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Michael Hüther Gastbeitrag 29. März 2007

Spielraum für die Politik

Mit einer investitionsfreundlichen Steuerreform und mit einem liberaleren Arbeitsmarkt lässt sich mehr Wachstum erzielen.

Geben wir es zu: Die Stärke und die Dauer des Aufschwungs hat uns Ökonomen überrascht. Der grundlegende Pessimismus früherer Jahre ist einem auffällig überbordenden Optimismus gewichen. Dafür gibt es durchaus Gründe; so haben sich in vielen Branchen der deutschen Industrie die Auftragseingänge erneut deutlich erhöht, die Beschäftigungsabsichten sind weitgehend positiv, und der Effekt der Mehrwertsteuererhöhung ist zumindest nicht in dem Ausmaß greifbar, wie er auf Grund von Erfahrungen erwartet worden war.

Insgesamt vermittelt die deutsche Volkswirtschaft ein völlig anderes Bild als noch vor wenigen Quartalen. Aus einer Perspektivlosigkeit für Konjunkturerholung und Wachstumsstärkung ist nun die Aussicht auf einen mehrere Jahre anhaltenden Aufschwung geworden. Gerade jene Ökonomen und Forschungsinstitute, die noch vor gar nicht langer Zeit die These vertraten, dass Deutschlands Wachstumstrend bei einem Prozent gedeckelt sei, befördern nun die Erwartung nachhaltiger Expansion auf deutlich höherem Niveau.

Deutschland ist in Europa nicht mehr das Schlusslicht und kann sich international wieder sehen lassen. Gar nicht auszudenken, welche Prognosen als realistisch gehandelt würden, hätte es die Erhöhung des allgemeinen Mehrwertsteuersatzes um drei Prozentpunkte nicht gegeben. Nun scheint es so, als könne diesem Aufschwung kaum etwas was anhaben - weder die Finanzpolitik noch veritable Risiken in der Weltwirtschaft. Auch Finanzmarktturbulenzen bleiben ohne erkennbare Wirkung. Was ist los? Was hat sich geändert? War alles falsch, was zuvor als Wachstumspessimismus artikuliert wurde?

Natürlich war dies nicht falsch. Die Berechnungen des potenziellen Wachstums - und damit für die langfristige Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts ohne inflationäre Verspannungen - haben fast unabhängig von der Methode aktuell einen Wert von rund 1,3 Prozent ergeben. Der Sachverständigenrat hat in seinem Jahresgutachten vom November 2006 die Ergebnisse unterschiedlicher methodischer Ansätze für das Produktionspotenzial präsentiert, weil es - wie er zutreffend schreibt - kein "kanonisches", allgemein akzeptiertes Verfahren gibt.

An den Resultaten fällt neben ihrer überschaubaren Bandbreite auf, dass sie erhebliche jährliche Schwankungen haben. Allein dies verpflichtet den Analysten, die verschiedenen Methoden auf ihren Erklärungsbeitrag zu überprüfen. Einerseits wird ohne Anwendung einer ökonomischen Theorie aus den Datenreihen für die Vergangenheit versucht, mittels ausgefeilter Zeitreihenanalysen einen Entwicklungstrend zu ermitteln. Die Interpretation fällt schon deshalb schwer, weil diese theorielos erzeugten Ergebnisse mit dem ökonomischen Kalkül der Unternehmen und Haushalte nicht verknüpft werden können. Andererseits wird produktionstheoretisch argumentiert, indem die Volkswirtschaft als repräsentatives Unternehmen gedeutet wird, das Arbeit, Kapital und technischen Fortschritt kombiniert.

Der Vorzug der zweiten Methodenrichtung liegt eindeutig darin, dass hier ökonomische Zusammenhänge plausibel zu Grunde liegen. Doch schnell wird ersichtlich, wo der Haken liegt. Es muss nämlich eine Konstanz der produktionstechnischen Verknüpfungen - so beim Einsatzverhältnis von Arbeit und Kapital - unterstellt werden. Was aber, wenn gerade diese sich ändern, weil auf den Arbeitsmärkten neue Bedingungen gelten oder auf den Kapitalmärkten sich Finanzinnovationen durchsetzen?

Jedes ökonometrische Modell kann, wenn überhaupt, nur sehr begrenzt aktuelle Veränderungen dieser Art einbeziehen. Tatsächlich haben sich in den letzten Jahren in beiden Zusammenhängen die Handlungsbedingungen verändert. Auf dem Arbeitsmarkt konnten Voraussetzungen für eine größere unternehmerische Flexibilität durchgesetzt werden: bei der Arbeitszeit, bei Höhe und Struktur der Entlohnung, ansatzweise auch bei der Gestaltung der Arbeitsverträge sowie durch die Zeitarbeit.

Dies hat nach Bekunden vieler Unternehmen die Anpassungsflexibilität der Produktion spürbar erhöht und nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass es im vergangenen Jahr möglich war, ein gesamtwirtschaftliches Wachstum von 2,7 Prozent ohne Druck auf das Preisniveau zu realisieren. Anders gewendet: Der bestehende Kapitalstock konnte intensiver genutzt werden.

Man sollte - vor allem perspektivisch - auch nicht die Bereinigungen und die Innovationen auf dem Kapitalmarkt außer Acht lassen. Die Finanzierungsbedingungen, die lange durch Börsenkrise und Kreditabschreibungen belastet waren, haben sich normalisiert. Die Kreditwirtschaft wird ihrer angestammten Rolle wieder besser gerecht.

Zudem bedeuten die Finanzinnovationen - von Kreditderivaten bis zu Hedge-Fonds - eine höhere Liquiditätsausstattung und ein verbessertes Risikomanagement. Auch daraus resultieren strukturelle Veränderungen für das unternehmerische Handeln.

So spricht einiges dafür, dass wir derzeit nicht nur einen Konjunkturaufschwung erleben, sondern vielmehr die Anpassung an ein höheres Wachstumsniveau, das bei zwei bis 2,5 Prozent statt bei einem bis 1,5 Prozent liegt. Anstrengungen auf der unternehmerischen Ebene lohnen sich ebenso wie unterstützende wirtschaftspolitische Maßnahmen, wenn sie sich auf die volkswirtschaftliche Angebotsseite beziehen.

Im Potenzialwachstum spiegeln sich gebündelt nicht nur die Problemfelder, wie der Sachverständigenrat schreibt, sondern ebenso die Problemlösungen. Wir können dafür noch weit mehr tun: mit einer wirklich investitionsorientierten Steuerreform und mit Handlungsfreiheit am Arbeitsmarkt.

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