Eine gute staatliche Grundfinanzierung sichert wirklich unabhängige Forschung, findet der Mannheimer Germanist Jochen Hörisch. Unsinn, widerspricht Hochschulexpertin Christiane Konegen-Grenier. Privates Engagement bereichere die Wissenschaft – und macht sie erst stark. Ein Streitgespräch in der deutschen Universitätszeitung duz.
Welchen Preis hat die Wahrheit?
Geldgeber aus der Wirtschaft sind an deutschen Hochschulen schwerlich wegzudenken. Kann man da noch von der Freiheit der Wissenschaft sprechen?
Konegen-Grenier: Wir müssen die Fakten genau betrachten. Wir haben im Jahr insgesamt knapp 1,7 Milliarden Euro privater Drittmittel. Das sind gerade einmal knapp sechs Prozent des Gesamtetats der Hochschulen. Wir reden also über einen relativ kleinen Anteil. Im Übrigen ist der Anteil der Drittmittel aus der Wirtschaft an allen Drittmitteln in den letzten Jahren zurückgegangen. Das mag schon ein Hinweis auf eine Vertrauenskrise sein.
Hörisch: Es kommt nicht nur auf die Größenordnungen an, sondern auch auf die Motivation dahinter. Nehmen wir als Beispiel die 100 Millionen Franken, die die USB-Bank an der Universität Zürich einsetzen wollte. Das war ja kein Geld, das die Bank gab und sagte: Macht was draus. Sondern man vereinbarte Lehrstühle für Accounting oder Controlling. Und in gewisser Weise gibt man auch vor, was die herauskriegen sollen. Da ist eine Grenze sehr deutlich überschritten. Man kann sich zum Beispiel auch Gutachten anerkannter Wissenschaftler kaufen. Etwa wahlweise, dass Elektrosmog gesundheitlich unbedenklich ist oder nicht. Würden Sie da widersprechen?
Konegen-Grenier: Die ganze Diskussion krankt daran, dass wir die unterschiedlichen Kooperationsformen vermengen. Das ist ein Punkt, der bei der Uni Zürich hätte bedacht werden müssen. Stiftungsprofessuren würde ich zum unproblematischen Mäzenatentum zählen. Da gibt es vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft einen Code of Conduct, der Transparenz vorschreibt und Einflussnahme ausschließt. Auftragsforschung ist etwas ganz anderes und bedarf anderer Vereinbarungen. Dazu hat beispielsweise das Bundeswirtschaftsministerium Musterverträge vorgelegt.
Hörisch: Ich will ein anderes Beispiel nennen: Es ist bekannt, dass der Banker Dirk Northeis einen E-Mail-Wechsel mit dem damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Stefan Mappus hatte. Es geht um einen angestrebten Rückkauf von En-BW-Aktien. Ich zitiere daraus wörtlich: „Du solltest idealerweise einen Volkswirt haben, der das Ganze gut findet.“ Und dann fällt der Name eines Mannheimer Kollegen. Offen bar geht dieser Banker davon aus, dass ein Wunschgutachten kein großes Problem ist. Ich fantasiere also nicht paranoisch eine Gefahr herbei. Auch wenn es in diesem Fall das Gutachten am Ende nicht gegeben hat.
Konegen-Grenier: Wir haben mehr als 40 000 Professorinnen und Professoren in Deutschland. Ich finde es ganz gefährlich, wenn man aus Einzelfällen auf eine allgemeine Tendenz schließt. Gegenseitiges Vertrauen ist essenziell für die Zusammenarbeit von Unternehmen und Hochschulen und dieses Vertrauen wird durch die Verallgemeinerung von Einzelbeispielen beschädigt. Die Kooperationen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft sind sehr wichtig, wenn es um Innovationen geht. Und Innovationen sind essenziel für Wirtschaftswachstum und Wohlstand. Wenn Sie im Übrigen jetzt Einzelp0ersonen ansprechen: Gibt es nicht ein Ethos, das vom einzelnen Wissenschaftler verkörpert werden muss?
Hörisch: Das Problem ist, dass sich strukturell sehr viel verändert hat. Erfolgreiche Unternehmen haben sich zumindest in ihrer Grundphase oft an Universitäten orientiert mit wenig Präsenzpflichten und keinen großen Hierarchien. Heute ist es umgekehrt. Selbst die Geisteswissenschaften werden immer stärker von einer ökonomischen Logik durchsetzt. Das wichtigste Kriterium für eine Berufungskommission ist heute: Wie viele Drittmittel hat der Kandidat denn eingeworben? Ich halte Drittmittel für ein interessantes Mittel. Aber es hat sich in einer Weise verselbstständigt, die gespenstisch ist. Es ist wunderbar, wenn Mäzene sich an Universitäten engagieren. Wenn jemand, wie in Mannheim, zur Renovierung des Uni-Gebäudes beiträgt, kann man gerne auch einen Hörsaal nach ihm benennen. Nur passiert es sehr schnell, dass Geldgeber mit partikularen Interessen sagen, was bei der Forschung herauskommen soll.
Konegen-Grenier: Es ist bei der Auftragsforschung nicht so, dass vorformulierte Ziele nur abgehakt und wissenschaftlich zertifiziert werden. Da verkennen Sie die zentrale Bedeutung, die die Generierung neuen Wissens für die Industrie hat. Unternehmen machen Forschung mit Hochschulen, weil sie Lösungswege für neuartige Probleme finden wollen. Dazu braucht man Leute, die offen forschen.
Es herrscht wenig Transparenz bei der Drittmittelfinanzierung. Auch für dieses Gespräch haben wir große Drittmittelgeber angefragt, etwa BASF, die Deutsche Bank oder eben USB. Keiner wollte mitmachen. Die Hochschulen sind ebenfalls zurückhaltend. Warum tun sich beide Seiten so schwer?
Konegen-Grenier: Weil es ein Thema ist, bei dem Vorurteile herrschen. Da tut man sich immer schwer, sich damit öffentlich auseinanderzusetzen. Aber es ist wichtig und viele Hochschulen tun dies auch, beispielsweise indem sie eigene Codes of Conduct auf ihren Homepages veröffentlichen.
Reichen da freiwillige Verhaltenskodizes; Braucht es nicht vielleicht ein Transparenzgesetz?
Konegen-Grenier: Die Arten der Kooperation und die Themen sind so vielfältig, dass man keine generelle Regelung des Gesetzgebers erwarten kann.
Hörisch: Ich glaube auch nicht, dass Gesetze der richtige Weg sind. Aber es braucht in jedem Fall größere Transparenz. Jeder Gutachter sollte seine Gutachten zumindest universitätsintern zugänglich machen. Und wenn die Vereinbarungen zwischen Drittmittelgebern und Universität koscher sind, dann können die ohne Probleme auf die Uni-Webseite.
Konegen-Grenier: Es gibt Betriebsgeheimnisse, die bei der Auftragsforschung zum Tragen kommen. Deshalb muss es Geheimhaltungsklauseln geben. Es gibt auch das berechtigte Interesse, dass nicht schon das Thema in allen Nuancen für die Konkurrenz lesbar ist.
Hörisch: Da haben wir eine Differenz. Mir leuchtet ein, dass man nicht den Quellcode einer Software in einem Vertrag schreiben kann oder eine chemische Formel. Vor Industriespionage müssen sich Unternehmen schützen können. Aber da kann man ein paar Stellen schwärzen.
Konegen-Grenier: Es existiert da einfach ein Spannungsverhältnis: Das Geheimhaltungsinteresse der Unternehmen und das Publikationsinteresse der Hochschulen müssen austariert werden. Es fehlt uns eine Plattform, auf der darüber diskutiert wird und Erfahrungen ausgetauscht werden. Gerade auch positive Beispiele.
Hörisch: Das Problem ist doch, dass das Selbstbewusstsein der Uni sich in erster Linie daran misst, wie sie Zusatzquellen erschließen kann. Ich will, dass die Uni nicht angewiesen ist auf Drittmittel, weder aus dem privaten noch dem öffentlichen Bereich.
Konegen-Grenier: Vielfältige Einnahmequellen sichern die Autonomie – das sagen Hochschulforscher wie beispielweise der Soziologe Rudolf Stichweh. Man muss grundsätzlich hinterfragen, ob Unabhängigkeit dadurch entsteht, dass möglichst viele staatliche Gelder den Hochschulen ohne Bedingungen übergeben werden. Unter diesen Voraussetzungen würden Sie annahmen, dass Fehlverhalten, wie es sich an gekauften Gutachten zeigt, aus der Welt geschafft ist? Das bezweifle ich.
Hörisch: Es wird jedenfalls nicht mehr prämiert. Das es böse Menschen auch unter anderen Rahmenbedingungen gibt, würde ich nicht in Frage stellen.
Konegen-Grenier: Staatliche Gelder sind zudem keine verlässliche Quelle. Wenn gespart werden muss, kann keine Hochschule davon ausgehen, dass sie da verschont bleibt.
Hörisch: Da stimme ich zu. Die bestfunktionierenden Universitäten sind natürlich die, die ein großes Stiftungsvermögen haben. Harvard etwa kann von den Zinsen seines Milliardenkapitals seinen Betrieb alimentieren und ist zugleich gegenüber unsittlichen Angeboten immunisiert.
Konegen-Grenier: Aber Harvard, Stanford und Princeton leben auch von der Auftragsforschung.
Hörisch: Die leben nicht von der Auftragsforschung. Die machen das zum Teil, aber müssten es nicht. Leider können wir das Prinzip nicht auf Deutschland übertragen.
Was wäre in Ihren Augen eine Möglichkeit für Deutschland?
Hörisch: Ich bekenne mich letztlich zu dem alten Humboldt-Ideal, das hat sich sehr gut bewährt. Es braucht eine staatliche Grundfinanzierung, die die Unabhängigkeit gewährt.
Konegen-Grenier: Es geht bei Drittmittelforschung nicht nur um Geldflüsse, es geht um den Wissenstransfer in beide Richtungen. Und der ist essenziell und im Übrigen in allen Landeshochschulgesetzen als Aufgabe festgeschrieben. Gerade die technischen Wissenschaften profitieren von Impulsen, die aus der Praxis kommen. Die Kooperationen sind auch förderlich für die Studierenden, wenn es etwa um den Eintritt in den Arbeitsmarkt geht. Wir wollen keine abgeschotteten Hochschulen.
Hörisch: Es wird Sie überraschen, dass auch ich die Gefahr eines Elfenbeinturms sehe. Ich bin keiner, der die Universität vor der Bologna-Reform verklärt. Die war reformbedürftig. Aber wie weit darf es gehen? Ein Beispiel: Die Uni Mannheim hat nach dem Bild des Aufsichtsrates für Unternehmen einen Universitätsrat gegründet. Einer der ersten Vorsitzenden war Clemens Börsig, einer der führenden Köpfe der Deutschen Bank. Er rechnete vor, wie viel er in der Stunde verdiene und dass es mehr sei als die anderen Sitzungsteilnehmer zusammen verdienen. Seine zeit war also kostbarer. Die Sitzungsteilnehmer sind dann von Mannheim nach Frankfurt gefahren. Überlegen Sie mal, wie über Unipolitik gesprochen wird, wenn man das im Glaspalast der Deutschen Bank macht. Kein durchgeknallter Alt-68er hätte für möglich gehalten, dass auf diese Weise der Spruch wahr werden kann: Das Kapital lenkt die Universität.
Konegen-Grenier: Warum protestiert dann nicht die versammelte Professorenschaft, wenn sie nicht in Frankfurt tagen will, und besteht darauf, dass die Sitzung in der Universität abgehalten wird? Das ist doch keine Frage, die bestimmt, wie viele Drittmittel künftig fließen.
Es gibt da offenbar große gefühlte oder vorauseilende Abhängigkeiten. Auch bei den Stiftungsprofessuren ist ein subtiler Einfluss denkbar, auch wenn formal alles unabhängig ist. Sehen Sie das anders?
Konegen-Grenier: Das Individuum ist gefordert, sich auf die akademischen Kernwerte zu besinnen und die Unabhängigkeit auch einzufordern. Nach der Definition des amerikanischen Hochschulforschers Burton Clark gehören gestärkte akademische Kernkompetenzen zu den zentralen Merkmalen einer unternehmerischen Universität. Und müssen wir uns nicht ebenso fragen, ob es nicht auch staatlichen Einfluss gibt? Gibt es nicht in den Wissenschaftsministerien kläre Überlegungen, welche Forschungsrichtung vorangetrieben wird und welche nicht?
Hörisch: Deshalb immer wieder das alte Humboldt-Wort von der Freiheit und von der Einsamkeit des Forschers. Auch Einsamkeit, weil die den subtilen Einfluss ausschließen soll. Bezogen auf den Fall USB: Ist es vorstellbar, dass dort eine Professur für Finance herausfindet, wie Deutsche Bank und USB den Libor-Zinssatz manipuliert haben? Ich glaube nicht.
Konegen-Grenier: Da müssten sie natürlich eher UBS fragen und nicht mich. Für mich persönlich ist es aber nicht vorstellbar, dass man eine Stiftungsprofessur einrichtet und dann bestimmte Fragen von vorneherein ausschließt.
Hörisch: Die Universitäten müssen einfach das Grunddilemma erkennen: Die Leitkodierung der Wirtschaft ist Gewinn und Verlust, die Leitkodierung der akademischen Sphäre ist wahr oder falsch. Beides in Übereinstimmung zu bringen, das dürfte gar nicht gelingen.
Konegen-Grenier: Klar, es gibt unterschiedliche Leitkodierungen. Gerade diese Unterschiede aber, das sagt auch der Wissenschaftsrat, sind befruchtend, und zwar für beide Seiten.
Christiane Konegen-Grenier: Jahrgang 1956, ist Senior Researcher am arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft Köln. Sie betreut dort den Bereich „akademische Bildung“ und hat zu Kooperationsformen von Hochschulen und Wirtschaft publiziert. Das IW hatte zuletzt das geplante Hochschulzukunftsgesetz von NRW-Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD) wegen weitreichender Transparenzregeln scharf kritisiert. Die Regeln sind abgemildert worden.
Jochen Hörisch: Jahrgang 1951, ist Professor für neuere Germanistik an der Universität Mannheim. Im vergangenen Jahr war er einer der Erstunterzeichner des „Zürcher Appells für die Wahrung der wissenschaftlichen Unabhängigkeit“, in dem sich namhafte Forscher gegen einen umstrittenen Kooperationsvertrag der Universität Zürich mit der UBS-Bank wenden. Hörisch forscht zu Geld- und Wirtschaftsmotiven in der Literatur.
Das Streitgespräch erschien am 23. Mai 2014 in der Deutschen Universitätszeitung (duz), 2014, Nr. 6, 70. Jahrgang, Seite 31 – 33.“ Das Gespräch moderierte Sebastian Erb. Er ist Absolvent der Deutschen Journalistenschule in München und arbeitet als Journalist in Berlin.
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iwd