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Michael Hüther Gastbeitrag 8. Juni 2006

Zu Nebenwirkungen fragen Sie den Ökonomen

Die Politiker der großen Koalition ignorieren bei ihren Reformen hartnäckig wirtschaftswissenschaftliches Grundwissen.

Auf dem Philosophenkongress 1948 trat, wie uns der Philosoph Hans Blumenberg überliefert hat, ein Referent mit einem Bauchladen voller Brillen mit Umkehreffekt auf. Er wollte demonstrieren, dass man optisch zwar die Welt auf den Kopf stellen könne, allerdings nur für kurze Frist. Man entkommt der Realität letztlich nicht. Auch die Politik neigt dazu, Brillen mit Umkehreffekt zu tragen. Doch die Erfahrung, dass dies nur kurzfristig hilft, kommt immer schneller und erbarmungsloser. Dabei ist der Wunsch nach einfachen Rezepten und direkter Wirkung nur allzu verständlich, weil allzu menschlich.

Doch sosehr wir uns dies ja wünschen mögen: Tricks und Wundermittel helfen in der Wirtschaftspolitik ebenso wenig wie die bloße Vorstellung des Wünschbaren. Vielleicht war es ja der systematische Fehler der vergangenen Jahre, zumindest in der politischen und öffentlichen Kommunikation, zu häufig den Eindruck erweckt zu haben, dass nun die ultimative Lösung unserer Probleme gefunden sei. Die Begriffe "Jahrhundertreform" und "Mutter aller Reformen" sind Chiffren für diesen Anspruch.

Hinter dieser Überforderung verbergen sich Unklarheiten: die Unklarheit darüber, welche Ziele in welcher Gewichtung mit dem anvisierten Instrument erreicht werden sollen. Die Unklarheit darüber, welche systematischen Voraussetzungen ein Konzept haben muss, um erfolgreich zu sein. Die Unklarheit darüber, welche Nebenwirkungen und Verflechtungen bei einer bestimmten Maßnahme zu beachten sind. Fragen dieser Art sind hier nicht an den Arzt oder Apotheker, sondern an den Ökonomen zu richten. Erst deren Beantwortung macht eine Lösung überzeugend und kommunizierbar.

Den Verlockungen einfacher Wahrheiten und ihren Versprechen schneller Lösungen, das sollten wir konzedieren, entkommt man nicht leicht. Erst recht nicht, wenn man als Politiker im öffentlich-medialen Diskurs steht. Die Beispiele für solche Verlockungen sind Legion.

Eine alte, gegenwärtig aber besonders beliebte Erkenntnis lautet: Es ist besser, Arbeit zu bezahlen als Nichtstun. Wohl wahr, doch folgt daraus unmittelbar und zwingend das Kombilohnmodell der CDU/CSU mit Lohnkostenzuschüssen für Jugendliche und ältere Arbeitnehmer? Sicher nicht, wenn man nur an die Mitnahmeeffekte bei Arbeitgebern, die Leistungsillusion bei den Arbeitnehmern und die Diskriminierung der mittleren Altersjahrgänge denkt.

Ebenso unverwüstlich in ihren Wirkungen ist die für viele eingängige These, dass derjenige das Arbeitslosengeld I länger beziehen dürfe, der länger gearbeitet und mithin länger eingezahlt habe. Hier ist schon die einfache Wahrheit falsch, weil in einer Risikoversicherung eine Kapitalkomponente zur Definition individueller Ansprüche nicht besteht. Niemand käme auf die Idee, bei der Gebäudeversicherung nach zwanzig schadensfreien Jahren einmal das Abbrennen des eigenen Hauses als berechtigte Prämierung anzusehen. Dennoch tun wir uns schwer, die vor zwanzig Jahren in der Arbeitslosenversicherung gemachten Fehler zu korrigieren und die Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld einheitlich auf zwölf Monate festzusetzen.

In dieser Woche hat uns die große Koalition mit Vorschlägen zur Reform der Erbschaftsteuer erfreut. Bereits seit dem Job-Gipfel vom 17. März 2005 steht dieses Projekt ernsthaft auf der Agenda. Auch hier liegen einfache Wahrheiten zu Grunde. Die Nachfolge in Familienunternehmen wird – so der. allgemein akzeptierte Befund – durch die Erbschaftsteuer erschwert, mitunter behindert. Daraus entstand die Idee, dass man die Steuerschuld bei Fortführung des Unternehmens jährlich um zehn Prozent mindert und sie damit nach zehn Jahren vollständig entfällt.

Die ursprünglich vorgesehene Begrenzung dieser Förderung auf Unternehmen mit einem Vermögen von bis zu 100 Millionen Euro ist zu Recht aufgegeben worden. Dafür ist nun eine Mindestbeteiligung von 25 Prozent als Anspruchsvoraussetzung vorgesehen, was dem ursprünglichen Ziel widerspricht, generell die Unternehmensnachfolge bei Familien zu fördern. Außerdem sollen Bargeld, Wertpapiere und an Dritte vermietete Grundstücke als "nichtproduktiv" von der Begünstigung ausgeschlossen werden.

Müssen wir uns immer noch mit den fragwürdigen Kategorien des guten und des schlechten Kapitals auseinander setzen? Man würde den Politikern wirklich mehr Praxiserfahrung wünschen. Wie hat es doch Finanzminister Steinbrück vor wenigen Monaten – bezogen auf Berater – so kess formuliert: Ab in die Produktion!

Putzig ist zudem die "atmende Arbeitsplatzklausel". Offenkundig sollen nun mit einem Instrument zwei Ziele erreicht werden, die Beschäftigungssicherung tritt neben den Betriebsübergang. Man kann älteren Unternehmern nur raten, in den letzten Jahren vor dem planmäßigen Ausscheiden schon mal die Belegschaft zu verringern, um die Erbnehmer zu begünstigen. Andernfalls werden wir unter dem Regime dieser Klausel künftig – je nach Lage des Unternehmens – entweder den Strukturwandel künstlich zu Lasten der Beschäftigung beeinflussen oder in der Rezession prozyklisch den Arbeitsplatzabbau verstärken, ohne dass es in wirtschaftlich guten Zeiten zu einem entsprechenden Aufbau von Beschäftigung kommt.

Solcher Unsinn entsteht, wenn man die Zusammenhänge übersieht, die aus der in Marktwirtschaften gewünschten Anpassungsflexibilität der Unternehmen resultieren, und die Einsicht von Jan Tinbergen ignoriert, dass man mit einem Instrument störungsfrei nur ein Ziel erreichen kann. Eigentlich wird dies im ökonomischen Grundstudium auch Juristen vermittelt. Also: Besser gleich die Ökonomen fragen!

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