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Michael Hüther Gastbeitrag 21. Juni 2007

Wer hat Angst vor den Neoliberalen?

Lange gab es nicht so viel Anlass wie heute, um über die Grundlagen unserer freiheitlichen Ordnung zu streiten.

Das Auftreten der Linkspartei auf der politischen Bühne der Bundesrepublik Deutschland hat vielfältige Reaktionen nach sich gezogen: Aufregung, Ärger und Abscheu sind die gängigsten Antworten auf die neue politische Kraft. Klare und konsistente Gegenentwürfe sind dagegen kaum zu vernehmen. Die Verunsicherung trägt weiter, als es oberflächlich zu spüren ist.

Dabei kann man der linken Traditionsfolklore auch etwas Gutes abgewinnen: Lange gab es nicht so viel Anlass wie heute, über die Grundlagen unserer freiheitlichen Ordnung zu streiten.

Eines durchzieht die Äußerungen vom linken Rand bis zur linken Mitte unseres politischen Spektrums in auffälliger Weise: die Abwertung des Neoliberalismus. Als würde es sich um das Unwort des Jahrhunderts handeln, wird damit jeder belegt, der für die marktwirtschaftliche Ordnung argumentiert und damit das Regime der verantworteten Freiheit gegen den umfassenden staatlichen Fürsorgeanspruch verteidigt. Die massive Attacke auf die Neoliberalen hat, das ist immerhin erfreulich, die deutschen Medien dazu veranlasst, Lehrstücke über die Herkunft dieser intellektuellen Strömung zu verbreiten.

Kaum eine anspruchsvolle Tages oder Wochenzeitung hat es versäumt, deren historische Wurzeln aufzudecken. Nun kann jeder, der es will, wissen, dass Walter Eucken, Alexander Rüstow, Wilhelm Röpke und andere es waren, die sich in den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts als Neoliberale bezeichneten. Auf der Suche nach Antworten, auf das Desaster der Weltwirtschaftskrise und bei der damit verbundenen Wahrnehmung eines fundamentalen Versagens der ungeregelten Marktwirtschaft war es zu einer konzeptionellen Neujustierung von Freiheit, individueller Verantwortung und kollektiver Regelungszuständigkeit gekommen.

Walter Eucken hatte immer wieder bis zu seinen letzten, an der London School of Economics im Jahre 1950 gehaltenen Vorträgen daraufhingewiesen, dass das Problem der wirtschaftlichen Macht unweigerlich die andere Seite der Freiheit sei. Die Marktwirtschaft werde ständig durch Vermachtung bedroht. "Weder die Politik des Laissez-faire, die die Vertragsfreiheit zur Zerstörung der Freiheit missbrauchen lässt, noch eine Monopolkontrolle, welche die Bildung von Machtkörpern erlaubt und nur Missbräuche bekämpfen will", können deshalb, so Eucken, das Problem der wirtschaftlichen Macht lösen. "Nicht gegen die Missbräuche vorhandener Machtkörper sollte sich die Wirtschaftspolitik wenden, sondern gegen die Entstehung der Machtkörper überhaupt."

Walter Eucken und seine Gefährten waren neben dem Erleben der großen Krise der Weltwirtschaft auch durch die Erfahrung geprägt, dass gerade in Deutschland Kartelle den freien Wettbewerb häufig stark behindert hatten. Seit den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts waren Kartelle, Syndikate und Quasimonopole zunehmend politisch akzeptiert worden, bis schließlich mit dem Zwangskartellgesetz aus dem Jahr 1933 daraus ein wirtschaftspolitisches Konzept geworden war. Es kann deshalb eigentlich nicht verwundern, dass vor dieser Kulisse die Frage nach der verantworteten Freiheit und ihrer Sicherung von besonderer Bedeutung war.

Aus Sicht der Neoliberalen bedurfte es einer starken Regulierung durch den Staat, wie es Alexander Rüstow auf der Dresdener Tagung des Vereins für Socialpolitik im Jahre 1932 ausführte: "... in Richtung der Marktgesetze, nicht zur Aufrechterhaltung des alten, sondern zur Herbeiführung des neuen Zustandes, nicht zur Verzögerung, sondern zur Beschleunigung des natürlichen Ablaufs". Nicht anders haben Alfred Müller-Ärmack und Ludwig Erhard, die Väter der Sozialen Marktwirtschaft, für die gesteuerte, den Wettbewerb sichernde Wirtschaftsordnung den Primat des Staates bejaht.

Je mehr man sich mit den Gedanken der Neoliberalen befasst, umso deutlicher wird, dass diese bis in unsere Tage nichts an Bedeutung und Überzeugungskraft verloren haben. Denn die Frage, wie die Marktwirtschaft vor Vermachtung bewahrt und dauerhaft als System der Gewaltenteilung etabliert werden kann, reflektiert gerade eine dominierende Sorge globalisierungskritischer Debatten. Kartellverbot und Fusionskontrolle sind und bleiben deshalb zentrale Elemente der Wettbewerbspolitik. Heute muss es darauf ankommen, die nationalen Ansätze möglichst im Rahmen der Welthandelsorganisation effizient zu koordinieren.

Doch die Neoliberalen blieben nicht bei der Wettbewerbsfrage stehen. Gerade Walter Eucken hat sich auch mit anderen denkbaren Verwerfungen der Wettbewerbsordnung auseinander gesetzt. So findet sich bei der Erörterung der von ihm so genannten "regulierenden Prinzipien" der Hinweis auf die notwendige Korrektur externer Effekte einzelwirtschaftlichen Handelns.

Auch mögliche Fehlentwicklungen auf dem Arbeitsmarkt werden diskutiert, die freilich am ehesten drohten, wenn dieser nicht wettbewerblich organisiert sei. Eine solidarische Grundsicherung, wie sie jede Gesellschaft kennt, stand nicht im Streit.

Wovor haben die interessierten Kreise also Angst, wenn sie den Neoliberalismus ansprechen, als wäre er eine Geißel der Menschheit? Ist es die Angst davor, dass dessen klare und konsistente Argumentation die Widersprüche der eigenen Programmatik schonungslos aufdeckt? Oder ist es einfach nur eine medial unterlegte Agitation, die mangels Widerstand einfach und schnell Resonanz findet?

Otto Graf Lambsdorff hat dieser Tage dazu aufgerufen, das nicht zuzulassen. Bekennen wir uns. Es ist, wie der Blick in die Geistesgeschichte zeigt, ethisch bestens begründet. Ich bin ein Neoliberaler! Wie steht es mit Ihnen?

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