Die Bundesregierung läuft Gefahr, alle konjunkturpolitischen Trümpfe, die sie hatte, zu verspielen.
Wie Tuffi in der Schwebebahn
Heute auf den Tag vor 56 Jahren ereignete sich der wohl amüsanteste Unfall im öffentlichen Personennahverkehr unseres Landes. Eine junge Elefantendame namens Tuffi verließ bei voller Fahrt einen Wagen der Wuppertaler Schwebebahn, den sie zuvor zu Werbezwecken für einen Zirkus ordnungsgemäß nach Erwerb eines Fahrscheins bestiegen hatte. Eine Panikattacke trieb sie zu dieser Verzweiflungstat, die abgesehen von einer Schramme am eigenen Hinterteil nur Sachschaden verursachte.
Ähnlich schwebend, nahezu schwerelos erscheint derzeit die deutsche Konjunktur auf ihrer Erholungsfahrt. Alle staunen über die Beharrlichkeit der Stimmungsverbesserung in einem Umfeld, das angesichts historischer Höchststände beim Ölpreis, zunehmender Inflationssorgen und retardierender Finanzmärkte durch gravierende Risiken geprägt ist. Dabei sind die politischen Störungen nur vage mitgedacht. Wie werden die höheren Steuerlasten zu Beginn des kommenden Jahres durchschlagen, welche Entlastung bleibt bei den Sozialbeiträgen letztlich übrig? Führt dies alles zu einem panikartigen Ausbruch aus der konjunkturellen Schwebebahn?
Die beachtliche Unsicherheit über die weitere gesamtwirtschaftliche Entwicklung lässt das Ziel der Erholungsfahrt im Nebel des Ungefähren verschwinden. Bleibt es erneut bei einer kurzfristigen, schwachen Belebung der Konjunktur oder können die endogenen Auftriebskräfte soweit stabilisiert werden, dass sich ein anhaltendes Wachstum auf einem Pfad ergibt, der deutlich höher ist als die mäßigen ein Prozent der vergangenen Jahre? Derzeit ist dies allenfalls ein Hoffnungswert, freilich ist dieser größer als seit Anfang des Jahrzehnts. Tatsächlich hat die Investitionsbelebung über den Export hinausgehend weite Bereiche der deutschen Volkswirtschaft erfasst.
Doch noch ist dies nur eine Reaktion auf den in den vergangenen Jahren aufgestauten Modernisierungsbedarf. Und noch ist unklar, inwieweit es im kommenden Jahr über die steuerlich induzierten Anreize hinaus gelingen wird, die Investitionsneigung zu stärken.
Bislang erschienen die weltwirtschaftlichen Risiken in ihrer belastenden Wirkung für die Investitionen als beherrschbar. Die Abkühlung der Weltwirtschaft sollte angesichts der strukturellen Vorteile deutscher Unternehmen auf den internationalen Märkten nicht von durchschlagender Bedeutung sein. Sorge bereitet aber vor allem die Explosion des Ölpreises.
Der bisherige Anstieg dieses Rohstoffpreises konnte vergleichsweise gut aufgefangen werden. Er war durch die weltwirtschaftliche Dynamik mit ihrem starken Bedarf an Energie getrieben. Diese Dynamik, gespeist vor allem aus Schwellenländern wie China, kompensierte zugleich den Effekt höherer Energiekosten in Deutschland, weil sie die Exportchancen weiter verbesserte. Das kann sich nun ändern: Die treibende Kraft hinter dem Anstieg des Ölpreises ist jetzt die pure Angst vor einer Eskalation im Nahen Osten. Diese begründet eine entsprechende Risikoprämie, und Tempo sowie Ausmaß des Preisanstiegs bedeuten Lasten für die Volkswirtschaften der Erdöl importierenden Länder, die schnell zu einer kräftigen Bremse für die Konjunktur werden können.
Was folgt daraus für die Wirtschaftspolitik? Die Taktung der die Konjunktur stützenden Maßnahmen der großen Koalition stellt sich als falsch heraus. Zwar können die wieder großzügigeren Abschreibungsbedingungen das Investitionsverhalten fördern. Allerdings erweist sich dies mit Blick auf die nun beschlossenen Eckwerte der Unternehmensteuerreform anders als erwartet nicht als Vorbote dauerhaft verbesserter Investitionsbedingungen, sondern als zeitlich begrenztes Zugeständnis. Die ab 2008 geplante Einbeziehung ertragsunabhängiger Bestandteile, insbesondere der Fremdkapitalzinsen, in die Steuerbasis belastet ertragsschwächere Unternehmen und bedroht dort Investitionen und Arbeitsplätze.
Statt in diesem Jahr alle Mühen auf ein Konjunkturpaket mit lediglich vorübergehenden investitionsstimulierenden Elementen zu konzentrieren, wäre es sinnvoller gewesen, durch überzeugende Reformpläne für Gesundheit und Unternehmensteuern die Erwartungen der Investoren zu stabilisieren. Die weltwirtschaftlichen Risiken zeigen, wie schnell sich die Großwetterlage drehen kann und wie dringend deshalb langfristig ausgerichtete Politikkonzeptionen sind. Nur auf diesem Weg kann wachstumspolitische Vorsorge getroffen werden. Die Bundesregierung läuft Gefahr, alle Trümpfe, die sie hatte, zu verspielen.
Vor allem in der steuerpolitischen Debatte scheint jedes Augenmaß verloren zu gehen. Was ist von den Festlegungen der Bundeskanzlerin zu halten, weitere Erhöhungen der Steuern werde es nicht geben, wenn ihr Finanzminister gleichzeitig eben solche auf mittlere Sicht für unausweichlich hält? Wie kann man in einer Zeit steigender weltwirtschaftlicher Verunsicherung die Zweifel über den wirtschaftspolitischen Kurs derart vergrößern?
Welchen Mangel an Zutrauen in seine eigene Konsolidierungsstrategie signalisiert der Bundesfinanzminister, wenn diese mittelfristig sukzessiv steigende Zuweisungen für die Krankenversicherung der Kinder nicht verkraften kann?
Indem wir Steuererhöhungen für einen Staat organisieren, der die Subventionen und die Sozialleistungen nicht auf den Prüfstand zu stellen vermag, und zugleich höhere Sozialbeiträge für ein Gesundheitssystem ohne ausreichenden Wettbewerb dekretieren, werden die Chancen auf einen steileren Wachstumspfad für die deutsche Volkswirtschaft vertan. Wie die Elefantendame Tuffi wird sie erschreckt aus ihrer Bahn ausbrechen. Und bei Schrammen an ihrem Hinterteil wird es dabei nicht bleiben.
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