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IW-Direktor Michael Hüther
Michael Hüther in der Wirtschaftswoche Interview 10. Januar 2019

Globalisierung: „Viele sind beim Thema China viel zu naiv”

Mit umstrittenen Methoden steigt China zur neuen Weltmacht auf. Im Interview mit der Wirtschaftswoche richtet IW-Direktor Michael Hüther deshalb warnende Worte an Wirtschaft und Politik.

Herr Hüther, Deutschland ist ins zehnte Aufschwung-Jahr gestartet. Wie lange geht das noch gut?

Für die nahe Zukunft bin ich halbwegs optimistisch.

Stehen wir 2030 auch noch so blendend da?

Die Unternehmen haben in der Vergangenheit eine beeindruckende Anpassungsfähigkeit bewiesen. Nur dadurch ist es gelungen, den Anteil der Industrie an der Wirtschaftsleistung bei weit über 20 Prozent zu stabilisieren, während andere Länder anhaltend einen deutlichen Rückgang verzeichnen mussten.

Unser Erfolg hängt allerdings stark vom Export ab. Fürchten Sie nicht die Rückabwicklung der Globalisierung?

Eher fürchte ich, dass wir uns darüber hinweggetäuscht haben, dass es bei der Globalisierung vor allem um den Aufstieg Chinas geht. Zwar gibt es aufstrebende Staaten in Osteuropa, Länder in Südamerika, die aufgeholt haben, und Indien. Aber alle sind Wackelkandidaten. Eigentlich bleibt nur die gewaltige Dynamik Chinas.

Sind wir zu abhängig von China?

Der weltweite Chemiemarkt spielt zu rund 40 Prozent dort. VW setzt dort um die 40 Prozent seiner Autos ab. Das sind beachtliche Abhängigkeiten.

Führt das nicht zwangsläufig zu einem immer unkritischeren Blick auf China?

Schon, weil wir uns auf gewisse Weise selbst betrügen. Noch immer. Als der China-Boom begann, war unsere Annahme, dass sich Marktwirtschaft, Liberalismus und Demokratie einander bedingen, wir also nur lange genug Freihandel treiben müssen, damit China zu einer Demokratie wird. Das ist nicht passiert. Es gibt sogar eine Rückwärtsbewegung: Die Freiheit dort hat abgenommen. Trotzdem sollten wir uns dem Land nicht kategorisch verschließen.

Was folgt aus diesem Dilemma?

Zunächst einmal, dass wir es nicht länger ignorieren. Leider wird das Problem oft nicht anerkannt, viele sind im Umgang mit China viel zu naiv. Übrigens nicht nur Unternehmen, sondern auch die Politik.

Woran machen Sie das fest?

An vielen Einzelerlebnissen. Jeder pickt sich doch das heraus, was ihm gerade in den Kram passt. Etwa ein Konzernchef, der davon schwärmt, dass seine Firma in China binnen zehn Tagen eine Baugenehmigung bekommen hat, während es in Deutschland Jahre dauert. Der Vergleich ist aber absurd. Man kann China doch nicht zur Maxime für einen Rechtsstaat und einer Demokratie erheben, die zwangsläufig alle berechtigten Interessen berücksichtigen muss. Das dauert dann eben auch. Dafür gibt es in Deutschland hinterher keine Willkür.

Einige Politiker argumentieren ähnlich schlicht.

Die Unbedarftheit ist in der Politik zum Teil sogar noch ausgeprägter. Bei einem Kongress der Grünen habe ich erlebt, wie China überschwänglich für seine Fortschritte bei der Elektromobilität gelobt und die Bundesrepublik als rückständig gebrandmarkt wurde. Ich war von der Einfachheit der Argumentation so irritiert, dass ich ketzerisch in die Runde gefragt habe, ob Fortschritte bei E-Autos bedeuteten, dass nun auch die Menschenrechte gesichert seien.

Und?

Betretenes Schweigen.

Wie können Politik und Wirtschaft der Naivitätsfalle entkommen?

Die Politik muss sich vor allem den ordnungspolitischen Fragen stellen, die Firmen wiederum denen zur Unternehmensverantwortung.

Das Problem ist aber doch, dass Manager am ökonomischen Erfolg gemessen werden.
Richtig, aber ich bezweifle, dass der in China erzielte Gewinn nachhaltig ist - und dass unsere Gesellschaft es akzeptiert, dass deutsche Konzerne dort ihr Geld weiter so verdienen wie bislang. Wir sollten von unseren Firmen erwarten, dass sie im Ausland die zentralen Bedingungen des Heimatstandorts nicht vergessen. Sie haben doch nicht nur eine Gewinn-, sondern auch eine Verantwortungsorientierung.

„China systematisch kritischer zu sehen hat eben Konsequenzen für unsere Volkswirtschaft“'

Machen wir es konkret: In vielen Niederlassungen deutscher Firmen in China gibt es Zellen der Kommunistischen Partei, die auch spitzeln. Müsste der VW-Chef der Regierung sagen: „Entweder lasst ihr das, oder wir machen die Fabrik dicht?“

Ich würde pragmatisch rangehen und nicht gleich den gesamten Standort infrage stellen. China ist ja nicht das Saarland, sondern die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. Konsequenzen lassen sich dennoch ziehen.

Welche?  

Zum Beispiel nicht in eine einseitige Abhängigkeit hinein weiter zu expandieren. Und hinterm Werkstor sollte keine Firma fremdgesteuerte Strukturen dulden. Die Regeln, die sich ein Unternehmen gibt, und die Werte, die es lebt, können helfen, dort ethische Standards zu etablieren.

Und wenn die Regierung sagt: „Dann geht doch“?

Dann ist das eben so. Wir sollten uns bewusst sein, dass Parteizellen keine Folkloregruppen sind, sondern ein Beitrag zur Stabilisierung der Macht der Regierung. Was unseren Grundrechten widerspricht, sollte ein deutsches Unternehmen jedoch im Ausland nicht hinnehmen. Zwar muss es Kompromisse mit dem Staat geben, aber nicht um jeden Preis. Sonst verlieren die Firmen den Kampf gegen das Regime - ähnlich wie die politischen Stiftungen.

Sie meinen, dass es für deren Arbeit in China negative Auswirkungen haben kann, wenn sie in Deutschland eine Veranstaltung über Tibet machen.

Weitergedacht bedeutet das doch: Bald macht die chinesische Regierung ein Siemens-Werk dicht, weil es in der Konzernzentrale in München einen Diskussionsabend über Menschenrechte gab. Wollen wir das?

Natürlich nicht. Aber ein Manager würde darauf verweisen, dass der riesige Absatzmarkt China auch in Deutschland Arbeitsplätze sichert.

Das wäre aber ein Beitrag zu mehr Ehrlichkeit. China systematisch kritischer zu sehen hat eben Konsequenzen für unsere Volkswirtschaft. Daraus folgt: Je kritischer wir gegenüber China sind, desto wettbewerbsfähiger müssen wir in Deutschland werden.

Welche Aufgaben ergeben sich daraus?  

Für die Wirtschaft lässt sich das leichter beantworten als für die Politik: Die Unternehmen müssen effizienter werden und sich andere Märkte erschließen, selbst wenn diese nicht so verheißungsvoll sind.

Und die Politik?  

Sie müsste sich eingestehen, dass sich durch Gespräche die Lage der Menschenrechte nicht automatisch verbessert - und schon gar nicht das System in Peking verändert. Die Berliner Energie sollte sich auch deshalb auf das eigentliche Zukunftsthema konzentrieren: Europa zu stärken.

Warum halten Sie das für entscheidend?  

Wir betrachten die Globalisierung meistens eindimensional, als gehe es nur um die beste Verteilung von Waren und Kapital auf den Weltmärkten. Dabei hat sie sich längst zum normativen Konflikt der Systeme entwickelt. Die Frage ist: Wessen Werte bestimmen die Zukunft - amerikanische, chinesische oder europäische? Und wir mögen noch so schöne Titel wie Exportweltmeister tragen, doch Deutschland ist global gesehen so klein, dass wir die Welt von unseren europäischen Werten nicht allein überzeugen können.

Zum Interview auf wiwo.de

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