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Michael Hüther Gastbeitrag 18. Oktober 2007

Wie man Beschäftigung vernichtet

Die Bundesregierung muss aufpassen, dass sie nicht endgültig ihre wirtschaftspolitische Reputation verspielt.

Ökonomisches Denken und politische Logik sind selten harmonisch zu verbinden. Individuelle Entscheidungsfreiheit und Haftung, Wettbewerb und Leistungsgerechtigkeit sind der Funktionsweise des demokratischen Gruppenstaates durchaus fremd. Der Meinungsstreit der Parteien wird von der Vorstellung getragen, durch gezielte Handlung schnell und unmittelbar Wirkung zu erzeugen. Der Anspruch der Marktwirtschaft an die Politik, sich vor allem auf die Definition von Regeln zu konzentrieren und im Übrigen auf die Effizienz dieses ansonsten dezentral gesteuerten Systems zu setzen, ist dagegen bescheiden.

Gegenwärtig erleben wir sehr eindrucksvoll, wie das nach links verschobene politische Spektrum Verhaltensmuster hervorbringt, die wir in dieser Form zuletzt zu Beginn der 70er-Jahre erlebten. Damals spielte Geld keine Rolle, wenn man nur ein überzeugendes Reformprojekt formulieren konnte, das Umverteilung von oben nach unten versprach. Mehr Sozialleistungen wurden zum Synonym für mehr Gerechtigkeit. Der Ausbau der Staatstätigkeit war das erklärte Ziel. Selbst seriöse Ökonomen dachten damals angestrengt darüber nach, wie die Staatsquote dauerhaft erhöht werden könnte.

Was vor über 30 Jahren Ausdruck einer breit verankerten Hoffnung hinsichtlich der Möglichkeiten des Staates war, das wiederholt sich in diesen Wochen so, als hätte es die Erfahrungen der Zwischenzeit nicht gegeben: die Überforderung des Sozialstaates, die Zerrüttung der Staatsfinanzen, die Bildungsmisere.

Angelockt durch die üppige Entwicklung der Einnahmen der öffentlichen Haushalte, haben die Umverteilungspolitiker wieder Oberwasser. Nach eigener Diktion wird bei guter Kassenlage möglich, was offenkundig unwichtig ist. Denn bei knappen Kassen und wirklicher Prioritätensetzung würde man es nicht fordern.

Jeder kundige Beobachter weiß, dass die Forderungen nach einer längeren Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitnehmer der verzweifelte Versuch orientierungsloser Parteipolitik ist, auf schlichte Weise Zuspruch zu gewinnen. Man kann dies verstehen, akzeptieren aber in keinem Fall. Denn das Wohlergehen einzelner Parteien ist nicht höher zu gewichten als die Wohlfahrt des Landes.

Der heilige Zorn erfasst einen, wenn man sieht, wie leichtfertig Beschäftigung aufs Spiel gesetzt wird. Jeder besseren Tageszeitung war zuletzt die eindeutige Erfolgsgeschichte des Arbeitsmarktes für ältere Arbeitnehmer zu entnehmen.

Was den Zorn steigert, ist die fast ergebnislose Suche nach Vertretern in den Regierungsparteien, die sich dagegen aufstellen. Doch selbst von den Kundigen wird schon jetzt vorsichtig daraufhingewiesen, dass man an einem Kompromiss nicht vorbeikomme. Wo sind die Kämpfer für eine gute, auf Beschäftigung und Wachstum setzende, Wirtschaftspolitik? Wo sind die Herolde des Koalitionsvertrages, die sonst immer peinlich auf dessen Einhaltung pochen? Wo ist der ökonomische Sachverstand, der dem Unsinn Einhalt gebietet?

Es ist grundfalsch, die Arbeitslosenversicherung in irgendeiner Weise als Ansparmodell zu deuten, das bei längerer Einzahlung eine größere Auszahlung verspricht. Es handelt sich um eine allgemeine Risikoversicherung. Niemand käme auf die Idee, bei einer Brandschutzversicherung nach 20 Jahren treuer Prämienzahlung das einmalige Abfackeln des eigenen Hauses schadensfrei zu stellen. Hinzu kommt, dass wir recht sichere Erkenntnisse darüber haben, wie die Länge des Leistungsbezuges auf die Dauer der Arbeitslosigkeit wirkt: nämlich verlängernd. Auch insofern ist die in den letzten Jahren gestiegene Beschäftigung Älterer plausibel.

Wer die mühsam errungenen Reformen der Arbeitslosenversicherung zurücknehmen oder, wie es aus berufenem Munde heißt, ausmerzen will, der gefährdet freilich nicht nur die Chancen älterer Menschen auf dem Arbeitsmarkt. Denn jeder Leistungsausbau erzwingt über höhere Sozialbeiträge eine Strafbesteuerung bestehender Arbeitsplätze und gefährdet diese.

Erstaunlicherweise fragt niemand in der politischen Arena nach diesen Gefahren. Auch findet sich niemand, der sich auf die Seite der Leistungsträger dieser Gesellschaft stellt. Die Selbstverständlichkeit, mit der dem Staat ein Zugriff auf Leistungseinkommen zugebilligt wird, ist atemberaubend.

Die Verkennung der Wirklichkeit ist fatal. Denn die Begründung, wie sie zuletzt selbst aus dem Kanzleramt zu hören war, atmet stark den Geist der Vergangenheit. Ältere Arbeitnehmer, so wird behauptet, fanden nicht so schnell wieder Arbeit wie jüngere. Dies ist, wie die jüngste Entwicklung zeigt, kaum noch der Fall. Offenkundig will die Politik aber die Realität an ihren Kenntnisstand anpassen, nicht umgekehrt. Da sind sogar die Entwürfe der neuen Grundsatzprogramme zukunftsfähiger.

Die SPD möchte immerhin die "Potenziale des aktiven Alters heben". Die CDU verspricht etwas deutlicher "bessere Beschäftigungschancen für Ältere", denn "viele Menschen können und wollen länger arbeiten". Die Bundesregierung muss aufpassen, dass sie nach dem Desaster mit dem Antidiskriminierungsrecht nun nicht endgültig ihre wirtschaftspolitische Reputation verspielt. Die Kanzlerin hat bereits ihre Kompromissbereitschaft signalisiert, wo Standfestigkeit gefragt wäre.

Die Vorgabe der Finanzierungsneutralität ist naiv, weil sie die negativen Folgen für den Arbeitsmarkt nicht verhindern kann und die Anreizwirkung längerer Bezugsdauer ignoriert. Zwar wird sich niemand der politisch Entscheidenden der Verantwortung für erneut steigende Arbeitslosigkeit Älterer entziehen können. Doch bezahlen müssen wir dafür alle.

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