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IW-Direktor Michael Hüther
Michael Hüther im Online-Magazin der Hertie-Stiftung Interview 14. Oktober 2021

„Demokratie braucht soziale Orte, auch in Unternehmen”

Wie steht es um das Verhältnis zwischen Demokratie und Wirtschaft in unserem Land? Dieser Frage widmet sich der Essaypreis der Hertie-Stiftung, dessen Gewinnerinnen und Gewinner 2021 am 14. Oktober bekannt gegeben werden. IW-Direktor Michael Hüther ist Jury-Mitglied des Essaypreises und erläutert im Interview mit der Hertie Stiftung, warum er die Bedeutung der Wirtschaft für die Demokratie für so wichtig hält, weshalb das Homeoffice auf Dauer die Gesellschaft spaltet, und was er sich von der neuen Bundesregierung erhofft.

Sie forschen an Ihrem Institut seit langem zu dem Verhältnis von „Marktwirtschaft und demokratischem Zusammenhalt“ - wie steht es aktuell um dieses Verhältnis, und was sind die größten Herausforderungen?

Das Verhältnis ist gerade etwas widersprüchlich: Wenn man sich die Umfragen zur Einschätzung der Wirtschaftsordnung anschaut, sind wir seit der Finanzkrise 2008 wieder auf einem guten Weg. Es gibt die Wahrnehmung in der Gesellschaft, dass man Krisen managen kann, und der Marktwirtschaft gelingt es, Beschäftigung zu schaffen. Das Zutrauen in die marktwirtschaftliche Ordnung ist somit gewachsen. Gleichzeitig gibt es bei vielen Menschen ein Unbehagen, eine unbestimmte Unsicherheit mit Blick auf Fernbeeinflussungen, die zugleich mit dieser Wirtschaftsordnung verbunden sind, oder
ihr zugeschrieben werden.

Was sind das für Fernbeeinflussungen?

Zum einen die Globalisierung, zum anderen die Digitalisierung. Beides sind Prozesse, die erkennbar nicht hier bei uns in Deutschland ihren Ursprung haben. Bei der Globalisierung sind es Grenzöffnungen und die Einbindungen anderer Wirtschaftsräume, bei der Digitalisierung geht es um Innovationen, die vor allem im Silicon Valley ihre Basis haben. Diese Fernbeeinflussungen sind unter anderem ein Grund, warum das Sicherheitsbedürfnis in Deutschland sogar höher ist als in vielen anderen Ländern. Die Menschen hierzulande präferieren Sicherheit, d.h. einschätzbare und beherrschbare Lebensumstände. Viele spüren ein Unbehagen - das Gefühl, in anderen Ländern gehe manches zu weit, zum Beispiel hinsichtlich der Wettbewerbsintensität, der Infragestellung von erreichten Positionen. Sie stellen sich die Frage, mit welcher Legitimation diese Entwicklung in ihre Lebensbedingungen eingreifen darf. Eine Wahrnehmung, die für sich genommen dem Zutrauen in Marktwirtschaft und Demokratie eher abträglich ist.
 
Was kann die Wirtschaft tun, damit die Menschen wieder mehr Zutrauen gewinnen?

Zunächst geht es darum, dass das zentrale Erfolgskriterium einer Wirtschaftsordnung erfüllt wird: Also ein hoher Beschäftigungsstand bzw., dass unfreiwillige Arbeitslosigkeit so gering wie möglich ist. Bis zur Pandemie war das der Fall. Wenn wir uns heute den Stellen-Index und die Anzahl der offenen Stellen ansehen, erkennen wir, dass die Pandemie am Arbeitsmarkt zwar strukturelle Probleme geschaffen hat, aber dass das Beschäftigungsvolumen wieder steigen wird. Hinzu kommt, dass sich angesichts der Knappheit von Fachkräften in vielen wichtigen Sektoren die Beschäftigung zu guten Löhnen manifestieren wird. Das ist eine wichtige Voraussetzung, um das Zutrauen der Menschen zu stabilisieren. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, die Menschen aktiv in den Strukturwandel einzubinden, in dem wir uns befinden. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines Unternehmens, die in der Regel mit ihren Arbeitgebern in gutem Kontakt sind, bekommen mit, was dort gelingt, welche Innovationsleistungen erbracht werden, und wie sich das Unternehmen auf den Wandel einstellt. Wenn Unternehmen ihre Mitarbeitenden dabei unterstützen, eigene Ideen und Möglichkeiten zu mobilisieren, können Zutrauen und Vertrauen weiter wachsen - damit wir alle mit den Anforderungen, die vor uns liegen, zurechtkommen.

Eine Herausforderung ist die Corona-Krise. Inwieweit hat die Pandemie das Verhältnis zwischen Demokratie und Wirtschaft verändert? Immerhin wurden zeitweise Grundrechte gestrichen, während der Staat Unternehmen mit viel Geld gerettet hat.

Die gesellschaftlichen Folgen der Pandemie und deren Auswirkungen auf die Demokratie werden noch sehr lange zu sehen sein. Es sind Grundrechte eingeschränkt worden, und gleichzeitig haben wir in der Gesellschaft das Gemeinsame nach hinten geschoben. Es war wichtig Distanz herzustellen, Zuhause zu bleiben und sich nicht in öffentliche Räume zu begeben. Allerdings ist die Öffentlichkeit der zivilgesellschaftliche Humus einer Demokratie. Demokratien zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht nur in Institutionen stattfinden, sondern auch im öffentlichen Raum, also dort, wo Menschen ihr tägliches Tun miteinander koordinieren. Das haben wir während der Pandemie genau umgedreht, und es war eine gewisse Zeit richtig. Nur müssen wir uns über die Kosten klar werden. Wir verlieren noch immer soziale Orte im Öffentlichen, aber auch in Unternehmen. Wenn eine große Ableitung der Pandemie ist, dass wir alle lieber im Homeoffice arbeiten, dann war das in bestimmten Phasen gut und richtig, aber wenn dies zur Normalität wird, hat das Spaltungen zur Folge. Zum Beispiel in Firmen mit Belegschaften, bei denen die Arbeit im Homeoffice gar nicht möglich ist, weil sie in der Produktion oder bei Kunden arbeiten. Andererseits wird ein Unternehmen, in dem Homeoffice an der Tagesordnung ist, kein sozialer Ort mehr sein. Indem wir solche sozialen Orte in Unternehmen entwerten, verlieren wir auch die Möglichkeit, Demokratie zu gestalten.

Inwiefern genau?

Wahlen sind Ausdruck souveränen Handelns, genauso ist beim täglichen Miteinander, im Gespräch oder im Aushandeln von Problemlösungen oder von Gemeinsamkeiten. All dies geht uns verloren, wenn wir soziale Orte abbauen, auch in Unternehmen. Politik hat, wie ich finde, während der Pandemie zu lange zu einseitig auf eine virologische Expertise gesetzt. Die ist wichtig, keine Frage. Sozialwissenschaftliche und soziologische Erkenntnisse aus der Bildungsforschung sind zwar genannt, aber nie wirklich ernst genommen worden. Das alles hätte man schon im Frühjahr 2021 klären und vorbereiten müssen. Nun müssen wir erst mal damit zurechtkommen, dass ein Teil der Gesellschaft auf die Impfung setzt und sich ein anderer weiterhin verweigert. Das spaltet die Gesellschaft.   
 
Viele möchten gern im Homeoffice bleiben, wie lässt sich das jetzt wieder zurückdrehen?

Das sind Konflikte, die aktuell in Unternehmen auftreten. Man muss die Menschen immer wieder darauf hinweisen: „Leute, bedenkt, was ihr verliert, wenn ihr nur zuhause sitzt“. Es muss klar sein, dass der Kern des Arbeitens auch ein soziales Erleben ist, deswegen sollten es sich Unternehmen nicht zu leicht machen und die Mietkostenersparnisse sehen. Sie müssen das steuern. Das andere ist, dass wir das Feiern und Kulturereignisse im öffentlichen Raum wieder möglich machen müssen. Mit der Impfung geht es im Prinzip ja auch.

Mal ins Ausland: China ist mittlerweile eine gefürchtete Wirtschaftsmacht, deshalb werden Stimmen lauter, die sagen, dass Demokratie auch ein Wettbewerbsnachteil sein kann. Wieviel Demokratie erträgt oder braucht eine Marktwirtschaft?

Grundsätzlich gibt es zu dieser Frage zwei Perspektiven, und die halte ich beide für zentral: Die eine ist, dass Demokratie und Marktwirtschaft historisch gesehen beide aus dem gleichen Modernisierungsprozess am Ende des 18. Jahrhunderts kommen. Es gibt also eine gemeinsame Wertebasis. Und zweitens: Marktwirtschaft und Demokratie ergänzen sich auf funktionale Weise hervorragend, denn Demokratie ist im Prinzip langsam. Warum? Sie muss relevante berechtigte Interessen auf dem Weg zur Entscheidung berücksichtigen, und selbst dann kann es immer noch schwierig werden. Marktwirtschaft ist schnell und führt ständig durch Neues zur Entwertung des Bestehenden. Das eine ist also systematisch langsam, das andere ist systematisch schnell. Das eine fragt nach Zustimmung, das andere nach Zahlungsfähigkeit. Aber beide Systeme zusammen können sich gegenseitig stützen. Die Demokratie bringt den legitimen stabilisierenden Rahmen, die Marktwirtschaft setzt die innovativen Impulse, die politisch wieder beantwortet werden müssen. Es gibt also ein Argument, dass beides zusammen auf Dauer wichtiger, wirksamer und zuträglicher ist als das, was wir in China erleben. Ich halte es deshalb für fatal so zu tun, als wäre Marktwirtschaft unabhängig von demokratischen Voraussetzungen. Das ist sie nicht.  
 
Mit welchen Veränderungen rechnen Sie jetzt nach der Bundestagswahl im Zusammenspiel von Demokratie und Wirtschaft?

Ich glaube, es handelt sich um eine historische Wahl. Jetzt gibt es einen Neuanfang, der auf folgenden Annahmen beruht: Die politischen Extreme links und rechts werden keinen Einfluss auf die Regierungsbildung haben. Das heißt, in der breiten Mitte des demokratischen Spektrums gibt es zwei Parteien um 25 und zwei Parteien um 15 Prozent. Es wird auf jeden Fall eine Koalition sein, die Brücken baut zwischen unterschiedlichen bürgerlichen Milieus, weil nach aller Wahrscheinlichkeit FDP und Grüne zusammengehen müssen. Das ist eine Herausforderung, aber auch eine Riesenchance zu zeigen, dass Fortschrittsperspektiven und Nachhaltigkeitsperspektiven gut zusammenzubringen sind. Und dass man nicht von den Zielen her so weit auseinander liegt, um in den Mittelpunkt zu rücken, was der Gesellschaft am besten dienlich ist. Wenn das gelingt, hätten wir einen Beitrag zur Erneuerung demokratischer Dynamik. Ich halte außerdem viel von der Amtszeitbegrenzung; mehr als zwei konsekutive Amtszeiten sollte eine Bundeskanzlerin oder ein Bundeskanzler nicht haben dürfen. Insofern sehe ich diese Wahl als außerordentlich wichtig an. In ihrer historischen Dimension werden wir irgendwann sehen, dass da nochmal in hoher Reife etwas für unsere Demokratie geschieht und abgeleitet werden kann. Vielleicht bin ich etwas zu optimistisch, aber die Koalitionspartner machen das ja im Ganzen bisher nicht unklug, was da so von außen zu verfolgen ist. Deswegen glaube ich, dass die Wahl eine demokratiepolitische Wegmarke ist.

Die Hertie-Stiftung engagiert sich mit vielen Initiativen für die Demokratie. Seit 2020 vergibt sie den Essaypreis, in dessen Jury Sie Mitglied sind. Welche Themen beschäftigen die Autorinnen und Autoren der eingereichten Essays besonders?

Ich denke, es ist die Frage, wie man mit Dilemma-Situationen und Herausforderungen umgeht, denen die Gesellschaft heute ausgesetzt ist. Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt. Menschen wollen gern einfache Antworten, und die Politik ist ständig auf der Suche und findet keine. In vielen Texten wurden solche Fragen gestellt, und manchmal dachte ich: „Was für eine Frage?!“ Aber dann hat sich daraus oft eine hochspannende Story entwickelt. Aus diesem Grund finde ich den Essaypreis der Hertie-Stiftung auch so bedeutsam, weil er eben ein Signal ist, um Themen wie Demokratie im Zusammenspiel mit der Wirtschaft samt aller vielgestaltigen Fragen und Herausforderungen in den öffentlichen Raum zu holen. Alle Essays waren auf ihre Art interessant und höchst lesenswert.

Zum Interview auf ghst.de

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