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IW-Direktor Michael Hüther (© Foto: iStock)
Michael Hüther in der Welt Interview 16. Januar 2019

„Die Grünen müssen ein positives Unternehmerbild entwickeln“

Jeder Bürger soll Anspruch auf ein Existenzgründer-Darlehen in Höhe von 25.000 Euro bekommen. Das fordern die Grünen im Wahlkampfjahr. IW-Direktor Michael Hüther erklärt im Interview mit der Welt, warum er den Vorstoß skeptisch sieht.

WELT: Herr Hüther, die Zahl der Existenzgründungen in Deutschland hat über die Jahre abgenommen. Jetzt fordern die Grünen ein Wagniskapital für Existenzgründer in Höhe von 25.000 Euro, das jeder Person einmal im Leben zusteht. Ein vernünftiger Ansatz?

Michael Hüther: Das wäre es, wenn es an den entscheidenden Hürden ansetzte. Aber das tut dieser Vorschlag leider nicht. Wenn wir uns anschauen, was Probleme bereitet auf dem Weg zur Existenzgründung, dann fängt das viel früher an, nämlich bei der Existenzgründungsneigung. Und das hat nichts mit Geld zu tun, sondern mit Haltung und Einstellungsfragen.

Wir führen seit 20 Jahren im internationalen Verbund das Juniorprogramm durch, bei dem Schüler Unternehmen gründen, Kapital gewinnen, Produkte entwickeln und vertreiben sowie alles finanzwirtschaftlich abwickeln. Eine Begleitstudie von Forschern der Universität Oxford, aber auch andere Studien zeigen, dass die Teilnahme an dem Projekt den Anteil von Existenzgründern deutlich erhöht, wenn nicht sogar verdoppelt. Hier liegt der große Hebel.

Wer hat denn die Existenzgründungsneigung in Deutschland zerstört? Das kann man sicher nicht den Grünen im Bund und in den Ländern anlasten.

Das stimmt, das ist ein längerer Prozess. In der Anfangsphase der Bundesrepublik war es recht schwierig, an Kapital zu kommen. Am leichtesten war das für schon existierende Unternehmen. Auch deshalb haben wir in Deutschland das Phänomen der hohen Lebenserwartung von Unternehmen, die sich immer wieder neu erfinden. Das amerikanische Modell besteht hingegen darin, neue Unternehmen und damit auch ein neues Businessmodell zu gründen.

Unter unseren deutschen Firmen sind brillante Mittelständler, Hidden Champions, die nichts verschlafen haben, auch nicht bei der Digitalisierung, und die mit überschaubaren Beschäftigtenzahlen, 300, 400, 500 oder vielleicht 1000, und einer langen Lebensgeschichte ausgestattet sind. Das finden Sie in dieser Form weder in Frankreich noch in Großbritannien und erst recht nicht in den USA.

Wie kann man die Existenzgründungsneigung in Deutschland verbessern?

Das ist eben die Frage der Haltung, die von der Bildung beeinflusst wird und von gesellschaftlichen Rollenbildern. Wenn das Ziel der Verbeamtung eine hohe Wertschätzung genießt wie in Deutschland, dann muss man sich nicht wundern, wenn unternehmerisches Handeln kritisch gesehen wird. Auch in den Medien und in der Programmatik der Parteien erfährt Unternehmertum kaum noch eine grundsätzlich positive Bewertung. Das Land Berlin will sogar Wohnungsbaugesellschaften enteignen, hinter denen ja letztlich auch unternehmerisches Handeln steht und so grundsätzlich diffamiert wird.

In Berlin reden die Grünen mit ihren rot-roten Koalitionspartnern über Enteignungen. Aber ist es dann nicht besonders erfreulich, dass sie beim Wagniskapital auf Unternehmensgründungen und Eigeninitaitive setzen?

Wenn die Grünen an dieser Stelle tatsächlich das Ziel verfolgen, Unternehmertum zu unterstützen, müssen wir aber dennoch über die Instrumente reden. Und dabei geht es um öffentliche Wertschätzung und auch um Bürokratie und Steuerpolitik gegenüber Unternehmen. Und da müssten die Grünen dann bereit sein, Unternehmer nicht ständig so sehr zu gängeln mit allen möglichen bürokratischen und finanziellen Auflagen.

Der Antrag für das Wagniskapital soll sehr unbürokratisch sein, verspricht die Grünen-Abgeordnete Kerstin Andreae, die das Konzept in der Fraktion initiiert hat.

Die Grünen sind inzwischen sicher eher bereit, auch einmal praktisches und pragmatisches Handeln im Sinne der Unternehmer zu befürworten. Das will ich nicht bestreiten. Aber allein der unkomplizierte Antrag für das Wagniskapital und die Summe von 25.000 Euro reichen dennoch nicht. Die Finanzierungsfragen sind einfach nicht das Hauptproblem. Das Bundeswirtschaftsministerium, die Förderbanken und andere halten eine ganze Reihe von Finanzierungstöpfen bereit.

Um den Durchschnittswert der OECD-Staaten beim Wagniskapital zu erreichen, müsste Deutschland das Volumen von derzeit 840 Millionen Euro auf 1,5 Milliarden etwa verdoppeln.

Das ist aber eine andere Ebene. Da geht es um das klassische Wagniskapital, das Venture Capital in der zweiten und dritten Phase – also der Wachstumsphase – des neuen Unternehmens, wie wir es aus den USA kennen, und um Summen von 20 oder 50 Millionen Euro pro Unternehmensgründung. Diese Kultur ist bei uns in diesem Umfang nicht verbreitet – auch weil in den USA Pensionsfonds in Venture Capital investieren. Wir haben derartige Quellen nicht, sondern einzelne Vermögende oder Unternehmen, die solche Investitionen tätigen und Start-ups finanzieren.

Das Gesamtvolumen ist deshalb viel geringer als in Amerika. Und für diese Phasen der Unternehmensgründung wären 25.000 Euro nur Spielgeld. Darum wird ja auch diskutiert, ob nicht auch die Sozialversicherungen mit ihren langfristigen Rücklagen bei uns potenzielle Investoren sein können.

Beim DIHK heißt es, das größte Problem bei der Gründung von Unternehmen sei in der Regel die Finanzierung.

Wenn Sie Leute fragen, woran es ihnen fehlt, sagen die immer: an Geld. Aber wichtiger bleiben der Spirit, der Wille zum Unternehmertum und natürlich ein Businessplan. Wenn das alles vorhanden ist, kann man natürlich diskutieren, die KfW-Mittel aufzustocken, um den Kreis der Empfänger von Existenzgründungskapital auszuweiten. „Unkomplizierte Vergabe“ klingt dabei einerseits gut – aber andererseits macht so etwas ohne qualifizierte Beratung auch keinen Sinn.

Sie sprachen die USA an. Amazon, Apple, Facebook, Google, Microsoft sind allesamt mit Wagniskapital entstanden und haben zusammen eine größere Marktkapitalisierung als alle 30 Dax-Unternehmen in Deutschland.

Das ist so, aber das liegt ebenfalls an den unterschiedlichen Entstehungsgeschichten. Es gab im Silicon Valley schlicht einen Überfluss an Kapital, weil in den 90er-Jahren am Ende des Kalten Krieges der militärisch-industrielle Komplex verschwand. Da hat man das Geld halt in Hightech- und Internetfirmen fließen lassen.

So flossen Pentagon-Gelder in den Internetsektor.

Und die Unternehmen, die so entstanden, haben skalierbare Produkte, also mit enormen Nutzerzahlen. In Deutschland gibt es da aus den letzten Jahren allenfalls Flixbus.

Aber es geht ja meist weder um Silicon-Valley-Großunternehmen noch um Flixbus. Wenn wir schlicht an die Pommesbude um die Ecke, den Dönershop oder den Malerbetrieb auf dem Dorf denken, kann da nicht ein rasch beantragtes Darlehen über 25.000 Euro entscheidend sein?

Ja. Aber es geht um Steuergeld, und das ist zumindest dann weg, wenn die Geschäftsidee scheitert. Darum muss man den Gedanken der Investitionsfunktion dieses Darlehens unterstreichen. Dazu bedarf jeder Antrag schon gründlicher Prüfung. Ein solches Angebot darf nicht dazu führen, dass man sich eine Art Transferzahlung unter einem anderen Namen verschafft.

Geht die Zahl von Unternehmensgründungen in Deutschland nicht auch wegen der bislang guten Konjunktur zurück? Wo es viele Jobs gibt, sind Menschen seltener bereit, eine eigene Firma zu gründen.

Ja, wir haben seit einigen Jahren einen Arbeitnehmermarkt. Wer seine Ausbildung oder sein Studium abgeschlossen hat, hat in der Regel kein Problem, eine vernünftige Stelle zu finden. Und weil die bestehenden Firmen es schwerer haben, gute Mitarbeiter zu finden, geht es dann darum, attraktive Angebote zu unterbreiten. Etwa zur Zeiteinteilung, zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben mit Homeoffice und Telearbeit.

Der Wunsch danach verdeutlicht andererseits ebenfalls einen gesellschaftlichen Wandel, der die Bereitschaft zur Firmengründung eher einschränkt. Denn das eigene Unternehmen ist in aller Regel zeitintensiver als eine Anstellung in einer Firma.

Ihr Gesamturteil: Taugt das Wagniskapitalmodell der Grünen – oder gehört es in die Tonne?

Es würde dann etwas taugen, wenn die Grünen insgesamt ein positives Unternehmerbild entwickeln würden, wenn sie in diesem Zusammenhang für eine vernünftige Wettbewerbsordnung eintreten, für fairen internationalen Handel. Bis heute verweigern die Grünen dem europäisch-kanadischen Freihandelsabkommen Ceta ihre Zustimmung. Auf Twitter habe ich immer versucht, Robert Habeck in dieser Frage zu stellen, …

WELT: … vielleicht ist Habeck deshalb bei Twitter raus?

… aber ich bekam stets nur schwammige Antworten. Solange die Grünen sich einem großen Wirtschaftsraum mit fairem Handel und fairen Akteuren verweigern, solange ist es für mich zweifelhaft, ihnen an einer anderen Stelle eine wirtschaftsfreundlichere Position abzunehmen. Dennoch: Natürlich kann man immer prüfen, ob die Mittel, die für Existenzgründungsprogramme zur Verfügung stehen, ausreichen oder ob man sie erhöhen sollte.

Zum Interview auf welt.de.

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