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(© Foto: PAVLE MARJANOVIC - Fotolia)
Michael Hüther in der Badischen Zeitung Interview 29. April 2010

"Die Gläubiger Athens müssten verzichten"

Für den Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, ist die europäische Währungsunion eine Schicksalsgemeinschaft. Für ihn bedeutet das: Hilfen für die Griechen sind gerechtfertigt und nötig. Er rechnet nicht damit, dass aus den Zahlungsschwierigkeiten Athens eine neue globale Finanzkrise folgt.

Herr Hüther, werden wir wegen der griechischen Probleme ähnliches erleben wie nach dem Zusammenbruch der Lehman-Bank? Ein weltweiter Vertrauensverlust, verbunden mit einem dramatischen Konjunktureinbruch?

Nein, man muss die Größenordnung beachten. Griechenland ist ja eigentlich klein. Überspitzt gesagt: Griechenland is too small to matter (Deutsch: zu klein, um wirklich bedeutsam zu sein). Die Probleme des Landes sind nicht die erste Schuldenkrise. Vergleichbares gab es 1998 in Russland, 2001 in Argentinien. Es ist auch immer irgendwie geholfen worden. Entscheidend sind die Bedingungen und wie die betroffenen Staaten reagieren. Darüber müssen wir reden.

Sind Kredite für Griechenland, die zu einem großen Teil mit Hilfe des deutschen Steuerzahlers finanziert werden, gerechtfertigt? Wäre es nicht besser, man ließe Griechenland pleite gehen?

Was würde es denn bedeuten, wenn Griechenland pleite geht? Ein Teil der Währungsunion wäre funktionsunfähig und das Bankensystem bekäme massive Schwierigkeiten. Man muss da realistisch sein. Natürlich wollte keiner, dass die europäische Währungsunion einmal zu einer Rettungsunion wird. Aber die Währungsunion ist auch eine Schicksalsgemeinschaft. Man kann aus ihr nicht austreten, weil dies nicht organisierbar ist. So müssen die anderen helfen. Wichtig ist die Frage, wie Unterstützung geleistet wird. Immerhin liegt der Zins für das Griechenland-Hilfspaket bei fünf Prozent. Das ist zwei Prozent höher als der Zins, den die Bundesrepublik bezahlt, wenn sie sich am Finanzmarkt refinanziert. Die Griechen gewinnen mit den Krediten bis Ende des Jahres Zeit. Diese Monate müssen sie nutzen, um ihren Sanierungskurs glaubwürdig zu beginnen.

Jeden Tag kommen neue Zahlen zum Finanzbedarf Griechenlands auf den Tisch. Ein Fass ohne Boden?

Die Erfahrungen aus anderen Schuldenkrisen zeigen, dass man den Blick auch wieder nach vorne richten kann, wenn der Schnitt einmal gemacht ist. Natürlich ist das ein mühsamer Prozess. Erschwerend kommt hinzu, dass Griechenland zwei Mal über seine Verhältnisse gelebt hat. Es gibt nicht nur ein hohes Staatsdefizit, sondern auch ein hohen Leistungsbilanzdefizit, das elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht. Es wird wegen der geringen Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft zu wenig exportiert. Auch daran muss gearbeitet werden.

Die Gläubiger haben lange vom griechischen Finanzhunger profitiert. Müssen sie jetzt auch mit ins Boot?

Ja, sie müssten. Die Gläubiger haben nicht genau hingeschaut und munter griechische Staatsanleihen gekauft. Die Kurse für die Wertpapiere stiegen, obwohl die Schuldenlast des südosteuropäischen Landes immer weiter zunahm. Die Kurse und damit die Renditen haben die tatsächliche Lage gar nicht richtig widergespiegelt. Es wird nach meiner Ansicht einen Haircut geben – also einen Forderungsverzicht der Gläubiger zwischen 10 und 30 Prozent.

Ist die Währungsunion und damit der Euro ein Irrweg?

Man muss aufpassen, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten. Der Euro ist in vielen Ländern eine Erfolgsgeschichte. Die gemeinsame Währung und die Maastricht-Kriterien haben an vielen Orten zu einer stärkeren Haushaltsdisziplin geführt. Der Euro hat auch vor den Turbulenzen der Finanzkrise geschützt. Stellen Sie sich vor, in welche Schwierigkeiten mancher Staat gekommen wäre, hätte es den Euro nicht gegeben. Fehlentwicklungen traten vor allem bei Ländern der Südschiene auf, die den Zinsvorteil durch die Währungsunion nicht für Investitionen, sondern für den privaten Verbrauch nutzten. Da hat man nicht gut genug hingeschaut. Verantwortlich dafür waren auch Lücken in den europäischen Institutionen. Die Währungsunion möchte ich nicht grundsätzlich zur Disposition stellen.

Der Ökonom Heiner Flassbeck sieht Abwertungen als wichtigen Teil des Erfolgsrezepts, mit dem die südostasiatischen Staaten nach der Asienkrise 1998 wieder auf die Beine kamen. Dieser Weg ist den Griechen wegen der Währungsunion versperrt, der Exportvorteil durch eine Abwertung weg.

Abwertungen gelten ja oft als Helden-Notausgänge, wenn man Anpassungen nicht selbst organisieren will. Sie ändern aber nicht wirklich etwas an der Produktivität und der Kapitalausstattung einer Volkswirtschaft, geschweige denn an ihrer Stellung in der internationalen Arbeitsteilung. Nehmen Sie die Situation Italiens vor der Währungsunion: Abwertungen haben dem Land nie wirklich genützt. Was Südostasien angeht, bin ich der Meinung, dass die vom Internationalen Währungsfonds (IWF) veranlassten Anpassungen die entscheidende Rolle spielten. IWF-Kredite gibt es ja nicht umsonst. Der Fonds hat beispielsweise darauf gedrungen, die Staatsausgaben zu reduzieren. Deshalb ist der IWF jetzt auch zurecht bei Griechenland mit im Boot.

Hätte eine schärfere Regulierung der Finanzmärkte die Griechenlandkrise verhindern können?

Das Ganze hätten wir nur vermeiden können, wenn wir Griechenland nicht in die Währungsunion aufgenommen hätten. Die Fehler waren der Beitritt und die Sorglosigkeit beim Umgang mit den griechischen Daten.

Manche sagen: Spekulanten haben Griechenland in den Abgrund getrieben.

Spekulanten identifizieren nur Fehlentwicklungen. Klar, es gibt Übertreibungen. Aber man darf die Bedeutung der Märkte weder in die eine noch in die andere Richtung überhöhen. Die Kurse sagen nicht immer die Wahrheit, aber es sind nicht die Akteure an den Finanzmärkten, welche die eigentlichen Schwierigkeiten verursachen.

Es gibt Forderungen nach einem Verbot der Credit Default Swaps (CDS/Kreditausfallversicherungen), die nach Ansicht mancher maßgeblich zur Verschärfung der Krise beigetragen haben.

Ich halte nichts von Verboten. Verbietet man die CDS hier, wird das Geschäft woanders gemacht. Untersagen Sie die Prostitution im Frankfurter Bahnhofsviertel, gehen die Prostituierten an einen anderen Ort.

Viele Unternehmen melden einen stark steigenden Auftragseingang. Befinden wir uns am Anfang eines rasanten Aufschwungs?

Der Aufschwung hat in der Tat deutlich an Fahrt gewonnen. Ich sehe eine sich selbst verstärkende Erholungsphase.

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