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Michael Hüther in der Wirtschaftswoche Interview 17. September 2012

"Jens Weidmann hat recht"

Griechenland wird länger als geplant auf Finanzhilfen angewiesen sein. Auch 2020 kann das Land seine Schuldenlast noch nicht selber tragen. Im Gespräch mit der WirtschaftsWoche fordert der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, mehr europäischen Beistand für das Land.

Herr Hüther, Griechenland steht mal wieder vor der Pleite. Ist das Prinzip Geld gegen Auflagen gescheitert?

Der Ansatz kommt an seine Grenzen, wenn es um mehr geht als um ein Solvenzproblem. In Griechenland mangelt es am Staatsaufbau und an der Steuerungsmöglichkeit der Politik. Die politische Klasse hat jahrzehntelang versagt. Das geht weit über die Krisensituation in anderen europäischen Staaten hinaus. Dennoch gilt: Minus 17 Prozent bei den Primärausgaben sind nicht ohne – das entspräche bei uns Einsparungen von 180 Milliarden Euro. Jetzt kommen nochmals 11,5 Milliarden Einsparungen dazu.

Man kennt das Spiel. Wenn die Auszahlung der nächsten Kredittranche auf dem Spiel steht, fasst Athen große Beschlüsse. Dabei bleibt es dann.

Es macht aber auch keinen Sinn, alle drei bis vier Monate die Troika nach Athen zu schicken.

Was wäre denn die Alternative?

Die Aufgabe, vor der Griechenland steht, braucht eine Dekade. Das hat man bei der Transformation osteuropäischer Länder gesehen. Im Grunde geht es hier um einen ähnlichen Entwicklungsprozess.

Mehr Zeit heißt auch mehr Geld?

Nicht unbedingt. Vom ersten Paket in Höhe von 110 Milliarden Euro wurden bislang erst 77 Milliarden ausbezahlt. Natürlich müssten die Einsparungen beim Staat und die Trendumkehr bei den Lohnkosten langfristig verlässlich bleiben.

Wie könnte das gehen?

Die Europäische Union verlängert das Hilfsprogramm von jetzt drei auf zehn Jahre. Im Gegenzug muss Griechenland ein befristetes europäisches Beistandsrecht akzeptieren.

Was ist darunter zu verstehen?

Das sporadische Überprüfen der griechischen Politik wird in ein laufendes Monitoring überführt. EU-Beamte, die dem Währungskommissar unterstellt sind, sitzen dann ständig in Athen und sorgen dafür, dass Beschlüsse des griechischen Parlaments im Rahmen des Rettungsprogramms auch durchgesetzt werden.

Das klingt nach EU-Protektorat.

Überhaupt nicht! Es geht ausdrücklich nicht darum, die Legislative zu ersetzen. Aber: Wenn das Parlament in Athen eine Reform beschlossen hat, dann haben ja wohl auch die Griechen ein Interesse daran, dass diese auch umgesetzt wird. Dieser exekutive Vorgang sollte mithilfe europäischer Verwaltungskapazität unterstützt werden. Ein solches befristetes europäisches Beistandsrecht sollte dem neuen Regelwerk der Währungsunion hinzugefügt werden. Das wäre sinnvoller als das Gerede über eine Politische Union.

Was haben Sie dagegen?

Es gibt kein europäisches Staatsvolk, keine europäische Öffentlichkeit, auf absehbare Zeit auch keine europäische Verfassung. Das Warten auf eine Politische Union ist keine realistische Lösungsperspektive. Das Bundesverfassungsgericht hat noch einmal klargemacht: Jede Ausweitung des europäischen Budgetrechts ist eine Aushöhlung des deutschen Wahlrechts. Also, was genau soll denn noch in Brüssel beschlossen werden? Genauso wenig hilft eine Vergemeinschaftung der Schulden weiter oder die Idee, man könne Griechenland aus der Währungsunion hinausdrängen. Beide Extrempositionen führen zum Ende der Währungsunion – nur der Weg ist anders

Einem Ausscheiden der Griechen würden auch die Spanier und Italiener folgen?

Wenn Griechenland den Euro verlässt, wird sofort auch aus Italien und Spanien massiv Kapital abgezogen. Wer kauft dann noch Anleihen dieser Länder? Es ist doch klar: Die aktuellen Renditen für spanische Anleihen zum Beispiel drücken nicht nur das Insolvenzrisiko des Landes aus – Spaniens Schuldenquote ist niedriger als die deutsche. Genauso sind die niedrigen deutschen Renditen kein Ausdruck solider deutscher Finanzpolitik.

Sondern?

Darin kommt vor allem das Existenzrisiko für den Euro zum Ausdruck. Die Investoren kalkulieren mögliche Abwertungen ein, falls sie ihre Anleihen in zwei Jahren vielleicht in Peseta zurückbekommen. Umgekehrt erklärt sich die negative Realrendite deutscher Anleihen mit der möglichen Aufwertung einer neuen D-Mark.

Die Europäische Zentralbank (EZB) will nun notfalls unbegrenzt Staatsanleihen kaufen, um die Renditen von Krisenländern auf ein erträgliches Maß zu drücken.

Das halte ich für fatal und fragwürdig. Es ist fatal, weil die entsprechenden Staaten von Zinsstrafen der Märkte befreit und die Käufer der Papiere vor weiteren Kursverlusten gesichert werden. Es ist fragwürdig, weil die Bindung an eine Programmauflage der Rettungsfonds EFSF beziehungsweise ESM eigentlich eine weitere Hilfe überflüssig macht. Schließlich: Wie soll eine Notenbank, die sich einmal auf so etwas eingelassen hat, aus der Nummer wieder herauskommen? Anleihekäufe durch die Notenbank sind nur im Notfall zulässig, wenn es auf den Kapitalmärkten ernsthafte Funktionsstörungen gibt.

Ist das gegenwärtig der Fall?

Nein. Eindeutig nicht.

Wie lassen sich dann die Renditen wieder in die Normalität zurückführen?

Da sollten die Spanier einfach mal nach Portugal schauen. Die Spanier sagen den Märkten: Wir wollen euer Geld, aber wir haben ein Problem. Die Portugiesen dagegen sagen: Wir lösen das Problem. Auch Italiens Regierungschef Mario Monti wird das Jammern über hohe Renditen nicht weiterhelfen. Der Schlüssel liegt aber in Griechenland. Sobald dort eine Perspektive für den Verbleib im Euro deutlich wird, werden sich auch die Renditen in Italien und in Spanien deutlich entspannen.

Reicht das, um das Vertrauen in den Euro wieder herzustellen?

Wir haben die verschärften Regeln des Stabilitätspakts, wir haben den ESM, wir haben die Schuldenbremse. Damit ließen sich die Liquiditätsprobleme in Italien, Spanien und Portugal lösen – wenn man nicht ständig darüber reden würde, es müsse noch mehr kommen.

Und was ist mit den Banken?

Deren Probleme sind so zu lösen, dass den Staaten nicht neue Belastungen entstehen.

Etwa, indem der Rettungsfonds ESM problembeladene Banken finanziert?

Das wäre ein direkter Weg, die Kapitalausstattung dieser Banken zu stärken. Ein europäischer Währungsraum nimmt europäische Finanzinstitute in den Blick. Warum sollte man bei der Kapitalisierung schwacher Banken den Umweg über Staatshaushalte nehmen?

Keine Hilfe ohne Auflagen, so lautet das Prinzip bei den Rettungsfonds.

Was heißt hier Hilfe? Es wären ja befristete Kapitalbeteiligungen an europäischen Banken. Der ESM würde seine Anteile nach erfolgter Sanierung wieder verkaufen. Die USA haben es nach der Finanzkrise mit ihren Banken genauso gemacht und am Ende ein Plus von sechs Milliarden Euro für ihre Steuerzahler herausgeholt. Das muss also kein Verlustgeschäft sein. Die bessere und kostengünstigere Lösung wäre aber die Gründung einer europäischen Bad Bank.

Warum?

Ein solches Institut braucht kein Eigenkapital, es reichen Garantien. Die Banken könnten ihre problematischen Papiere bei ihr abladen, und die Bad Bank hätte ausreichend Zeit, die Risiken zu verwerten. Insofern wäre eine Bad Bank – bei allen Problemen – als Lösung charmanter als eine direkte Kapitalisierung. Das wäre auch ein Signal an die Märkte, dass Europa entschlossen ist, in der Krise gemeinsam zu handeln.

Um künftige Schieflagen zu verhindern, soll nun die Bankenaufsicht bei der EZB konzentriert werden. Wie sehen Sie das?

Ausgesprochen kritisch. Die EZB hat primär geldpolitische Aufgaben. Sie würde durch eine hoheitliche Aufsichtsfunktion in Zielkonflikte geraten und ihre Unabhängigkeit gefährden. Die gleiche Debatte haben wir auch mit Blick auf die Bundesbank gehabt. Diese erstellt zwar Risikoprofile über einzelne Banken, aber die daraus folgenden hoheitlichen Akte werden von der BaFin wahrgenommen, die dem Finanzminister untersteht. Das ist auf europäischer Ebene nicht anders. Hier sollte eine Aufsichtsbehörde für die Euro-Zone die hoheitlichen Funktionen übernehmen – natürlich in Kooperation mit den nationalen Behörden.

Offensichtlich ist das Misstrauen der EZB gegen die bisherige Aufsicht so groß, dass sie diese Aufgabe selbst übernehmen will.

Aber was handelt sie sich damit ein? Es bleibt ja nicht aus, dass bestimmte Aufsichtsentscheidungen Konsequenzen auch für den Steuerzahler haben. Wenn sich die EZB darauf einlassen und dann auch noch im großen Stil Staatsanleihen aufkaufen würde, dann begeben wir uns in ein anderes Notenbankmodell hinein.

Sie würde dem Vorbild der amerikanischen Notenbank Fed oder der Bank of England folgen. Aber sind wir nicht ohnehin längst auf dem Weg dorthin?

Der Vergleich hinkt, denn die Fed kauft keine Anleihen etwa von Kalifornien. Bei der EZB dagegen haben Anleihekäufe Verteilungseffekte, weil eventuelle Kursverluste nach dem Kapitalanteil von allen Euro-Ländern zu tragen wären – und dann befänden wir uns in einer Haftungsunion. Dafür aber hat die EZB keine Kompetenz. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hat völlig recht, dies immer wieder zu betonen.

Zum Interview auf wiwo.de

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