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Michael Hüther im Deutschlandfunk Interview 25. Juni 2014

Entwurf auf "dünnem Eis"

Im Interview mit dem Deutschlandfunk lobt IW-Direktor Michael Hüther den Haushaltsentwurf von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zwar grundsätzlich, weist aber auch auf die erheblichen Risiken hin. So sieht er die Rentengeschenke als Knackpunkt und kritisiert, dass die aktuell niedrigen Zinsen einfach in die Zukunft fortgeschrieben werden, obwohl sich die Zinspolitik der Zentralbank früher oder später wieder ändern wird.

Der Haushalt, um das festzuhalten, weist die niedrigste Neuverschuldung seit dem Jahr 1969 aus. Geben Sie der Regierung die Note eins dafür?

Das Ergebnis für sich genommen ist respektabel. Das ist so. Da muss man auch den Hut vor ziehen, denn das ist schon oft versucht worden, auch in den vergangenen Jahren. Auf der anderen Seite ist es aber noch keine Eins. Eine Eins kann jemand als ehrbarer Haushälter bekommen, der in die Zukunft denkt, der die Risiken angemessen würdigt und der auch selbst keinen Sprengsatz in den Haushalt legt. In all diesen Punkten ist erhebliche Kritik berechtigt.

Welcher Sprengsatz ist in den Haushalt gelegt worden?

Eines beispielsweise hat zu tun mit den Rentengeschenken, denn es wird ja im Augenblick so verkauft, als hätte das nichts mit dem Bundeshaushalt zu tun, die Beitragszahler haben das zu schultern. Aber der Beitragssatz definiert in seiner Veränderung auch die Veränderung des Bundeszuschusses an die Rentenversicherung und insofern ist auch gleichermaßen hier etwas an höheren Ausgaben in die Zukunft hineingetragen. Alles das, was so an prioritären Mehrausgaben im Koalitionsvertrag festgelegt ist, kommt – und das sind Dinge, die man in einer solchen Zeit nicht tun sollte, vor allem, wenn sie erst in den nächsten Jahren durchwirken. Das ist nach dem Motto: Was kümmert uns die nächste Regierung.

Strukturell kommt der Etat sogar ganz ohne neue Schulden aus, heißt es. Jetzt reden wir mal kurz über diesen Faktor: "strukturell" und "konjunkturbereinigt". Was heißt das eigentlich, wenn konjunkturbereinigt der Etat oder die Schuldenquote sogar bei null liegt?

Nun, das meint, dass die Schwankungen der Volkswirtschaft, die sich im Konjunkturverlauf in Aufschwung und Rezession vollziehen, rausgerechnet werden, weil man sagt, da soll man ja nicht hinterhersparen. Nehmen wir mal an, wir hätten eine Rezession; dann muss der Effekt der Rezession auf den Haushalt mit geringeren Steuereinnahmen und höheren Ausgaben beispielsweise für Arbeitslosigkeit hingenommen werden. Ebenso ist es so, dass man im Aufschwung die höheren Steuereinnahmen nicht für mehr Ausgaben nutzt. Wenn man das rausrechnet, wenn man den unterliegenden Trend betrachtet, dann ist der Haushalt ausgeglichen.

Um die Kritik aufzugreifen, die wir gerade aus dem Bundestag gehört haben: Geht die Regierung von zu positiven Wirtschaftsannahmen aus und verlässt sich ganz darauf, dass die Zinsen unten bleiben?

Das letzte Thema ist sicherlich so. Die niedrigen Zinsen werden fortgeschrieben. Das ist eine erhebliche Entlastung, die der Bundeshaushalt, übrigens aber auch die Länder dadurch in den vergangenen Jahren schon erfahren haben. Das geht in Hunderte Milliarden, die sich da aufsummieren über alle Haushalte. Das kann man aber nicht einfach fortschreiben. Man sieht das in den USA, wie schon erste Änderungen der Geldpolitik am langen Ende, also an der Längenfrist der Verschuldung, dann durchwirkend zu Veränderungen führen, und die ist natürlich auch für die öffentlichen Haushalte wichtig. Insofern ist das ein wirklich dünnes Eis, denn die Notenbank wird spätestens 2015 in die Not kommen, die Niedrigzins-Politik zu verändern, denn das ist noch ein Krankheitssymptom und kann nicht dauerhaft fortgeschrieben werden. Es ist wie eine Medizin, die dann irgendwann nicht mehr positiv wirkt, sondern negativ. Das ist ein gewaltiges Risiko.

Die Zinsbelastung ist umso höher, je höher die Gesamtverschuldung ist. Hätten Sie sich gewünscht, dass 2014 schon ein Jahr des Schuldenabbaus wird?

Wichtiger schiene mir, dass man in dem Haushalt in der Tat nach vorne schaut, was unterlegt denn die Dynamik der Steuereinnahmen, also die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Dadurch entsteht ja das viele Geld, was Herr Schäuble und seine Kollegen im Länderbereich zur Verfügung haben. Die hohe Beschäftigung, die Einkommen, die dort erzielt werden, das ist die Kernbasis der Steuerdynamik, und dafür muss man etwas tun.

Und was hätte man tun können?

Indem man beispielsweise sehr genau darauf achtet, wie die Infrastruktur sich entwickelt, sehr genau darauf achtet, was mit der Energiewende passiert. Das ist alles Flickwerk. Wir haben eine Energiewende, die keines der drei gesetzten Ziele erreicht. Dafür geben wir Milliarden aus, um Ziele nicht zu erreichen.

Wenn Sie auf der anderen Seite sagen, mehr Infrastruktur, das würde doch Geld kosten?

Ja. Aber das geht auch nicht in exorbitanten Höhen. Da muss man nur fragen: Habe ich die richtige Struktur? Das heißt, was damit zu diskutieren ist: Muss man nicht mal schauen, ob in einer Zeit, wo die Volkswirtschaft hohe Beschäftigung schafft, beim Sozialhaushalt gerade nicht draufgesattelt werden soll, sondern der Sozialhaushalt wenigstens mal mit dem auskommt, was schon vorher vorgesehen war, und dieses Geld sehr viel besser in die Infrastruktur-Investitionen packt. Man bräuchte pro Jahr nach unseren Rechnungen für die digitale Infrastruktur, für den Verkehr und den Netzausbau im Energiebereich zwölf Milliarden, das auf zehn Jahre. Das sind keine Zahlen, die das Ganze aus dem Ruder laufen lassen. Aber wir haben genug Spielraum, und man muss auch wegkommen davon, dass immer mehr Sozialausgaben in einer guten Situation zu begründen sind. Genau dann muss man auch mal ein bisschen diszipliniert sein.

Wir haben ja eingangs festgehalten, und Sie auch: Die Rentenbelastung für den Haushalt könnte erst später kommen. Im Moment hat Schäuble den Bundeszuschuss, also den Steuerzuschuss in die Rentenkasse, gekürzt. Hätten Sie denn sogar gesagt, bei den Renten muss man sparen?

Na ja, man muss bei den Renten nicht sparen. Aber das, was jetzt mit der Mütterrente, mit der Rente mit 63 in die Systeme an Belastungen hineinkommt, führt nach 2020 erkennbar zu einer Beitragssatzanhebung, die auf über die 22 geht. 22 Prozent Rentenbeitrag muss aber eingehalten werden, und dann muss der Bundeszuschuss erhöht werden. Das heißt, es ist mit diesen Maßnahmen eine Belastung der Zukunft festgelegt, aus der der Bundesfinanzminister nicht rauskommt, denn niemand wird, glaube ich, akzeptieren wollen, dass der Rentenbeitrag dann über 22 Prozent steigt. Das will auch die Bevölkerung nicht, und hier macht man ein Spiel mit verdeckten Karten. Das ist nicht, was zu einem ehrbaren Haushälter passt.

Es kurbelt die Binnenkonjunktur an – kein Argument?

Ich wüsste nicht, was bei der Maßnahme der Rentengeschenke die Binnenkonjunktur ankurbelt. Denn schauen Sie mal: Wir leben in der Beschäftigung davon, dass wir Zuwanderung haben. Wenn wir aber in den nächsten Jahren davon auszugehen haben, dass weniger zuwandern, weil es in den anderen Ländern wieder besser wird, müssen wir ja die Potenziale im Land heben. Dann ist die Verkürzung der Lebensarbeitszeit, die jetzt wieder denkmöglich ist – das ist ja das Fatale an diesem Schritt –, genau das Gegenteil. Ich muss also mehr arbeiten, um die Dynamik der Volkswirtschaft aufrecht zu erhalten. Das können wir auch, wir sind fitter. Wir haben die gesündesten Rentner, die reichsten Rentner, die Rentner mit den meisten Zeitressourcen. Keine Generation vorher hatte das. Und wir machen genau das Gegenteil von dem, was geboten ist.

Es gibt ja noch eine andere Möglichkeit, Herr Hüther, den Haushalt ohne Schulden abzuschließen, nämlich die Einnahmen zu erhöhen. Was wäre so schlimm daran, zum Beispiel den Spitzensteuersatz anzuheben?

Der Spitzensteuersatz – das zeigt Ihnen jede Kalkulation – bringt nicht viel. Hier ist eher die Frage: Ist das Einnahmensystem gerecht? Und selbst die Gewerkschaften weisen sehr deutlich darauf hin, dass im unteren Einkommensbereich beim zu versteuernden Einkommen die höchsten Progressionsgrade sind. Das heißt, ich verdiene einen Euro hinzu und habe netto einen geringeren Effekt als bei einem Euro zusätzlich im hohen Einkommen. Der Tarif ist nicht gerecht. Er ist im unteren Bereich nicht gerecht. Und da gibt es eher das Stichwort, über Kalte Progression das Gegenteil einzuleiten, den Tarif zu glätten, ihn zu reformieren, also Entlastungen zu ermöglichen.

Und das würde weniger Einnahmen bedeuten. Warum soll man sich nicht mehr Steuereinnahmen holen?

Weil Steuereinnahmen für sich genommen nie die Einnahmenbasis stärken, sondern dauerhaft nur die wirtschaftliche Dynamik. Und mit Steuererhöhungen schaffen Sie keine wirtschaftliche Dynamik. Wir sind in einer Situation, wo die Belastungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, gerade der mittleren Einkommen, durch die Einkommenssteuer ungerecht und unfair ist. Und dann muss ein Finanzminister – das war deswegen auch ein Grund meiner Kritik zu Beginn des Gespräches – darauf achten, was hier Not tut. Es kann nicht sein, dass er sich bereichert über Kalte Progression an einer Einkommensdynamik von denjenigen, die das gesamte System tragen. Hier müssen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dieses Landes auch im Grunde dagegen auftreten. Das kann nicht akzeptiert werden. Der Bundesfinanzminister saniert seinen Haushalt sozusagen auf diesen breiten Schultern. Insofern hat er es da auch relativ einfach. Er muss auch einen Beitrag leisten, damit Fairness entsteht.

Das Interview zum Anhören auf deutschlandfunk.de

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