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Hubertus Bardt und Manfred Jäger-Ambrozewicz in der Neuen Zürcher Zeitung Gastbeitrag 20. Februar 2011

Populistisches Tribunal über Spekulation

Frankreichs Präsident Sarkozy ist auf einem Irrweg, wenn er die Märkte an die Kette legen will. Das schreiben die IW-Ökonomen Hubertus Bardt und Manfred Jäger-Ambrozewicz in einem Gastbeitrag für die Neue Zürcher Zeitung.

Die Diskussion um die Spekulation an Rohstoffmärkten erinnert an ein Tribunal, dessen Urteil schon am Anfang feststeht. Leider ist es kein Freispruch.

Nach einer langen Phase billiger Rohstoffe hat vor einem halben Jahrzehnt ein Preisrally begonnen, das auch nach der Wirtschaftskrise zu Höchstpreisen führt. Opfer sind diejenigen, die diese Preise zahlen müssen, weil sie Rohstoffe konsumieren, zum Beispiel wenn sie tanken oder Metallprodukte kaufen. Als Schuldige angeklagt und in der öffentlichen Meinung vorverurteilt sind die «Spekulanten», denen man nach der Finanzkrise ohnehin alles zutraut.

Irrlichternder Sarkozy

Die Anklägerschaft ist gross und mächtig. Der Wunsch, in Zeiten steigender Rohstoffpreise die Spekulation zur Rechenschaft zu ziehen, zieht sich bis in höchste Regierungskreise. Die Rohstoffstrategie der Europäischen Kommission liess auf sich warten, weil der französische Präsident Sarkozy im Kampf gegen die Spekulation seine Mission sah. Doch handelt es sich bei der Spekulation überhaupt um ein Verbrechen, oder liegen die Kernprobleme auf den Märkten für endliche Rohstoffe ganz woanders? Und führt das Handeln der Spekulanten zu den negativen Wirkungen, wie oft behauptet wird?

Um zu klären, ob ein Verbrechen vorliegt, hilft der Blick auf die fundamentalen Funktionsweisen der Rohstoffmärkte. Auch sie reagieren auf Veränderungen von Angebot und Nachfrage. Eine steigende Nachfrage führt zu steigenden Preisen. Dasmacht zum Beispiel den Bergbau interessanter, so dass das Angebot ausgeweitet wird. Allerdings reagiert es in der Regel sehr träge. Erst wenn die Preisaussichten dauerhaft hoch sind, werden die umfangreichen Investitionen in neue Minenprojekte gewagt. Und bis zusätzliche Rohstoffe auf die Märkte kommen, bleiben die Preise hoch. Wenn aber zu viele Bergbauprojekte vorangetrieben werden, kann es sein, dass plötzlich ein viel zu grosses Angebot bereitsteht und die Preise kollabieren. Diese Gefahr lässt Investoren zögern. Ausgeprägte Preiszyklen und lange Phasen hoher Preise sind die Folge.

Und es ist genau das, was heute zu beobachten ist: China, Indien und andere Länder werden wohlhabender; die Menschen bauen Strassen und Städte, fahren Auto und produzieren Güter. Die Rohstoffnachfrage steigt, das Angebot kommt nur langsam hinterher. Hinzu kommen Protektionismus, unsichere Investitionsbedingungen und andere Versorgungsrisiken. Der Preisauftrieb ist also erklärbar, es muss kein Täter eines Verbrechens gesucht werden.

Aber ist es nicht offensichtlich, dass Anleger, die Rohstoffe oder Rohstoffderivate kaufen, die Preise in die Höhe treiben? Die wichtigsten Anlageklassen für diejenigen, die die Rohstoffe selbst nicht benötigen, sind Futures. Mit ihnen werden die Erwartungen für zukünftige Preisentwicklungen gehandelt – man spekuliert also auf steigende und fallende Preise. Tatsächlich steigt aber nicht der Rohstoffpreis wegen der Spekulation. Future-Preis und Spot-Preis steigen aus demselben Grund: Am Markt herrscht die Erwartung, dass die Ware wertvoller wird. Nur diese Annahme begründet den Kauf des Derivates.

Also ein klarer, schneller Freispruch? Nicht so schnell. Natürlich kann es zu Manipulation kommen. Wenn zu wenig gehandelt wird, kann ein Akteur eine beherrschende Stellung erobern und Preise manipulieren. Es gibt aber keine Belege dafür, dass dies ein vorherrschendes Phänomen ist. Trotzdem ist es klug, beherrschende Stellungen zu überwachen. Das gilt an Finanzmärkten wie auf anderen Märkten. Dass der Marktmechanismus fehleranfällig ist, dürfte insbesondere am Herdenverhalten liegen – wenn Anleger sich nur deshalb für ein Investment entscheiden, weil viele andere das auch tun. Herdenverhalten lässt Preisblasen entstehen. Das Problem sind in diesem Fall aber nicht die Finanzinvestoren, sondern eher der Mangel an Spekulation in die andere Richtung. Kritische Akteure können gegen die Herde wetten und damit den Trend durchbrechen.

Übertrieben hohe Preise sind kein dauerhaftes Phänomen. Spekulation lohnt sich gerade dann, wenn es dem Investor gelingt, Fehlbewertungen aufzudecken. Wenn die Preise zu hoch sind, lohnt sich der Verkauf. Wer aber in einer Phase überhöhter Preise kurzfristig auf den Einkauf von Rohstoffen angewiesen ist, um Güter zu produzieren, leidet unter den Übertreibungen. Darum ist es so wichtig, sich gegen derartige Preisschwankungen absichern zu können. Und genau diese Möglichkeit bieten Finanzmärkte. Deshalb ist es gut, wenn sich nicht nur die wenigen realwirtschaftlichen Rohstoffkonsumenten dort engagieren, sondern ein möglichst breites Spektrum an Investoren.

Reale Hintergründe

Auch wenn diese Verhandlung über die Spekulation mit einen Freispruch endet: Finanzmärkte sind nicht ohne Risiken. Das gilt auch, wenn auf ihnen mit Rohstoffen und abgeleiteten Wertpapieren gehandelt wird. Darum muss mit einer vernünftigen Geldpolitik, klaren Spielregeln und liquiden Märkten Vorsorge getroffen werden. Der Preisboom hat aber reale Hintergründe. Der Rohstoffhunger der Welt schürt die Erwartungen steigender Preise. Steigende Preise liefern eine wichtige Botschaft: Die erschöpflichen Ressourcen werden knapper, Investitionen zum Beispiel in den Bergbau wichtiger. Um die Versorgung zu bezahlbaren Preise zu sichern, bringt es wenig, mit den Spekulanten einen Sündenbock anzuklagen.

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