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Michael Hüther Gastbeitrag 1. Februar 2007

Von Ahlen nach nirgendwo

Unsere Wirtschaftspolitik wird immer noch von Mythen und Heldenfiguren aus der Zeit des Wirtschaftswunders geprägt.

Am morgigen Samstag jährt sich zum 60. Mal die Verabschiedung des Ahlener Programms durch den Zonenausschuss der CDU. Dazu wird etwas im Verborgenen, am historischen Ort im Westfälischen, auch eine Feierstunde durchgeführt. Sicher wird so manche Festrede die Wegweisung würdigen, die noch heute von diesem Text ausgehe. Die Debatte darüber ist zweifellos reizvoll, zumal immer wieder einzelne Passagen, vor allem das Plädoyer für eine Vergesellschaftung von Bergbau und Eisen schaffender Industrie, zitiert werden.

Der Rückgriff auf die Vergangenheit wird den jeweils spezifischen Bedingungen als gewesener Gegenwart aber nur durch den umfassenden Blick und durch die Einbettung in den historischen Diskurs gerecht. Lediglich so wird es möglich, einen Bezugspunkt für heutige Überlegungen zu gewinnen. Und nur auf diesem Weg wird greifbar, dass weder die Forderungen nach Sozialisierung noch die Freiheitsgelübde des Ahlener Programms für sich genommen eine den Weg weisende Funktion ausüben.

Angesichts der Tatsache, dass unsere Wirtschaftspolitik immer noch in erheblichem Maße von Mythen und Heldenfiguren aus der Zeit des Wirtschaftswunders geprägt ist, kann die historische Analyse hilfreich sein. Dies gilt umso mehr, als die angelaufenen Programmdebatten der Volksparteien erkennbar einer Orientierung bedürfen. Nichts wäre schlimmer, als wenn Illusionen über die Vergangenheit dabei wirksam wären.

Das Ahlener Programm atmet den Geist einer Zeit, die durch Unfreiheit, Zwangswirtschaft, Krieg und Reparationen geprägt war. Dies erklärt das Bekenntnis zur wirtschaftlichen Freiheit des Einzelnen. Es erklärt aber ebenso den Wunsch, Bergbau und Montanindustrie zu vergesellschaften. Denn die Sicherung der "für das gesamte Volk lebenswichtigen Urprodukte" ließ Abweichungen vom Grundsatz des Privateigentums unter den obwaltenden Umständen als angemessen erscheinen.

Doch die wirtschaftspolitischen Grundsätze waren in ihren wettbewerbspolitischen Überlegungen ebenso stark von den Erfahrungen der Weltwirtschaftskrise sowie der Wirtschaftsordnung der Vorkriegszeit beeinflusst. Wenn im Ahlener Programm davon die Rede ist, "dass die Zeit der unumschränkten Herrschaft des privaten Kapitalismus vorbei ist" und deshalb Industriekonzerne zu entflechten und in selbstständige Einzelfirmen zu überführen seien, dann wird genau dies spürbar.

Dies gilt auch bei der pointierten Betonung der "gemeinwirtschaftlichen Ordnung" und der Absage an "das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben". Weltwirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit waren in schlechter Erinnerung und wurden als Beleg dafür gewertet, dass die freien Märkte der Steuerung bedürfen. So gab es viel Sympathie für regulierende Eingriffe auch in normalen Zeiten. Selbst Wirtschaftskammern als Träger der Planungs- und Lenkungsaufgaben erschienen opportun.

Eine derartige "planvolle Beeinflussung der Wirtschaft mit den organischen Mitteln einer umfassenden Wirtschaftspolitik" wurde auch nach der Währungsreform und der Freigabe fast aller Preise in den Düsseldorfer Leitsätzen der CDU vom 15. Juli 1949 unverändert begrüßt.

Wer heute nach Orientierung für nationale Wirtschaftspolitik in der Globalisierung sucht, der wird sie in beiden Programmen nicht finden. Sie waren nicht geprägt von der positiven Erfahrung unbeschränkt offener Märkte. Und deshalb standen sie im Einklang mit den Vorstellungen eines starken, ordnenden Staates.

Akzeptanzprobleme hatten die Regulierungssysteme, die für viele Wirtschaftsbereiche in den 30er-Jahren erlassen worden waren, bei den politischen Eliten der Nachkriegszeit deshalb nicht. Vor dieser Kulisse sind auch die meist erfolglosen Kämpfe von Ludwig Erhard zu verstehen, wenn es um die Abwehr neuer Eingriffe ging.

Es gibt für die heute anstehenden wirtschaftspolitischen Weichenstellungen keine historische deutsche Referenz. Insofern ist der Blick zurück auch heilsam und ernüchternd. Wir müssen die Blaupause für die Weichenstellungen zu Gunsten offener Märkte und wettbewerbsfähiger Wirtschaftspolitik selbst entwerfen.

Bisher haben wir uns vor allem von Europa oder der Not der öffentlichen Haushalte dazu treiben lassen. Deutschland befindet sich im Konzert der Industrieländer weiterhin in einer nachholenden Modernisierung.

Unsere politischen Diskussionen tragen dieser Einsicht bislang nicht Rechnung. Das erkennt man an den Programmdebatten, die trotz aller Bekenntnisse zum Willen zur Veränderung immer noch so geführt werden, als hätte sich der Standortwettbewerb nicht dramatisch internationalisiert. Unverändert dominiert das sozialpolitisch gut Gemeinte das wirtschaftspolitisch Erforderliche. So führt die Politik Diskussionen, die mit ökonomischer Vernunft nicht erklärbar sind. Und sie drängt diese Diskussionen anderen auf.

Warum eröffnet die Bundesregierung Mindestlöhnen eine Chance und gefährdet Arbeitsplätze, wenn sie sich an Erfolgen am Arbeitsmarkt messen lassen will? Warum muss sich der Staat an der Luftfahrtindustrie beteiligen, wo ansonsten Privatisierungen auf der Tagesordnung stehen? Warum ist es unvermeidbar, dass eine Gesundheitsreform mit dem Ziel größerer Effizienz zu höheren Beiträgen führt? Man verliert sich, das macht diese unvollständige Liste deutlich, im Einzelfall schnell im Smog politischer Vorurteile, wenn der ordnungspolitische Kompass fehlt. Das Ahlener Programm hat in seiner Zeit immerhin eine klärende und schließlich richtunggebende Auseinandersetzung angestoßen. Heute fährt der Zug der Programmdebatte nach nirgendwo.

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