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IW-Arbeitsmarktexperte Holger Schäfer
Holger Schäfer Interview 30. April 2022

„Ruhestand ab 70 wäre vernünftig”

Warum heute mehr Menschen, die älter als 50 Jahre sind, im Berufsleben stehen, erklärt IW-Arbeitsmarktexperte Holger Schäfer im Interview mit der Hannoverschen Allgemeine Zeitung.

Herr Schäfer, ist das heutige 50 auch auf dem Arbeitsmarkt das frühere 40?

Wir können auf jeden Fall beobachten, dass die Erwerbsbeteiligung der Älteren in den vergangenen zehn bis 15 Jahren enorm angestiegen ist. Das ist vielleicht eine der spektakulärsten, wenn auch am wenigsten beachteten Erfolgsgeschichten auf dem deutschen Arbeitsmarkt. In einigen Altersgruppen hat sich die Erwerbsbeteiligung im Vergleich zum Stand vor 15 bis 20 Jahren verdoppelt.

Woran liegt das?

Das liegt an den Reformen, die zum Teil schon in den Neunzigerjahren begonnen haben. Es begann mit Reformen, die etwa den verfrühten Eintritt in das Rentenalter deutlich unattraktiver oder sogar unmöglich gemacht haben. Früher gab es noch die Altersrente für Frauen ab 60 Jahre, das wurde auf 65 angehoben. Dann gab es eine Erschwerung diverser Frühverrentungsmöglichkeiten, die Altersteilzeit ist zum Teil eingeschränkt worden. Mit den Hartz-Reformen wurde die Dauer des Bezuges von Arbeitslosengeld verkürzt. Die war vorher gerade für Ältere sehr großzügig ausgestaltet.

Können die Älteren den Fachkräftemangel abfedern?

Das Problem beim Fachkräftemangel ist ja, dass die Älteren, die jetzt noch im Berufsleben stehen, alsbald in Rente gehen. Das sind die geburtenstarken Jahrgänge, die Babyboomer. Mit 1,4 Millionen Personen war der 1963-er Jahrgang der stärkste. Die stehen im Moment noch voll im Saft und Erwerbsleben, gehen aber spätestens 2031 in Rente. Der Jahrgang, der sie ersetzen muss - nehmen wir an die dann 22-Jährigen -, ist nur 700 000 Personen stark, also nur halb so viel. Das ist unser demografisches Fachkräfteproblem.

Wie kann man es lösen?

Durch verschiedene Maßnahmen. Eine wäre, die Lebensarbeitszeit zu verlängern. Aber ganz kann man das nicht kompensieren.

Müssten die Babyboomer arbeiten, bis sie 70 sind?

Es wäre vernünftig, das einzuleiten. Wir wären nur dadurch in der Lage, die Arbeitskraftverluste einigermaßen abzufedern. Wir schaffen das nämlich weder durch Zuwanderung noch durch verstärkte Erwerbsbeteiligung von Frauen. Bisher stimmen mich die Zeichen dafür aus der Politik allerdings nicht sehr optimistisch.

Weil Babyboomer auch ein wählerstarker Jahrgang sind?

Das ist sicher ein Problem. Die Rentner haben einen gewichtigen Anteil an der Wählerschaft - und wenn man Menschen im rentennahen Alter in Aussicht stellt, länger arbeiten zu müssen, wählen diese möglicherweise andere, die schönere Versprechungen machen.

Welche Vorteile haben die Ü 50 gegenüber Jüngeren?

Sie haben nicht das frische Wissen aus dem Bildungssystem wie zum Beispiel Uni-Abgänger, aber man kann vieles durch Erfahrungswissen wettmachen. Am besten ergänzen sich jüngere und ältere Arbeitgeber miteinander.

Wie flexibel sind ältere Beschäftigte?

Man muss feststellen, dass die Flexibilität im Alter abnimmt. Das mag ein Grund dafür sein, dass Ältere zwar weniger stark in Gefahr sind, arbeitslos zu werden. Aber wenn sie es erst einmal sind, haben sie größere Schwierigkeiten, auf den Arbeitsmarkt zurückzukehren.

Können die ukrainischen Geflüchteten unseren Arbeitsmarkt beleben?

Grundsätzlich schon, da der durchschnittliche Ausbildungsstand sehr gut ist. Doch da ist die Sprachbarriere. Zudem muss die Kinderbetreuung gewährleistet sein, die meisten Geflüchteten sind Frauen mit Kindern. Das sind zwei Herausforderungen, die man erst einmal überwinden muss. Der demografische Fachkräftemangel lässt sich dadurch allerdings nicht beheben. Wenn von den 300 000 bis 400 000 Geflüchteten rund 200 000 arbeiten, wäre das ein Erfolg, es reicht aber nicht aus. Der deutsche Arbeitsmarkt ist ein Aggregat von 45 Millionen.

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