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Michael Hüther im Deutschlandfunk Interview 27. Dezember 2022

Konjunkturaussichten für 2023: Deutlicher Rückgang der Inflation

2023 wird der Inflationsdruck stetig abnehmen, schätzt IW-Direktor Michael Hüther im Interview mit dem Deutschlandfunk. Dennoch werde es ein wirtschaftlich herausforderndes Jahr – vor allem für energieintensive Branchen, Bauwirtschaft und Handwerk.

2022, Gas und Öl so teuer wie noch nie, Verdoppelung, Verdreifachung, Vervierfachung der Energiepreise, zum Teil weltweit, allemal in Europa, besonders aber auch in Deutschland. Hinzu kommen weitere Lieferengpässe in vielen Branchen, worunter die Unternehmen nach wie vor zu leiden haben. Dann die Geldentwertung, die schmerzhaft für alle ist, Rekordinflation in Deutschland. Bei rund zehn Prozent hat sich der Wert eingependelt, das heißt, das Geld im Portemonnaie, das Geld auf dem Sparkonto wird jeden Tag weniger wert. Immerhin, es gibt dafür einen leichten Aufwärtstrend bei den Zinsen. Dies wiederum sorgt aber andererseits für Sorgenfalten bei denjenigen, die davor warnen, die Konjunktur jetzt nicht zusätzlich abzuwürgen. Jemand, der sich mit Wirtschaftsentwicklung, Konjunkturentwicklung, Zinsentwicklung und Geldentwicklung bestens auskennt, ist jetzt bei uns am Telefon, Professor Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft. Einen schönen guten Morgen!

Guten Morgen, Herr Müller!

Herr Hüther, zehn Prozent Inflation, wann wird das besser?

Das wird im Laufe dieses Jahres besser und war deutlich besser, als man vielleicht zunächst erwarten konnte, denn wir haben einige Indikatoren, die darauf hinweisen, dass der Peak der Inflationsentwicklung erreicht ist. Wir sehen das bei den Erzeugerpreisen, die von Monat zu Monat schon eine andere Entwicklung eingeschlagen haben, wir sehen es aber auch an den internationalen Energiemärkten und den dort entstehenden Preisen. Sie haben erwähnt, wir haben Höchstpreise Öl und Gas im Laufe des Sommers gehabt, im Herbst, das hat sich jetzt schon deutlich wieder korrigiert. Das ist keine Gewähr, dass es so bleibt, aber es gibt zunächst einmal deutliche Entlastung. Wir haben beim Wechselkurs des Euro zum Dollar gegen den Tiefstand vom September eine Aufwertung von zehn Prozent, auch das entlastet ja den Inflationsdruck hier im Lande, und wir haben durch die sehr vernünftigen Tarifabschlüsse in der Industrie, die wir jetzt mal in den Mittelpunkt rücken, weil sie große Be reiche abdecken, keine Lohn-Preis-Spirale zu erwarten. Also der Notenbank wird dadurch auch das Geschäft nicht erschwert, das heißt, die Inflation wird im Laufe des Jahres doch deutlich geringer, Richtung 6 Prozent im Jahresdurchschnitt, das sind dann deutlich weniger als im zu Ende gehenden Jahr, das Problem wird also sich verlagern.

Die Europäische Zentralbank hat ja immer wieder gesagt, wir kriegen das in den Griff, bisher hat das aber nicht funktioniert. Jetzt sind Sie aber optimistisch.

Nun, die Europäische Zentralbank hat ja ein nicht so einfaches Geschäft wie die amerikanische Notenbank. Dort ist die Inflation im Wesentlichen zu über zwei Drittel binnenwirtschaftlich erklärt, das heißt vor allen Dingen durch die große Dynamik, die entstanden ist durch die Programme, die Joe Biden fiskalisch aufgesetzt hat. In Europa sind die Inflationsentwicklungen in allen Ländern durch die Importe von hohen und teuren Energiegütern erklärt. Zwei Drittel der Inflation sind importiert, und wenn die Inflation importiert ist, kann die Notenbank halt nicht so schnell und einfach handeln. Sie kann es dann eigentlich nur tun um den Preis einer Stabilisierungsrezession. Den sollten wir aber vermeiden, diesen Preis, deswegen dauert es etwas länger.

Wir haben gestern noch mal versucht, ein paar Zahlen da rauszusuchen, beispielsweise Ungarn, fast bei 20 Prozent Inflation, im Baltikum weit über 20 Prozent – das hört sich ja nicht so an, als hätte sich schon der Turnaround ergeben.

Die Europäische Zentralbank muss auf den Durchschnitt der Eurozone achten, und genau das wird sie auch jetzt tun müssen, genauso wie einer Deflationszeit wir ja Entwicklungen hatten, wo in einigen Regionen die Preise noch anders gelaufen sind als bei uns, wo wir schon Preisniveaustabilität hatten. Insofern, wir sind in einer besonderen Peak-Situation, Sie haben Länder erwähnt, die auch eine besondere Struktur haben, aber in der Summe haben wir hier ja keine Bereiche, die direkt alle der Europäischen Zentralbank unterliegen.

Reden wir über die Wirtschaft, über die Konjunktur, Michael Hüther. Das haben wir vor einem Jahr an dieser Stelle auch getan, da haben Sie gesagt, na ja, es sieht ganz gut aus, Optimismus ist weitgehend vorhanden. Dann kam der Ukraine-Krieg, dann kam eben die weitere galoppierende Inflation, die Energiepreise – wir haben gerade darüber gesprochen. Wie sieht es im kommenden Jahr aus?

Nun, wir haben wiederum die Verbände der deutschen Wirtschaft gefragt, 49 Ver bände haben uns wieder zurückgemeldet, und das ist ja zum Jahresende immer ein Versuch, eine Basis zu gewinnen für das, was man an Einschätzungen machen kann für das dann vorliegende neue Jahr. Und natürlich, vor einem Jahr, war die Euphorie zum Teil groß, weil einfach die Pandemie auslief, und die sich daraus ergebenden Belastungseffekte nicht mehr die Bedeutung haben sollten. All das hat in den Branchen dazu geführt, dass es keinerlei Einschränkungserwartungen gab, alle positiv gestimmt waren und wir hatten einen Prognosekonsens von vier Prozent für das Bruttoinlandsprodukt im Jahresdurchschnitt 22. Der Ukraine-Krieg dann am 24. Februar, durch die Russen ausgelöst, hat eine ganz andere Wendung für das Jahr gebracht, und gemessen an der Euphorie vor einem Jahr ist es jetzt schon sehr, sehr negativ. Wir haben über 30 Branchen, die sagen, dass es schlechter ist, als sie es vor einem Jahr erwartet haben, und das heißt, die Lage hat sich wirklich eingetrübt und sie hat sich in der Breite der Wirtschaft eingetrübt.

Welche Bereiche sind besonders betroffen – die energieintensiven?

Wir haben die energieintensiven zunächst zu nennen, es zieht sich aber auch in das sonstige verarbeitende Gewerbe durch, die natürlich dann auch verzögert ein bisschen von denen beeinflusst sind, also energieintensive Chemie wie Papier und Glas. Wir haben andere, die aus eigenen Gründen – Sie hatten eingangs die Zinsentwicklung erwähnt – natürlich jetzt eine andere Perspektive haben, z. B. die Bauwirtschaft. Die Bauprojekte, die beschlossen wurden, die begonnen wurden, werden noch abgewickelt, aber wir haben einen Einbruch der Auftragseingänge im Bau. Das ist vor allen Dingen durch die steigenden Zinsen, auch die Baukosten, auch das muss sich erst wieder einjuckeln. Die Menschen haben sich an andere Zinsniveaus gewöhnt in den letzten drei, vier Jahren, und jetzt muss man auf einmal drei, dreieinhalb Prozent Hypothekenzinsen für eine zehnjährige Hypothek zahlen. Das ist eine andere Welt, das sind zwei Prozentpunkte, zweieinhalb Prozentpunkte durchaus mehr. Insofern ist die Baubranche bis hin zum Handwerk auch sehr betrüblich in das nächste Jahr.

Drei, das ist ja, weil Sie sagen, drei Prozent müsste man jetzt bezahlen, das ist immer eine Frage der Perspektive. Viele von uns können sich noch dran erinnern, in den 80ern, 90ern, Sie allemal, da hat man acht, neun Prozent bezahlt oder sieben war schon ein Schnäppchen. Ist das wirklich viel, drei Prozent?

Das ist an der mittelfristigen Entwicklung, die Sie auch erwähnen, gar nicht so viel. Wenn jetzt jemand beispielsweise refinanzieren muss – er hat vor zehn Jahren finanziert, dann hat er etwa das gleiche Zinsniveau, was er vor zehn Jahren auch hatte, das heißt, da ist nicht der große Effekt. Aber diejenigen, die geplant haben, jetzt zu erwerben und noch am Jahresanfang eine völlig andere Zinssituation haben, als sie jetzt haben, die müssen dann doch deutlich entweder das Verschuldungsvolumen hochfahren oder sie müssen sehen, dass sie geringere Preise erzielen bei den Immobilien, die sie erwerben möchten, also in eine Preisverhandlung eintreten.

Ist das für Sie ausgemachte Sache, dass die EZB – wenn wir mal beim Thema Zinsen sind und dableiben – auf jeden Fall noch weiter anziehen muss, das heißt, die Zinsen werden noch weiter steigen?

Die EZB wird die Zinsen noch anheben, sie wird es aber nicht mehr in dem Tempo tun, wie sie es zuletzt getan hat. Ich hatte mehrere Argumente erwähnt, warum der Druck abnimmt, und man muss immer wissen, jenseits des Wechselkurses, der kurzfristig ja reagiert auf Zinsunterschiede zwischen Währungsräumen, sind die anderen Maßnahmen, die die EZB unternimmt, oder die anderen Wirkungskanäle, eher längerfristig, das heißt, es dauert drei, vier, fünf Quartale, bis das ankommt. Sie hat Erhebliches getan, aber sie kann jetzt deutlich die Geschwindigkeit rausnehmen, aber es wird noch Zinserhöhungen geben.

Lieferengpässe, das ist auch noch ein Stichwort. Wie gravierend ist das und bleibt es?

Nehmen wir ein Thema, das sich auch deutlich reduziert hat in seiner Problemschwere. Wir sehen das an verschiedenen Indikatoren. Wir sehen das an den Frachtraten, was die Kosten der Logistik angeht, wir sehen es an den Indikatoren, die es für solche Abfragen und Einschätzungen von Lieferproblemen gibt, die aber seit einem Jahr auch sich deutlich zurückgebildet haben. Das wird nicht mehr das dominierende Problem sein. Es ist eher die Frage, wie kommt man in diesem unübersichtlichen Jahr, das jetzt beginnt, mit den Energiekosten zurecht, wie kann man das abbilden in der Wirtschaftsrechnung des Unternehmens und wie wird daraus sozusagen auch eine Investitionsperspektive. Dabei muss man sagen, dass Investieren und Beschäftigung beides durchaus robust sind. Also wenn ich gesagt habe, dass die Erwartung bei der Produktion mit 30, die weniger erwarten, deutlich negativer ist, als das lange Zeit der Fall war, dann haben wir bei den Investitionen und Beschäftigung jeweils gut über 20, 22, 23 Branchen, die sagen, es bleibt auf dem Niveau des Vorjahres, und das ist eher natürlich eine robustere Aussage.

Reden wir über etwas Positives aus Sicht der Unternehmen: Welche Unternehmen werden profitieren von dieser Entwicklung?

Nun, es gibt wenige, die jetzt wirklich sehr positiv gestimmt sind. Das sind vor allen Dingen die, die aus der Pandemie heraus mit Belastungen gekommen sind und die dann jetzt erwartet haben, und dass auch vor einem Jahr schon, dass es besser wird. Das ist die Tourismuswirtschaft, das ist Werbe-, Messewirtschaft, das Hotel- und Gaststättengewerbe, die ja, wie wir alle erlebt haben, dann ganz besonders durch die Lockdowns noch in dem Jahr 2021 betroffen waren. Die gehen auch weiterhin davon aus, das zeigen auch die Buchungen, dass das ganz ordentlich wird für sie in diesem Jahr. Wir haben im Kern auch die Automobilbranche, die relativ stabil ist und keine weiteren Einschränkungen erwartet, denn die hat ja auch schon einen Teil des Transformationsprozesses, den sie leisten muss, organisiert: Verringerung der Produktpalette, andere Antriebstechniken, die Produktionen sind umgestellt – da sortieren sich die Dinge neu, aber da ist schon eine Menge erledigt. Das Niveau ist sicherlich niedrig, aber sie erwarten keine weiteren Produktionseinschränkungen.

Mineralölindustrie, da machen Sie sich auch keine größeren Sorgen?

Gut, die sind von der Zyklizität dieser Krise natürlich jetzt ganz besonders im Positiven auch mitgetragen, aber auch da muss natürlich investiert werden, und das sehen wir eigentlich noch mal beim Thema Investitionen. Ich hatte gesagt, es ist eigentlich robust, 22 sagen, es bleibt gleich, 17 sagen weniger, acht sagen, es wird mehr investiert, aber im Grunde müssen wir natürlich eigentlich mehr investieren, denn wir haben diese Transformationsaufgabe. Wir haben auch während der Pandemie weniger investiert, als es notwendig gewesen wäre, also hier bleibt eine Aufgabe, und das ist auch die Aufgabe der Politik, Erwartungen zu stabilisieren. Da müssen jetzt auch Gas- und Strompreisbremse wirken. Wenn das immer komplizierter wird und es nicht wirkt, dann hat man zwar viel Gesetzgebungsleistung erbracht, aber die Wirkung dann nicht wirklich jetzt erreicht. Insofern muss man den Blick auf die Investitionen richten.

Zum Interview auf deutschlandfunk.de

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