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Michael Hüther in der Welt Interview 27. April 2015

IW fordert mehr Flüchtlinge für deutschen Arbeitsmarkt

IW-Direktor Michael Hüther zeigt sich im Interview mit der Welt überzeugt davon, dass die demografische Lücke nur mit einem Zuwanderungsgesetz gelöst werden kann. Den Widerstand von Innenminister de Maizière hält er für "unverantwortlich".

Die Bundesregierung rechnet für dieses Jahr mit mindestens 300.000 Flüchtlingen. Die Debatte dreht sich oft nur um Probleme und Kosten. Stecken in dem starken Zustrom auch Chancen?

Eindeutig ja. Die Menschen, die all die Schwierigkeiten, die großen Gefahren und erheblichen Kosten auf sich nehmen, die wollen nicht im Sozialsystem landen, sondern möchten sich eine neue Existenz aufbauen. Die Flüchtlingsmigration könnte ein großes Potenzial für Arbeitsmigration darstellen – aber dafür müssten die Regeln geändert werden.

Welche Probleme gibt es?

Bislang sind Asyl und Arbeitsmigration zwei strikt getrennte Wege. Wer einen Asylantrag stellt und abgelehnt wird, muss zunächst das Land verlassen, um dann einen anderen Aufenthaltstitel zu beantragen. Das gilt auch für Ingenieure oder Facharbeiter aus Mangelberufen, deren Qualifikation am deutschen Arbeitsmarkt dringend benötigt wird und die als Arbeitsmigranten herkommen dürfen. Ein Statuswechsel, vom Asylbewerber zum Arbeitsmigranten, funktioniert nicht. Doch die Vorstellung, dass ein Flüchtling wieder zurückkehrt, um dann in der Konsularabteilung der deutschen Botschaft einen anderen Aufenthaltstitel zu beantragen, ist lebensfremd. Und es ist unwürdig.

Gibt es Daten für die Qualifikationen der Flüchtlinge?

Jeder fünfte Asylbewerber bringt einen Hochschulabschluss mit, jeder dritte hat eine Qualifikation, die der eines deutschen Facharbeiters entspricht. Die größte Hürde sind die oft fehlenden Deutschkenntnisse. Die Sprache ist der wichtigste Hebel, um Integration zu fördern. Deshalb sollten allen Flüchtlingen obligatorische Sprachkurse angeboten werden. Das ist in jedem Fall eine gute Investition. Bekommt jemand einen Aufenthaltstitel, dann ist die Sprache von elementarer Bedeutung. Denn die Chancen am Arbeitsmarkt nehmen bei guten Deutschkenntnissen eklatant zu. Aber auch wenn der Asylantrag abgelehnt wird und der Betroffene wieder nach Hause fährt, kann es nicht verkehrt sein, wenn er Deutsch gelernt hat. Die Kenntnisse nimmt derjenige schließlich mit. Überdies ist es gut, wenn die Flüchtlinge hier vom ersten Tag an etwas tun können, das sie weiterbringt.

Was ist mit den jungen Asylbewerbern, die noch keine beruflichen Qualifikationen haben?

Es gibt derzeit unter den Flüchtlingen etwa 4000 unbegleitete Minderjährige. Dafür sollte man einen humanitären Ausbildungstitel einführen. Und wer erfolgreich seine Ausbildung absolviert hat, sollte hierbleiben dürfen. Denn es gibt keinen Grund, auf diese Nachwuchskräfte, in die wir investiert haben und die sich integriert haben, zu verzichten.

Warum kommen aus Nicht-EU-Staaten so viele Flüchtlinge zu uns, aber nur wenige Arbeitsmigranten?

Wir haben die Arbeitsmigration aus Drittstaaten lange nicht zum Thema gemacht. Der Bundesinnenminister verweist darauf, dass 90 Prozent unserer Zuwanderung gar nicht von uns gesteuert werden. Das gilt für die Einwanderung von EU-Bürgern im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit, den Familiennachzug und die Flüchtlinge. Der Rest sei so gering, dass es sich nicht lohne, darum viel Aufhebens zu machen.

Aber gerade weil wir das bislang nicht getan haben, gibt es bisher wenig Signale ins Ausland, dass Fachkräfte hier hochwillkommen sind. Das ändert sich nun langsam. So hat die Bundesregierung in der letzten Legislaturperiode das Internetportal "make it in germany" an den Start gebracht. Doch jetzt muss auch das Zuwanderungsrecht attraktiver werden. Es reicht nicht, wenn Thomas de Maizière das Zuwanderungsmarketing verbessern will. Damit das Marketing bestmöglich wirken kann, braucht es eben ein überzeugendes Zuwanderungsrecht.

Wo sollte der Gesetzgeber ansetzen?

Das deutsche Zuwanderungsrecht ist intransparent. Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Aufenthaltstitel. Denn in den vergangenen zehn Jahren ist mit hoher Dynamik vieles verändert worden. Für Fachkräfte sind die Hürden deutlich abgesenkt worden. Diese Schritte waren richtig, reichen aber nicht. Denn die Aufenthaltserlaubnis wird zu starr an das Vorhandensein eines konkreten Jobangebots geknüpft. Andere Länder wie Australien, Kanada oder auch Dänemark haben einen potenzialorientierten Ansatz: Sie steuern die Zuwanderung nach klaren Kriterien wie Sprachkenntnisse, Qualifikationen oder Alter.

Gerade die Kopplung an den Arbeitsmarkt wird oft als Stärke des deutschen Systems genannt. Schließlich ist der Taxi fahrende Arzt nicht gewünscht.

Den Taxi fahrenden Arzt gibt es, wenn es mit der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse hapert. Hier hat Deutschland mit dem Anerkennungsgesetz einen ganz zentralen Schritt gemacht. Jeder hat heute einen Rechtsanspruch, innerhalb von drei Monaten einen Bescheid zu erhalten, ob sein Bildungs- oder Berufsabschluss in Deutschland anerkannt wird. Die arbeitsmarktorientierte Steuerung von Zuwanderung ist nicht verkehrt. Sie sollte aber durch eine potenzialorientierte Steuerung ergänzt werden. Wenn eine Person bestimmte Fähigkeiten mitbringt, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie erfolgreich am hiesigen Arbeitsmarkt sein wird.

Brauchen wir also ein Einwanderungsgesetz?

Ja, Deutschland braucht ein Einwanderungsgesetz. Damit würde das Thema auch politisch anders gewichtet. Die Abwehrhaltung des Bundesinnenministers ist unverantwortlich. Unser Land hat im Augenblick vor allem Zuwanderung aus EU-Ländern, also aus Ländern, die ebenfalls überaltern. Wir können unsere demografischen Probleme aber nicht durch eine Umverteilung der Arbeitskräfte innerhalb Europas lösen. Ohnehin ist die Hälfte der Migranten nach Jahresfrist schon wieder weg. Die kurzfristigen Wanderungen innerhalb der EU sind etwas völlig anderes als eine langfristige Zuwanderung aus Drittstaaten. Deutschland muss heute Signale in demografiestarke Weltregionen wie Südostasien oder Lateinamerika senden.

Zum Interview auf welt.de

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