Anders als vielfach angenommen, geht die Vermögensschere in Deutschland nicht auseinander, erläuterte IW-Direktor Michael Hüther im Deutschlandfunk. Über die Schaffung von Arbeitsplätzen sei es gelungen, die Vermögensverteilung seit 2002 stabil zu halten.
„Die Vermögensschere geht nicht auseinander”
Das Radiointerview wurde wörtlich vom Deutschlandfunk verschriftlicht.
Letzte Woche der Armutsbericht mit leichter Besserung, aber im Grunde bleibt aus Sicht des Paritätischen alles gleich. Das Armutsrisiko ist zu hoch in Deutschland, und das ist dann auch das Bild vieler Deutscher: Die Armen auf der einen, die Reichen auf der anderen Seite. Und die Reichen – auch davon sind viele überzeugt – werden immer reicher. Vor allem Erben häufen in der Vorstellung vieler Bürger immer mehr Geld und Besitz an, während die Mehrheit der Bürger mit wenig oder sehr wenig auskommen muss. Allein dieses Bild hat mit der Wirklichkeit wenig zu tun. So steht es jedenfalls in einer Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, die dem Deutschlandfunk exklusiv vorliegt. – Wir sprechen jetzt mit IW-Direktor Michael Hüther darüber. Guten Morgen nach Berlin!
Guten Morgen, Frau Heuer.
So, Herr Hüther! Zwei Drittel der Deutschen glauben, dass die Vermögensschere immer weiter aufgeht. Und jetzt kommen Sie und sagen, das stimmt gar nicht. Wie kommen Sie darauf?
Na ja, wir haben ja nur die Möglichkeit, uns an den Fakten zu orientieren und an den Datengrundlagen, die es dazu gibt. Und nachdem ja auch viele schon überrascht waren, was aber alle Verteilungsforscher sagen, dass die Einkommensverteilung seit 2005 etwa sich nicht weiter verschlechtert oder überspannt hat, so gilt das jetzt auch bei allen Datenbetrachtungen für die Vermögensverteilung. Das heißt, die Betrachtung des Nettovermögens der Haushalte, das was sie auf der einen Seite an Geld, an Anlagen oder auch an Immobilien und sonstigen Realwerten haben, abzüglich der Schulden, die die Haushalte haben. Was man dann machen muss, wenn man überzeugen will: Dann muss man sich alle Datengrundlagen anschauen. Genau das haben wir getan.
Aber Geld fließt, Besitz wird vererbt, Vermögen sind in Bewegung. Wieso hat sich dann seit 2002 – so steht es ja in Ihrer Studie – nichts an der Vermögensverteilung geändert?
Na ja. Wir haben eine Situation, in der in einer unter Wettbewerbsdruck stehenden Volkswirtschaft, die offen ist, es gelungen ist, viel mehr Arbeitsplätze zu schaffen, und über diese Entwicklung ist es natürlich auch zu einer Stabilisierung sowohl der Einkommensverteilung wie auch der Vermögensverteilung gekommen. Die Vermögensverteilung ist natürlich auch beeinflusst durch das, was beispielsweise in der Finanzkrise passiert ist. Da gibt es aber keine großen Sprünge in die eine oder andere Richtung. Wenn die Menschen glauben, es gibt eine permanente Verschlechterung, so ist das wenig begründet. Es ist aber auch nicht so, dass es in der Vermögensverteilung, die ja – Sie haben es genannt- durch Erben, durch bestehende Vermögen definiert ist, eine Entspannung oder eine höhere Gleichverteilung gibt. Das sind sehr zähe Prozesse und insofern ist hier erst mal wichtig, dass in dieser Phase, wo so viel auf uns eingeprasselt ist, Finanzkrise, die Entwicklung in Europa, die Herausforderung auf den Weltmärkten und so weiter, Digitalisierung, das nicht weiter auseinandergegangen ist.
„Es ist gar nicht so, wie alle glauben“
Es ist, wenn ich Sie richtig verstehe, eigentlich normal, dass sich an der Vermögensverteilung so schnell nichts ändert, und eher ein Wunder, dass das jetzt in den bewegten letzten Jahren genauso war?
Ja wenn man natürlich über 200 Jahre schaut, wie es Verteilungsforscher Piketty gemacht hat, kommt man schon zu anderen Bedingungen. Aber wir müssen ja schauen: Wo macht es Sinn, den Vergleich herzustellen, unter entsprechenden institutionellen Bedingungen, in einer Gesellschaft, in einer politischen Ordnung, in einer Wirtschaftsordnung. Da gilt seit dem Beginn des Jahrtausends, dass wir diese Stabilität haben.
Wieso wird das dann so ganz anders in der Öffentlichkeit wahrgenommen?
Na ja. Es gibt schon sehr verfestigte Erzählungen, die die Menschen gerne überzeugen, weil natürlich hier und da es öffentliche Signale gibt, die man dann für den Nennwert für alles nimmt. Man sieht mehr Menschen auf der Straße, die in den öffentlichen Mülleimern nach Leergut schauen. Man sieht auf der anderen Seite die Darstellung des Reichen. Aber wir müssen ja immer schauen, wie ist das eigentlich mit den Fakten, und die Fakten sind natürlich dann gerne kühl oder kalt, wie sie dann benannt werden, die kalte Statistik, die nicht so leicht überzeugen.
Interessant ist aber, dass parallel zu dem, was wir hier machen mit den Analysen, auch andererseits gerade diskutiert wird. Die britische hierzulande öffentliche Zeitung „the economist“ hat genau das auch geschrieben: Illusionen über die Ungleichheit. Es ist gar nicht so, wie alle glauben, und deswegen ist die Frage, es wird immer wieder erzählt, es hat eine Eingängigkeit, und mir ist selbst mal passiert in einem Kreis mit Bischöfen, wo die gesagt haben, aber es steht doch überall anders. Da habe ich gesagt, ich kann ja die Fakten deswegen nicht daran anpassen, was überall geschrieben und erzählt wird.
Chancengleichheit bei Arbeit und Bildung wichtig
Überraschende Neuigkeiten für viele heute vom IW. – Stabilität aber, Herr Hüther, die sagt noch nichts über Gerechtigkeit aus. Das Deutsche Institut für Wirtschaft sagt, zehn Prozent der Deutschen besitzen 56 Prozent. Frage also: Sind die Vermögen in Deutschland stabil ungerecht verteilt?
Es ist die Frage, ob damit Chancen behindert werden. Gerechtigkeit ist ja in einer offenen Gesellschaft verbunden mit der Frage, haben die Menschen die Chancen mitzumachen, haben sie die Möglichkeit, immer wieder einzusteigen und damit neue Chancen zu gewinnen. Wenn ich mir den Arbeitsmarkt anschaue, der zentrale Hebel für diese Frage, dann gilt das ganz eindeutig. Wir haben die höchste Erwerbsintegration im wiedervereinigten Deutschland, und das ist beachtlich und wird von Jahr zu Jahr in diesem Punkt auch besser und es ist weiter stabil geworden. Auch das ist ja herausragend in einer Zeit, wo die Umfeldbedingungen – wir gucken auf Trump, wir gucken auf Brexit – nicht gerade leichter geworden sind. Also würde ich immer fragen, passt das beim Arbeitsmarkt. Und die zweite Frage ist, wie geht es mit dem Bildungssystem, ist die Bildungsgerechtigkeit gegeben. Das sind die entscheidenden Fragen.
Dass am Ende Vermögen im Lebensverlauf sich anders darstellen, ist, glaube ich, Jedermann eingängig. Am Anfang hat man wenig, am Ende hat man es aufgebaut, man erbt oder man vererbt selbst. Dieser Zyklus ist für die Frage, was kann man tun, nicht so entscheidend wie die Frage Arbeitsmarkt und Bildung.
Keine Nachhaltigkeit in der Bildung
Bei der Arbeit, sagen Sie, da gibt es Chancengerechtigkeit. Wie schaut es denn bei der Bildung aus? Da hört man ja auch immer, gerade dieser Tage wieder, das genaue Gegenteil. Eigentlich haben nur diejenigen aus relativ wohlsituierten Familien richtig gute Bildungschancen in Deutschland.
Auch hier gibt es ein einerseits/andererseits. Auf der einen Seite gilt das, was Sie sagen. Wir haben immer noch eine relativ hohe familiäre Vorbedingung. Das ist aber eher die Frage, gibt es zuhause Bücher, wird zuhause gelesen, wie wird überhaupt mit Kultur umgegangen. Auf der anderen Seite ist das aber im internationalen Vergleich jetzt nicht besonders schlecht oder besonders schlimm. Wir haben in England, in Frankreich, auch in der Schweiz eine deutlich höhere Vorbestimmung durch den familiären Kontext, wie man es nennt. Und schließlich ist die Frage, was machen wir in der Bildungspolitik, und da kann man schon Kritik haben. Wir haben eigentlich nicht die Disziplin gehabt, auf den ersten Pisa-Schock hin im Jahr 2000 konsequent zu handeln. 2009 ist mal ausgerufen worden, Bildungsrepublik Deutschland, damals von der Kanzlerin. Sie ist immer noch Kanzlerin, aber die Bildungsrepublik sind wir noch nicht geworden. Insofern: Die Nachhaltigkeit dieser Anstrengung – da haben Sie sicherlich einen Punkt –, die ist zu kritisieren. Sie fehlt!
Im Moment erben ja die Baby-Boomer. Die Vermögen werden durch viele geteilt. Die nächste Generation, die nächsten Generationen, die haben dann weniger Kinder. Ist es nur eine Frage der Zeit, Herr Hüther, bis die Vermögensschere sich dann doch drastisch öffnet?
Es ist ja nicht an der Größe der Generationen gebunden, ob es ungleicher wird, sondern wie es in den Generationen verteilt ist. Wir haben natürlich in Deutschland, anders als in anderen Gesellschaften, nach dem Krieg überhaupt erst mal Vermögen aufbauen müssen. Das heißt, Erbengenerationen kannten wir in der Form ja lange nicht. Und das, was in der Breite der Gesellschaft schon gelungen ist, ist das, was wir Vermögensbildung nennen. Das findet in unterschiedlichen Formen statt und es findet in Deutschland auch beeindruckt statt durch das System der sozialen Sicherung, das ein hohes Absicherungsversprechen hat. Sie haben immer Länder mit hoher Rentenversicherung, die geringeres Privatvermögen haben, und das gilt auch bei uns. Das heißt, wie tun die Menschen es? Es gibt das Ein-Familien-Haus, es gibt die Sparmöglichkeiten, es gibt die Anlageformen. Aber das ist etwas, wo wir nicht sehen, es ist ungleicher geworden, sondern es hat sich gerade in diesen zuletzt befragten zwei Jahrzehnten stabil entwickelt, und damit ist erst mal, finde ich, nach vorne hin die Annahme begründet, dass es sich auch nicht dramatisch ändern kann, wenn wir einen solchen Arbeitsmarkt haben wie beschrieben.
„Wer in Bildung investiert, hat Chance Vermögen aufzubauen“
Aber stimmt es nicht auch, dass wer nicht erbt, wer nicht das Haus erbt, nicht das Vermögen erbt, nicht die Firma erbt, dass der einfach kein Vermögen haben wird, weil wir nicht mehr in der Lage sind, das aus eigener Kraft aufzubauen in der jeweiligen Generation?
Das sehe ich nicht. Wir haben eine hohe Sparquote und diese Sparquote ist in Deutschland traditionell hoch. Das heißt, die Menschen versuchen, in einer gewissen Weise auch vorzusorgen, beispielsweise fürs Alter. Es ist gefördert worden die kapitalgedeckte Altersvorsorge mit Riester in der betrieblichen Altersvorsorge. Wer in die Erwerbstätigkeit einsteigt, wer in seine Beschäftigungsfähigkeit, in seine Bildung investiert, für den ist alles offen. Der hat in diesem Land die Chancen, auch ein Vermögen aufzubauen. Es ist ja nicht so, dass alles nur vererbt wird, sondern dass wir hier auch immer eine Neusortierung haben, wenn Menschen neu anfangen, wenn sie unternehmerisch tätig sind, wenn sie Innovationen haben, wenn sie mit einem Startup beginnen. Das ist immer an jedem Lebensanfang neu gesetzt, das auch zu tun und sich nicht nur von der Vergangenheit bestimmen zu lassen.
Die SPD fordert eine Vermögenssteuer. Es ist kein Geheimnis, Herr Hüther, davon halten Sie nicht viel. Aber wenn wir an die Superreichen denken, an wirkliche Millionäre, ist denen nicht zuzumuten, bei hohen Freibeträgen, dass die irgendwann dann auch mal ein, zwei Prozent ihres Vermögens ausgeben für die Allgemeinheit?
Man kann alle möglichen Argumente vortragen, was einem so vorschwebt. Aber die Frage ist ja, was wird denn damit erreicht und was sind die Probleme, die man sich auch einhandelt.
Das müssen Sie uns jetzt in 30 Sekunden erklären, Herr Hüther.
Wir müssen Privatvermögen und Betriebsvermögen voneinander trennen. Und die Illusion, von diesen paar Reichen, die wir da so identifizieren, so viel zu bekommen, dass das Land neu Finanzierungsgrundlagen hat, ist eine Illusion,. Und es ist auch nicht ein Beitrag wirklich an ein Problem gerichtet. Das Problem, was genannt wird, haben wir in der Form nicht.
Zum Interview auf deutschlandfunk.de
Inflation: Rentner nicht stärker betroffen als andere Haushalte
Die Kaufkraft von Rentnern der Gesetzlichen Rentenversicherung sank in den vergangenen Jahren nicht stärker als bei anderen Haushalten. Während die Coronapandemie Rentner nicht so stark getroffen hat, führten die Preissteigerungen spätestens seit 2022 zu ...
IW
Oxfam-Studie: An der Realität vorbei
Auch in diesem Jahr prangert die Hilfsorganisation Oxfam pünktlich zum Weltwirtschaftsforum in Davos die angeblich steigende Ungleichheit der Vermögen an. Doch die Zahlen zur Entwicklung der Vermögensungleichheit in Deutschland zeichnen ein anderes Bild, ...
IW