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Michael Hüther und Harald Vogelsang in der Welt am Sonntag Interview 17. Februar 2013

"Sparer sind die Dummen"

Zur Reduzierung der Staatsschulden müssen Milliarden umverteilt werden. Wer bezahlt die Eurokrise? Es debattieren Haspa-Chef Harald Vogelsang und Top-Ökonom Michael Hüther.

Herr Hüther, man hört in jüngster Zeit so wenig von der Eurokrise. Ist sie vorbei?

Hüther: Nein, ist sie nicht, aber die Eskalationsphase ist vorbei. Die dauerte von Mitte 2011 bis in den Herbst 2012. Das war die Phase, in der die Märkte dominant darauf gewettet haben, dass die Eurozone auseinander bricht. Das hat sich im September vergangenen Jahres aus mehreren Gründen geändert. Dabei spielte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtmäßigkeit der vom Bundestag beschlossenen Stabilitätsmaßnahmen eine Rolle - und natürlich auch die Ankündigung der Europäischen Zentralbank zum Ankauf von Staatsanleihen. Nicht zu unterschätzen ist aber in diesem Zusammenhang ein Kurswechsel der Bundesregierung, nicht mehr den Austritt Griechenlands aus der Eurozone ernsthaft als Option zu erwägen. Seitdem ist eine Beruhigung eingetreten.

In Italien stehen Wahlen bevor, Berlusconi will gegebenenfalls das Sparprogramm nicht fortsetzen. Kann es erneut zu einer Eskalation kommen?

Hüther: Es gibt zweifelsohne weitere politische Risiken. Italien ist ein Punkt, und auch in Zypern ist vieles offen. Aber die grundsätzliche Frage, ob die Eurozone so weiter bestehen wird, wird nicht mehr gestellt.

Vogelsang: Allerdings reagieren die Märkte noch immer sehr nervös auf die Politik. So haben Äußerungen in Bezug auf den spanischen Ministerpräsidenten sofort ihren Niederschlag an den Börsen gefunden.

Warum sind die Märkte nervös?

Vogelsang: Weil sich das Grundproblem, nämlich die starke Überschuldung vieler Staaten, nicht aufgelöst hat. Daher halte ich die Lage weiterhin für unsicher.

Hüther: In so kurzer Zeit kann das Problem auch nicht gelöst werden. Man kann innerhalb von drei Jahren keine Staatsschuldenkrise bereinigen. Die Bundesregierung hat in den 80er-Jahren zehn Jahre gebraucht, um einen ausgeglichenen Staatshaushalt hinzubekommen, und das in einer wirtschaftlich stabilen Gesamtlage. Es war ein Riesenfehler der Politik, 2010 zu glauben, dass das Problem innerhalb von drei Jahren aufgehoben wird. Wir müssen also längerfristig denken. Es gibt aber keine sinnvolle Alternative dazu, diese Überschuldung mit wirtschaftspolitischen und finanzpolitischen Mitteln zu korrigieren.

Gibt es Zeichen für eine Besserung?

Hüther: Ja, durchaus. Die strukturellen Defizite der Krisenländer werden langsam geringer. Die Primärausgaben wurden deutlich gekürzt. Die Wettbewerbsfähigkeit bezüglich Arbeitskosten, Lohnstückkosten und Exportausrichtung wurde stark verbessert. Also, da ist etwas im Gang. Aber es dauert seine Zeit. Die Länder sollen nicht auf den alten Stand gebracht werden, sondern der in den Strukturen angelegte defizitäre Trend muss gebrochen werden.

Das Ganze wird von einer Niedrigzinspolitik begleitet, die zu einer großen Umverteilung führt, weil Sparer weniger Ertrag haben. Was sagt der Sparkassenchef dazu?

Vogelsang: Das beschäftigt uns alle, nicht nur Sparer, auch andere Geldanlagen und Altersvorsorgen sind davon betroffen. Die niedrigen Zinsen begünstigen die Aufnahme von Krediten und sind sicher zunächst ein Turbo für Investitionen und die wirtschaftliche Entwicklung. Sie kurbeln die Bautätigkeit an, und es kommt vermehrt zu Firmenübernahmen, was nicht nur positiv gesehen werden kann. Wirklich besorgniserregend ist daran aber die negative Realverzinsung für all diejenigen, die Geld zur Seite gelegt haben. Das haben wir seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt. Die Bundesregierung animiert die Bürger, etwas fürihre Altersvorsorge zu tun, bestraft sie auf der anderen Seite aber damit, dass das Zinsniveau unter dem Inflationsniveau liegt. Das passt nicht zusammen. Deshalb halte ich die Entwicklung langfristig für ungesund.

In den USA funktioniert die Niedrigzinspolitik doch auch ...

Vogelsang: ... weil die Situation dort völlig anders ist. US-Bürger haben ihre Altersrücklagen vor allem in Aktien und Immobilien angelegt. Eine Niedrigzinspolitik begünstigt diese Art der Altersvorsorge. In Deutschland haben die Bürger Lebensversicherungen oder Sparguthaben. Da wirkt sich das gleiche Rezept schädigend aus. Wir sind in Deutschland gegenüber anderen Euro-Ländern deshalb so erfolgreich, weil sich Sparen immer gelohnt hat. Das hat für Wertstabilität und eine sehr breite Aufstellung des deutschen Finanz- und Bankenwesens gesorgt, die sich vor allem durch die Sparkassen in der Euro-Krise als wetterfest erwiesen hat. Wenn die Sparsäule schrumpft, gerät die Kreditversorgung in Gefahr. Unsicheren Finanzgeschäften wird Tür und Tor geöffnet.

Was wäre eine Alternative?

Vogelsang: Es ist eine Frage der Dosierung. Im Moment sind die fleißigen Sparer die Dummen. Das Finanzieren auf Kredit ist so billig wie nie. Mittelfristig muss sich etwas ändern. Wir sind im Bundestagswahlkampf. Ich würde mir als Wähler die Frage stellen, welche Partei vertritt die Interessen der Sparer?

Hüther: Die Finanzrepression ist Ausdruck einer Funktionsstörung im Bankenwesen. Die Senkung der Zinsen war mit den Liquiditätsspritzen notwendig, um das Finanzsystem zu stabilisieren, wenn auch mit negativen Folgen. Ein Papier, das nicht einmal den Realzins sichert, braucht man nicht zu kaufen. Wenn trotzdem Staatsanleihen gekauft werden, geschieht das, weil der Sicherheit der Geldanlage zurzeit große Bedeutung beigemessen wird. In Europa kommt ein Argument hinzu: Es gibt ein starkes Nord-Süd-Gefälle, aber die unterschiedliche Verzinsung ist nicht schlüssig in Zusammenhang zu bringen mit den Risiken einer Staatsinsolvenz. Wenn ein Maschinenbauunternehmen in Tirol investieren will, rechnet es mit einem Zinssatz von 1,5 bis zwei Prozent. Zwölf Kilometer weiter in Südtirol, wo die Infrastruktur genauso gut ausgebaut ist, zahlt es für die gleiche Unternehmensfinanzierung drei Prozentpunkte mehr. So eine Unwucht gefährdet die Stabilität der Währungsunion. Und das wird in Deutschland noch viel zu wenig diskutiert.

Herr Vogelsang, was raten Sie denn jetzt Ihren Kunden?

Vogelsang: Trotz der ärgerlich niedrigen Zinsen raten wir, das Geld für Altersvorsorge oder Investitionen anzulegen und nicht auszugeben. Wer vor drei Jahren sein Geld für drei oder fünf Jahre angelegt hat, ist heute froh darüber. Wer alles verkonsumiert, hat nichts mehr, wenn die Zinsen wieder steigen. Die Geldanlage sollte eine gesunde Mischung beinhalten: Tagesgeldkonten, Sparpläne mit längerer Laufzeit, Immobilien mit Vorsicht und Aktien. Sie bieten nach wie vor einen Inflationsschutz.

Trotz des günstigen Umfelds ist die Aktienentwicklung allenfalls solide. Müsste die Aktie jetzt nicht eine richtige Renaissance erleben?

Hüther: Ich glaube, das Vertrauen ist dazu zu lange erschüttert worden. Im Jahr 2000 platzte die Blase der New Economy. Dann kam der 11. September 2001. Die Auswirkungen zogen sich hin bis Mitte 2003. Dann kam der Irak-Krieg. 2007 folgte die Bankenkrise. Das alles hat vor allem Kleinanleger, die sich nicht professionell mit der Anlageklasse Aktie befassen, verunsichert.

Vogelsang: Vor allem institutionelle Anleger gehen wieder verstärkt in Aktien, Versicherer, Pensionskassen, Stiftungen. Sie müssen dazu umschichten. Das geht nicht von heute auf morgen.

Herr Vogelsang, Sie haben die Immobilien als Anlageklasse mit Einschränkung genannt. Befürchten Sie hierzulande eine Immobilien-blase?

Vogelsang: Die sehe ich derzeit nicht, aber die Ingredienzien, um eine solche zu erzeugen, haben wir: eine hohe Nachfrage nach Betongold und extrem niedrige Zinsen. Das kann man nicht viele Jahre so laufen lassen.

Hüther: Auch nach unseren Forschungen gibt es keine Preisblase. Solange Immobilen stark eigenfinanziert sind, wird sich nichts ändern. Und wir sehen keinen Kreditboom. Zudem steigen die Preise nicht flächendeckend, sondern in den großen Metropolen. Wenn jetzt die Preise in Berlin steigen, ist das eine Entwicklung, die wir vor zehn Jahren schon erwartet haben. Bedenklicher wäre, wenn die Preise auch im Hintertaunus steigen. Das geschieht nicht.

Eine Urangst der Deutschen ist die Inflation. Was ist Ihre Prognose?

Hüther: Zumindest müssen wir beobachten. Wenn es dazu kommt, müssen wir höhere Zinsniveaus haben. Finanzrepression und Inflation gehen nicht gleichzeitig. Ich glaube, dass die Notenbank hier sehr aufpassen wird. Eine galoppierende Inflation ist nicht in Sicht.

Vogelsang: Ja gut, aber woher rührt denn die Angst vor der Inflation? Ich glaube, dass die Menschen weniger überhöhte Preissteigerungen befürchten, als vielmehr, dass ihr Geld weniger wert ist. Und genau das ist eingetreten - eben durch die negative Realverzinsung.

Sie haben den Bundestagswahlkampf angesprochen. Glauben Sie, dass die Themen, die wir eben besprochen haben, dort eine Rolle spielen?

Vogelsang: Im Moment kann ich das nicht erkennen. Die Politik muss nur wissen, dass sie sich auf Dauer mit den Sparern anlegt. Das ist in Deutschland zum Glück die größte Wählergruppe.

Hüther: Ich kann mit nicht vorstellen, dass es unter einer anderen Regierung zu einem Kurswechsel kommt, weil die bisherigen Entscheidungen von allen demokratischen Parteien mitgetragen worden sind. Für mich ist aber etwas völlig anderes entscheidend - nämlich, ob wir die Kraft zur Erneuerung haben. Vor zehn Jahren wurde die Agenda 2010 ins Leben gerufen, die zweifelsohne wesentlich dazu geführt hat, dass wir heute deutlich besser dastehen als früher und als andere Euroländer. Jetzt gibt es Tendenzen, das wieder zurückzudrehen. Und ich befürchte, dass wir die neuen Herausforderungen einfach verpennen. Wir brauchen eine Agenda 2020.

Zum Interview auf welt.de

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