anders als nach 1989 erwartet – schon lange kein Selbstläufer mehr ist. Der Systemwettbewerb mit China ist zum Systemkonflikt gereift. Dennoch ist in der aktuellen Handelspolitik Pragmatismus gefordert. Partnerschaften müssen neu bewertet, aber gleichzeitig auch neu entdeckt werden. Die Handelspolitik darf nicht überlagert und gehemmt werden durch zu hohe universelle Standards und Ansprüche des Westens an seine Handelspartner. Denn natürlich schaffen wechselseitige Beziehungen auf Grundlage der Prinzipien der Reziprozität und des Level-Playing-Field Perspektiven der Kooperation, bei allen Unterschieden. Gerade in der aktuellen Zeit geopolitischer Spannungen benötigen wir Beziehungen zu vielfältigen Handelspartnern, sollten aber zugleich Handelsabkommen mit möglichst stabilen Demokratien vorantreiben. Vorbilder könnte hierbei Australien oder Neuseeland sein. Diese Länder vereinen eine wertegeleitete Außenpolitik mit pragmatischen themenspezifischen oder regionalen Kooperationen. Internationale Themen-Clubs und Investitionsschutzabkommen wie mit den USA (Trade and Technology Council, TTC) würden hierbei einen Schritt in die richtige Richtung darstellen.
Diese Überlegungen gehen sogar so weit, den internationalen Handel in zwei Einflusssphären zu sortieren. Ist dies vorstellbar und würde das zu einer Deglobalisierung führen?
Es ist deutlich zu beobachten, dass derzeit die Geopolitik die Geoökonomie dominiert, nachdem ein Wandel des Systemwettbewerbs zwischen Staatskapitalismus und liberaler sozialer Marktwirtschaft zum Systemkonflikt einsetzte. Die globale Vernetzung wird bipolarer, fragmentierter und immer mehr durch geopolitische Einflusssphären bestimmt. Dennoch benötigen Herausforderungen wie der Klimawandel oder eine Pandemie zwingend eine internationale Kooperation und Zusammenarbeit. Nicht zuletzt basiert das deutsche Geschäftsmodell auf einer starken Exportwirtschaft, die weiterhin der Wachstumsmotor sein wird. Daher sollten Tendenzen, die zu einem radikalen Decoupling z.B. von den USA und China führen, vermieden werden. Eine Deglobalisierung eröffnet zudem grundsätzlich keine friedlicheren Aussichten, sondern begründet nur befristet die Illusion auf Sicherheit – die aber kann es nur im weltweiten Grundkonsens geben. Die UN bleibt dafür wichtig. Zentral ist aber auch, dass der Westen sein Modell nicht als die einzig denkbare Form der Staatlichkeit bewertet, sondern mehr Verständnis für unterschiedliche Traditionen aufbringt. Dazu gehört natürlich ein Mindestmaß an gegenseitig akzeptablen Grundsätzen wie die schon genannte Reziprozität, Level-Playing-Field, Meistbegünstigung etc.
Einmal angenommen, der Import von Vorprodukten sollte eingeschränkt werden. Wie ließe sich die Produktion in den heimischen Markt zurückholen? Bietet die Nutzung von technischen Entwicklungen (Digitalisierung, 3D-Drucker) hier eine Möglichkeit?
Zunächst müssen unternehmerischen Entscheidungen, dass bestimmte Produktionsprozesse nicht nationalisiert werden können, beachtet und akzeptiert werden. Darüber hinaus bietet die Digitalisierung nicht nur die Möglichkeit, Prozesse zu beschleunigen, sondern auch neue Geschäftsfelder zu erschließen. Die Digitalisierung als eine der großen Disruptionen unserer Zeit muss also vorangetrieben werden, auch um die Auswirkungen der anderen Disruptionen, wie dem demographischen Wandel oder dem Klimawandel, entgegenzuwirken. Augmented Manufacturing ist natürlich ein Faktor, die Geografie des Handels und der Wertschöpfungsketten zu verändern, wenn die Transportkosten wichtiger werden als die Differenz der Standortkosten (vor allem der Arbeitskosten). Aber wenn das global Sourcing weniger möglich würde, bleibt immer noch der Weg, in anderen Standorten nach neuen Optionen zu suchen. Es kann also auch zu Desinvestitionen in Deutschland kommen. Eine politische Ratio hätte die Anregung eines lokalen Sourcing jedenfalls nicht.
Unternehmen mögen betriebswirtschaftliche Gründe haben, die Produktion an den Heimat-Standort zurückzuführen. Wenn außenpolitische Überlegungen einen Strategiewechsel erfordern, müsste aber die Politik die Unternehmen unterstützen. Welche Instrumente sollten dafür genutzt werden?
Die Ansiedlung von strategisch wichtigen Industrien, z.B. von Tesla in Grünheide und Intel in Magdeburg, wurde in den letzten Jahren in Deutschland erfolgreich umgesetzt. Dabei spielte – im Rahmen der EU-Beihilfenregelung – das Angebot von Subventionen eine wichtige Rolle. Deutschlands Standortvorteile sind die hochqualifizierte Erwerbsbevölkerung, eine anwendungsorientierte Hochschullandschaft sowie ein grundsätzlich enges Netz an Verkehrsinfrastruktur mitten in Europa. Subventionen zur Anwerbung von Großprojekten können sich in einigen Fällen sicherlich auszahlen, jedoch sollte die Politik alles tun, um die Standortvorteile zu sichern und auszubauen. Dazu gehört ein kontinuierliches Angebot an qualifizierten Arbeitskräften, die Beibehaltung starker Hochschulen sowie die Entlastung und der massive Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Diese Schlüsselqualifikationen gilt es weiterhin zu auszubauen und zu nutzen.
Mit dem Ukrainekrieg hat sich in der EU und insbesondere in Deutschland eine Energiekrise entwickelt. Sind die hohen Energiepreise ein vorübergehendes Phänomen?
Aktuellen Prognosen folgend werden die Energiepreise in Deutschland mittelfristig erst einmal hoch bleiben, jedenfalls höher als vor dem Ausbruch des Krieges. Deutschland hat mit der Glas- und Keramik-, der Papier- sowie der Chemieindustrie und der Metallverarbeitung viele energieintensive Unternehmen, welche bereits erheblich Einsparungen bei Gas vorgenommen haben, aber durch ihre Position im internationalen Markt an Wettbewerbsfähigkeit einbüßen müssen. Der Fuel switch, zum Beispiel die Umstellung von Gas auf Öl, ist nicht immer unmittelbar zu vollziehen und wird zudem von bürokratischen Hürden gehemmt. Daher sind der Ausbau und das Vorantreiben der grünen Transformation weiterhin oberste Priorität, um langfristig den Anschluss an den Weltmarkt und die deutsche bzw. europäische Wettbewerbsfähigkeit nicht zu verlieren. Gas war dabei nur als Brückentechnologie gedacht, derzeit ist es wegen des Rückstands beim Ausbau der Erneuerbaren, des Ausstiegs aus der Atomenergie sowie saisonaler Umstände (Revision der französischen Kernkraftwerke) zu einer Dauernutzung von Gas für die Stromproduktion gekommen. Es gibt noch keine Perspektive, wie die Lücke von Gas in der Transformation schnell reduziert werden kann.
Welche Maßnahmen halten Sie für erforderlich?
Kurzfristig wäre ein Weiterlaufen der Atomkraftwerke – und zwar auch der drei, die 2021 abgeschaltet wurden, also insgesamt sechs AKWS – eine einfache und kostengünstige Maßnahme. Viel wichtiger wäre es, dass die Geschwindigkeit des Ausbaus der erneuerbaren Energien endlich an Fahrt aufnimmt. Hier haben in den letzten Jahren überbordende Bürokratie, exzessive Bürgerproteste und eine zögerliche Politik viele Möglichkeiten verspielt. Mit dem EEG 2023 soll alles nun besser und schneller werden; das Osterpaket hat eine Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren gebracht. Die muss nun endlich von allen föderalen Ebenen genutzt und umgesetzt werden.
Wie ordnen Sie die Determinanten der Preisentwicklung ein?
Die Inflation in Europa ist in erster Linie eine importierte Teuerung, resultierend aus einem Angebotsschock und politischen Preisen auf den Weltmärkten. Die hohen Energieimportpreise sind die größten Treiber der Preissteigerungen; nur rund ein Drittel der Konsumentenpreisinflation beruht auf der Kerninflation, also ohne Energie- und Nahrungsmittelpreise. Belastend wirkt auch die Abwertung des Euro. Die Erzeuger- und Importpreise sind daher noch viel stärker gestiegen als die Verbraucherpreise. Dies unterscheidet die Situation in Europa von der in den USA, wo die Überhitzung des Marktes von einem Nachfrageüberhang ausgeht, der durch die gigantischen Konjunkturprogramme der US-Regierung im Zuge der Corona-Pandemie ausgelöst wurde.
Die EZB ist bemüht, die Inflation mit einer Leitzinserhöhung in den Griff zu bekommen. Diese wirkt vor allem auf die Nachfrage. Wie bewerten Sie die EZB-Politik?
Die EZB musste auf die starken Preissteigerungen reagieren und liegt mit den Leitzinserhöhungen daher richtig. Leider kam die Neutralisierung der Geldpolitik – Beendigung der unkonventionellen Maßnahmen und der Negativzinsen – zu spät. Die Zinsschritte in diesem Jahr kamen aber noch zur rechten Zeit und waren richtig dimensioniert. Klar ist allerdings, dass die EZB auf schmalem Grat wandert. Denn die importierte Teuerung kann sie nur um den Preis einer Stabilisierungsrezession bekämpfen, denn verursacht hat die Zentralbank die Teuerung nicht. Zugleich aber kann sie über die Stabilisierung des Wechselkurses und der Inflationserwartung bereits kurzfristig dämpfend wirken. Zudem steht die EZB nach den kräftigeren und früheren Zinserhöhungen durch die Fed unter Zugzwang, um hohen Kapitalabflüsse aus Europa entgegenzuwirken, was den Euro weiter destabilisieren und die Inflation zusätzlich antreiben würde.
Aber ist ein schwacher Euro nicht eine Hilfe für den Export?
Die Probleme der europäischen Exportwirtschaft liegen nicht in fehlendem Absatz, sondern in der Beschaffung. Ein schwacher Euro verteuert Importe von Vorprodukten und Energie massiv, die aber für die Produktion zwingend benötigt werden. Ein aktuell starker Dollar verteuert die so dringend benötigten LNG-Lieferungen, was die Energiepreise – als einen der Haupttreiber der Inflation in Europa – weiter ansteigen lässt. Im Übrigen ist die Position der deutschen Unternehmen – Weltmarktführer, Hidden Champions – auf den internationalen Märkten nicht primär vom Preis abhängig. Exportförderung ist keinesfalls eine Aufgabe der Notenbank.
Derzeit wird befürchtet, dass die hohen Energiepreise eine Insolvenzwelle auslösen könnten. Staatliche Hilfe wird gefordert. Welche Maßnahmen wären hier sinnvoll?
Bereits bestehende Instrumente wie das Bund-Länder-Bürgschaftsprogramm und das Energiekostendämpfungsprogramm zielen auf die Bedarfe der energieintensiven Branchen ab. Auch gibt es Entlastungsmaßnahmen wie die Haftungsfreistellung oder die einfachere Verfügbarkeit von Krediten, nicht zuletzt werden Zuschüsse in Höhe von 5 Mrd. Euro ausgezahlt. Das alles wird aber nicht reichen, wir benötigen eine schnelle Liquiditätsstabilisierung der Unternehmen, antragsabhängige Hilfen sind zu langsam. Eine unbürokratische und bislang ungenutzte Entlastungsmaßnahme für Unternehmen könnte das Steuerrecht bieten, indem Vorauszahlungen der Einkommen-, der Körperschaft-, der Gewerbe- und der Umsatzsteuer automatisch gestundet werden und auf Antrag gezahlte Vorauszahlungen erstattet würden. Das würde im Wesentlichen nur zu einer Verschiebung der Steuerzahlungen führen und wäre europarechtlich kein Problem.
Staatliche Unterstützung für Haushalte und Unternehmen kann es erleichtern, die höheren Energiepreise zu verkraften. Macht diese Hilfe es aber auch leichter, höhere Preise durchzusetzen und damit die Inflation weiter zu erhöhen?
Es gibt gewisse Preisüberwälzungsmöglichkeiten, insgesamt sind diese aber je nach Wettbewerbsintensität begrenzt. In der aktuellen Notsituation wäre es gesellschaftlich vollkommen inakzeptabel, wenn ungerechtfertigte Preiserhöhungen gemacht würden. Die Entwicklung ist so volatil und dramatisch, dass die Kostensteigerungen allein schon massiv zur Preiserhöhung und Inflation beitragen. Die Hilfen zielen aber darauf, Privatinsolvenzen und Unternehmensinsolvenzen zu verhindern, um die Volkswirtschaft zu stabilisieren.
Zusammengefasst lässt sich wohl sagen, dass die deutsche Wirtschaft mit einer Multikrise in Hinblick auf geopolitische Anforderungen, Energiepreise und den nötigen ökologischen Umbau konfrontiert ist. Was heißt das für Wachstum und Wohlstand? Und welche Anpassungsmaßnahmen halten Sie für prioritär?
Die hohe Unsicherheit macht es momentan schwer, eine treffsichere Prognose für das Wirtschaftswachstum abzugeben. In diesem Jahr haben Nachholeffekte in den ersten beiden Quartalen sowie massive Staatsausgaben das Wachstum noch angetrieben, die Nettoexporte und Ausrüstungsinvestitionen sind zurückgegangen. Der abflauende Konsum durch die hohen Energiepreise schwächt das weitere Wachstum. In der deutschen Wirtschaftsgeschichte stützte in Konjunktureinbrüchen meist entweder der inländische Konsum oder die Exportwirtschaft das Wachstum, nun erleben wir das erste Mal seit 1982/83 einen Konjunktureinbruch durch inländischen Nachfragerückgang. Der Nachfrageschock wird vor allem im kommenden Jahr spürbar sein, aber es besteht auch die Möglichkeit, dass die Weltwirtschaft sich wieder etwas erholt. Langfristig müssen wir wohl Wohlstandsverluste hinnehmen, denn der Staat kann die Inflation, die von externen Effekten getrieben wird, nicht vollständig ausgleichen. Zugespitzt sind zwei Szenarien realistisch beschreibbar: Eine Rezession in einem Zeitraum von einem bis anderthalb Jahren, bei der die Geschäftsmodelle der Unternehmen aber im Grundsatz intakt bleiben, oder eine schwere Deindustrialisierungskrise bis zum Ende des Jahrzehnts.
Zum Interview auf makronom.de.
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