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Michael Hüther im Deutschlandradio Kultur Interview 10. Februar 2010

"Eine Verfassungsregel kann man nicht einfach mal umgehen"

Vor dem Hintergrund eines drohenden Staatsbankrotts in Griechenland hat sich der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW), Michael Hüther, für eine verfassungsmäßige Schuldenbremse auch in anderen europäischen Ländern ausgesprochen.

Was erwarten Sie denn von den Staats- und Regierungschefs der EU in Sachen Griechenland?

Ich gehe nach dem, was wir bisher gehört haben, davon aus, dass es eine Aktion gibt, die Griechenland eine Brücke baut. Man bewegt sich zwischen zwei Extremen: Auf der einen Seite weiß man, dass man keine Bailout-Lösungen vornehmen kann, das heißt, es können nicht einfach Zahlungen von anderen Steuerbürgern nach Griechenland gegeben werden, um die schwierige Finanzlage Griechenlands zu bereinigen. Das widerspricht dem europäischen Vertrag, es hätte katastrophale Anreizwirkungen in der Europäischen Union und würde damit das bisherige ganze institutionelle Arrangement in Zweifel ziehen.

Aber was kann man denn stattdessen machen?

Das ist sozusagen die andere Seite: Man wird Griechenland auch so nicht ganz alleine lassen können, und es lebt im Grunde davon, welches Maß an Selbstverpflichtung die Griechen bereit sind aufzubringen. Das ist für die griechische Regierung schwierig, das sind ja keine Versäumnisse von zwei Monaten. Es sind ja Strukturverwerfungen und Versäumnisse, die sich über Jahre aufgebaut haben, die bis dahin gehen, dass man kein wirklich funktionsfähiges Steuererhebungssystem hat, um die Steuern, die man hat, auch wirklich einzutreiben. Das heißt, der Staat lebt im Grunde auf einer völlig illusionären Basis, und das heißt, den Gürtel massiv enger schnallen. Und das kann man auch nicht nur mit einem scharfen Messer einmal machen, sondern hier müssen Strukturen verändert werden. Und diese Selbstverpflichtung Griechenlands, die wird ganz entscheidend sein, und da muss Griechenland im Zweifel auch Souveränität abgeben.

Welche Möglichkeiten hat denn die Europäische Union, Griechenland zur Haushaltsdisziplin zu bringen? Bisher ist die Haushaltspolitik ja eine Domäne der einzelnen Staaten.

Es gibt für die Haushaltspolitik natürlich die Vorgaben des Maastricht-Vertrages. Insofern gibt es natürlich hier keine wirklichen Sanktionsmöglichkeiten so nach dem Motto: wenn nicht, dann … Aber Griechenland ist in einer solchen Situation, dass es ja eigentlich keine wirklichen Optionen hat. Der Austritt aus der Währungsunion ist ja für Griechenland keine wirkliche Möglichkeit, denn der Ansehensverlust, der Glaubwürdigkeitsverlust wäre fundamental, und auf Jahre hinaus würde dieses Land unter massiven Glaubwürdigkeitszweifeln an internationalen Kapitalmärkten zu leiden haben. Also es würde eher sehr viel schlimmer. Insofern ist die Lage der Optionen für Griechenland relativ begrenzt.

Für die Europäische Union kommt es eigentlich entscheidend darauf an, dass man jetzt nicht mit leichter Hand irgendwas beschließt und irgendwelche Hilfszahlen zur Verfügung stellt. Man muss klarmachen: Wenn ihr das so nicht eingehen wollt, ihr Griechen, was wir für notwendig halten, dann gibt es auch andere Möglichkeiten, dann kann das auch im Zweifelsfall der Internationale Währungsfonds machen. Mich hat ja immer gewundert, dass auf europäischer Ebene das so ganz aus der Drohkulisse herausgenommen wurde. Der Internationale Währungsfonds kennt solche Aufgaben, er ist dafür quasi geboren und könnte auch allen Zorn auf sich ziehen, das wäre auch nichts Neues für ihn. Also man muss die Drohkulisse schon deutlich machen.

Wie groß ist denn jetzt überhaupt der Handlungsbedarf? Griechenland steht mit 290 Milliarden Euro in der Kreide, vor allem bei Banken in Europa. Würde eine Pleite eine zweite globale Finanzkrise auslösen?

Nein, denn wir haben ja hier keine vergleichbaren Vernetzungen, wie wir sie in der Ursachenlage der jetzt zu verarbeitenden Wirtschafts- und Finanzkrise hatten, die ja global Bankensysteme in die Verwerfung gebracht haben. Hier wäre es ein durchaus regionales Problem und das würde auch den Euro schädigen, aber man darf nicht immer gleich von vorneherein aus Angst vor allem, was noch passieren könnte, den scheinbar leichten Weg gehen und Geld überweisen, um dann mal vorübergehend die Probleme zu lösen.

Aber 290 Milliarden, das ist mehr als doppelt so viel als die Schulden, die die Lehman Brothers hatten, und diese Bank hätte man ja eigentlich retten sollen, sagt man eigentlich.

Es wird auch nicht so sein, dass Griechenland völlig in die Zahlungsunfähigkeit versinkt. Wenn man sich die Daten mal insgesamt anschaut, also beispielsweise die Relation der Zinsausgaben in Griechenland im Vergleich zu den gesamten Staatseinnahmen, dann sind die zwar dramatisch angestiegen, aber die sind heute prozentual nur halb so hoch wie 1995. Das heißt also, Griechenland hatte schon mal eine deutlich schwierigere Situation, nur hat keiner damals hingeguckt. Und die Frage ist: Macht man den Griechen klar, dass sie aus dieser Situation heraus eine Strategie entwickeln können? Und das Schwierige ist ja, dass der ganze politische Zorn, der in Athen sich manifestiert, dass der natürlich Richtung Brüssel und Richtung natürlich einiger europäischer Länder sich manifestiert, und deswegen muss man einfach mit im Auge haben, ob Europa nicht auch andere, nämlich den Internationalen Währungsfonds, andere Lösungsmechanismen mit bedenken sollte.

Griechenland ist ja nicht der einzige Problemfall, auch Spanien, Portugal und Irland sind stark unter Druck. Braucht die Europäische Union nicht einen Notfallplan für solche Fälle, schon allein, um jetzt Vertrauen zu schaffen?

Na ja, wissen Sie, wenn Sie Notfallpläne haben, löst das ja auch Anreizwirkungen aus, nach dem Motto: Na ja, also wenn es dann mal ganz daneben geht, es gibt ja noch einen Notfallplan. Ich glaube, wir müssen über etwas anderes nachdenken. Wir müssen das, was auf der europäischen Ebene ja beschlossen wurde, was ja in vielen Ländern auch mehr als nur Gesetzeswirkung hat, umfassend zu einer verfassungsrechtlichen Selbstbindung zu machen.

Was ich damit meine, ist, die Schuldenbremse, die wir ins Grundgesetz bei uns hineingeschrieben haben, analog auch anderen Ländern abzuverlangen. Eine Verfassungsregel kann man nicht wirklich einfach mal eben umgehen. Das ist auch in dem jeweiligen Land eine klare Orientierung, das würde Glaubwürdigkeit begründen. Das heißt, wenn wir ein solches neues Verpflichtungspaket eingehen würden, sagen: Wir lernen aus diesem Prozess, es gibt schon immer auch mal Leute und Länder, die es nicht ganz so ernst nehmen, wir müssen uns selbst verpflichten, und das ist jetzt die nächste Stufe der Bindung, die wir eingehen – das würde Glaubwürdigkeit signalisieren, das kann man auch im Vorhinein für künftige Situationen dann tun.

Auf der anderen Seite muss die Schuldenbremse, die in Deutschland beschlossen wurde, ja ihre Wirksamkeit ja auch erst noch unter Beweis stellen, oder?

Das ist sicherlich richtig, aber Sie sehen ja schon, wie die Existenz der Schuldenbremse kombiniert mit den Maastricht-Regeln bei uns die Orientierung der Finanzpolitik definiert, das heißt klarzumachen, was wir ab 2016 beim Bund erreichen müssen, da muss ab nächstem Jahr hingearbeitet werden, ab 2020 bei den Ländern, da kann man nicht einfach mal so eben links oder rechts dran vorbeirutschen wie auf einem rutschigen Bürgersteig, wie in Berlin, sondern das ist etwas, an das man sich orientieren muss, und Verfassungsregeln sind immer noch das Schärfste, was wir haben.

Und das ist vielleicht …

Es hilft nicht jetzt einfach so einen Notfallplan, weil jeder weiß, wenn ich in Ohnmacht falle, selbstverschuldet, kommt ja einer.

Das Interview zum Anhören

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