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Michael Hüther in der Frankfurter Rundschau Interview 17. Januar 2011

„Europäische Anleihen für europäische Infrastruktur“

Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW), spricht anlässlich des 60-jährigen Bestehens des IW mit der Frankfurter Rundschauüber steigende Löhne und eine kriselnde Währung.

Gibt es für das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft ein schöneres Geburtstagsgeschenk zum 60. als die rekordverdächtige Gewinnquote von 35,8 Prozent im dritten Quartal 2010? Nie zuvor machten Einkommen der Unternehmen und aus Vermögen einen größeren Teil der Wirtschaftsleistung aus.

Mich beeindruckt am meisten, was sich am Arbeitsmarkt tut. Die rekordhohe Beschäftigung ist zukunftweisend. Immer mehr Menschen in Deutschland können ihre Beschäftigungswünsche wieder realisieren. Das ist das schönste Geschenk!

Jetzt lenken Sie nicht von der Gewinnquote ab!

Danke für den Hinweis, ich wäre selbst noch drauf gekommen. Denn die gute Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt hat viel mit der höheren Gewinnquote zu tun. Sie hat die Eigenkapitalausstattung der Unternehmen deutlich verbessert. Das hat Deutschland in der Krise positiv zu spüren bekommen. Die Firmen waren in der Lage, Beschäftigung zu halten. In früheren, deutlich kleineren Krisen gab es mehr Entlassungen.

Aber lag das nicht vor allem an der Kurzarbeiterreglung?

Klar, die Kurzarbeit war ganz entscheidend. Die Kosten der Kurzarbeit haben sich jedoch Staat, Arbeitnehmer und Firmen je zu einem Drittel geteilt. Auch die Firmen mussten sich das leisten können. Das lag an den hohen Eigenkapital-Puffern.

Bis wohin darf die Gewinnquote, die sich in den vergangenen zehn Jahren von ihrem langjährigen Durchschnitt bei 30 Prozent gelöst hat, noch steigen?

Für all diese Quoten gibt es weder theoretisch begründbare noch normative Richtwerte. Die kritische Frage ist, was die Gesellschaft langfristig akzeptiert. Doch Zeitpunktbetrachtungen sollte man nie überbewerten. Wir dürfen nicht vergessen, dass in der Lohnpolitik zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften für die Jahre 2009 und 2010 ein Stillhalteabkommen geschlossen worden ist. Das war sinnvoll und richtig. Man muss beide Jahre, den Absturz und den rasanten Aufschwung, zusammen betrachten. 2009 war deshalb die Lohnquote, also der Anteil der Arbeitnehmereinkommen am Bruttoinlandsprodukt, höher als ohne dieses Stillhalteabkommen. 2010 ist nun die Gewinnquote höher.

Deshalb müssen jetzt die Löhne steigen, richtig?

Das werden sie, aber nicht aus Nachholgründen.

Auf breiter Front? Um wie viel?

Die Lektion aus den vergangenen 15 Jahren lautet: Bei den Lohnabschlüssen muss man betrieblich differenzieren können. Das Modell mit Flächentarifverträgen, die Abweichungen zulassen, hat sich bewährt.

Nur 2,7 Prozent Lohnerhöhung als Richtschnur?

Lassen Sie die drei vor dem Komma stehen, um den Spielraum abzustecken. Da die Preise stabil sind, wird dieses Jahr mit Sicherheit real etwas bei den Arbeitnehmern ankommen.

Warum investieren die Firmen noch immer so wenig?

Einspruch. Die Firmen haben bereits im zweiten Quartal 2010, als die Kapazitäten noch längst nicht ausgelastet waren, wieder kräftig begonnen zu investieren. Das ist bemerkenswert. Und wenn Sie sich das Ergebnis unserer jüngsten Branchenumfrage anschauen, werden Sie staunen.

Warum?

In den vergangenen 20 Jahren war die Investitionsneigung in der Breite der Branchen nie größer. Deshalb dürfte die Investitionsdynamik im neuen Jahr zunehmen.

Stichwort Euro-Krise. Die Deutschen beklagen häufig die Kosten, die ihnen aufgebürdet werden. Wie viel sollte den Deutschen der Euro wert sein?

Der Euro wird in der aktuellen Debatte kleingeredet. Jedes Währungsarrangement, sei es eine nationale Währung, sei es ein Währungsverbund wie der Vorläufer des Euro, alles hat seine Kosten. In den 60ern hat Deutschland Inflation importiert, weil es zu spät aufgewertet hat. 1992 und 1993 ging durch die Krise des europäischen Währungssystems die Wettbewerbsfähigkeit flöten. Es dauerte mehr als ein Jahrzehnt, bis sie wieder hergestellt war. Jedes Währungssystem hat seine Anpassungskosten.

Ex-BDI-Chef Henkel fordert die Aufspaltung der Euro-Zonen in einen Süd- und einen Nord-Euro. Eine vernünftige Idee?

Das ist absoluter Schmarrn. Mit einer solchen Aufspaltung zerstören Sie am Ende die europäische Wirtschaftsunion. Denn wer hier die europäische Integration zurückdreht, wird erleben, dass es auch auf vielen anderen Feldern Rückschritte geben wird. Außerdem müsste man für ein paar Wochen die Grenzen schließen, weil jeder Südeuropäer noch vor der Trennung versuchen würde, sein Geld in den Norden zu bringen. Denn eines ist klar: Der Nord-Euro würde kräftig gegenüber dem Süd-Euro aufwerten.

Mit negativen Auswirkungen auf die Arbeitsplätze hierzulande?

Mit den dramatischen Auswirkungen eines deflationären Schocks. Die Aufwertung würde heftig ausfallen und könnte bis zur Hälfte aller Jobs in der Exportindustrie zerstören.

Über welche Größenordnungen sprechen wir?

Kurzfristig von 2,5 bis drei Millionen.

Also kann die Antwort nicht raus aus dem Euro lauten?

Auf keinen Fall. Außerdem handelt es sich ja keineswegs um eine Krise des Euro. Er ist stabiler als die D-Mark sowohl nach innen als auch nach außen. Die Eurozone insgesamt steht deutlich besser da als etwa die USA. Es ist eine Krise des politischen Handelns in der europäischen Währungsunion. Die Politik muss Fragen beantworten, von denen sie dachte, dass sie ihr so nie gestellt würden.

Die Frage nach der Rettung von Mitgliedsländern etwa?

Genau. Deshalb gehen die Beschlüsse des EU-Gipfels vom Dezember auch in die richtige Richtung. Die Kommission wird bei der Haushaltsüberwachung gestärkt, eine Insolvenzordnung für Staaten geschaffen und ein dauerhafter Krisenmechanismus eingerichtet. Damit steht Euroland am Ende besser da als Deutschland.

Wie bitte?

Vergleichen wir doch mal Griechenland und Irland mit Saarland und Bremen. Beide Bundesländer hatten Anfang der 90er so viele Schulden, dass sie nicht mehr in der Lage waren, ihren Aufgaben alleine nachzukommen. Die Bundesregierung sowie die anderen Länder hatten nichts in der Hand, sie auf den Weg der Tugend zu führen. In der Weimarer Verfassung gab es immerhin den Staatskommissar, der in den überschuldeten Ländern regiert hätte, bis zur Lösung des Problems. Da ist Euroland heute doch weiter als die Bundesrepublik. Die Sparprogramme der Iren und Griechen können sich sehen lassen. Sie verbessern die Strukturen und machen diese Euro-Mitglieder langfristig wettbewerbsfähig.

Gibt es einen Ausweg ohne Transferunion, analog dem hiesigen Länderfinanzausgleich?

Es gibt Ausgleichsmechanismen, wie den Kohäsionsfonds und den Strukturfonds. Allerdings sollten wir aus der Geschichte lernen: Wer den direkten Finanzausgleich fordert oder einen europäischen Währungsfonds, der muss auch die Hoheit über seine Staatsfinanzen an die nächst höhere Ebene abgeben. Soweit ist Euroland noch nicht. Deshalb sollten wir Alternativen bedenken.

Alternativen?

Klar definierte europäische Themen, die aufgrund ihrer externen Effekte auf alle Mitglieder ausstrahlen, könnten vergemeinschaftet werden. Also etwa die europäischen Infrastrukturnetze oder die Verteidigung.

Und dafür könnte man dann europäische Steuern erheben und europäische Anleihen begeben?

Ja, für diese exakt umrissenen europäischen Aufgaben könnte man dann eine Zweckfinanzierung auf EU-Ebene organisieren. Das ist auch ordnungspolitisch angemessen. Genau wie es heute Bundesautobahnen gibt, würde es dann transeuropäische Autobahnen geben, die über die europäische Ebene finanziert würden.

Politik und Lobbyisten sitzen in Berlin. Was hält das IW in Köln?

Das Institut ist durchaus in der Tradition der alten Bonner Republik zu Hause. In Berlin sind wir mit dem Hauptstadtbüro mit zehn Mitarbeitern präsent. Wir müssen aber den Strukturen der deutschen Wirtschaft nahe sein – und die sind nicht in Brandenburg. Von Köln aus kommt man in drei Stunden nach Bremen, aber auch in zwei Stunden nach Stuttgart, in einer Stunde ins Rhein-Main-Gebiet. Das wesentliche, was die deutsche Wirtschaft treibt, haben wir in der Nähe.

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