Mit dem Eigenlob waren die Politiker nach dem Weltfinanzgipfel in London schnell zur Stelle. "Historisch" sei er gewesen, hieß es. Dafür sorgte allerdings schon der Anlass. Das Ausmaß der Finanz- und Wirtschaftskrise ist größer als alles, was wir seit den 30er-Jahren erlebt haben. Vor allem aber ist sie so global wie noch nie.
Vertrauen wiederherstellen: Nur mit einer neuen Finanzarchitektur
Schon Kurt Tucholsky sagte: "Was die Weltwirtschaft angeht, so ist sie verflochten." Die Verflechtung ist mittlerweile aber so weit vorangeschritten, dass genau das eingetreten ist, worauf die Philosophen unter den Freunden der Globalisierung schon immer gesetzt haben: Erstmals manifestiert sich ein unausweichlicher Druck zum kooperativen Handeln. Jetzt muss an einem Strang gezogen werden. Diese Einsicht ist erfreulicherweise in der Politik angekommen.
Und noch eine wichtige Lehre scheint gelernt: Nämlich dass politisches Handeln im Wesentlichen bedeuten muss, dass Spielregeln definiert werden, nicht dass von staatlicher Hand selbst die Spielzüge ausgeführt werden. Das ist ein Fortschritt, den wir gar nicht hoch genug schätzen können. Die Gestaltung und Pflege der Regelsysteme gehört als praktische Ordnungspolitik zu den ureigensten Aufgaben des Staates.
Vor dem Zusammentreffen der G20 gab es zwar noch einige Verbalscharmützel, ob die Staaten ihre Konjunkturprogramme ausweiten sollten. Wahrscheinlich diente das der Vorbereitung der Wähler daheim, nach dem Motto: Wenn weitere Konjunkturprogramme Gipfelthema sind, dann können sie zuhause auch nicht als Unsinn abgetan werden. Abgesehen von der Mittelaufstockung für IWF, Weltbank und Entwicklungsbanken wurde jedoch nichts dergleichen beschlossen. Und das ist ein Segen. Denn schon jetzt ist die keynesianische Feuerwehr international mit fünf Billionen Dollar unterwegs. Man darf sich über den Charakter solcher Programme nicht täuschen: Durch zwangsfinanzierte Nachfrage gaukeln sie uns vor, es sei gar nichts im Argen in der Wirtschaft – im Pokern darauf, dass die Illusion so lange hält, bis es uns genau deshalb wieder gut geht, weil wir dieser Illusion erlegen sind. Die Chancen, dass so etwas klappt, sind begrenzt. Schon jetzt rechnet jedermann für die Zeit nach der Krise mit massiven Steuererhöhungen, Zinslasten und Inflation. Vertrauen schafft derlei nicht. Vertrauen gibt es nur mit besseren Regeln.
Als dringend verbesserungsbedürftig haben sich bekanntlich vor allem die Regelsysteme für die Akteure auf den Finanzmärkten erwiesen. Zusammen mit der nachlässigen Aufsicht war dies ein Grund dafür, dass die Welt in die Krise gerutscht ist. Vor allem die mangelnde Haftung war eine Lücke in der Rahmenordnung, die allein durch individuelle Moral nicht aufgefüllt werden konnte, zumal die Vermögensblase auf dem Immobilienmarkt in Amerika politisch erwünscht und befördert war. Hier gab es eklatantes Politikversagen. Deshalb muss die Politik jetzt nachsitzen und Hausaufgaben machen – für eine neue Finanzarchitektur.
Und gerade auf diesem Feld ist in London eine Menge konkret beschlossen worden, zum Beispiel ein Frühwarnsystem von IWF und Financial Stability Board, Aufsichtskollegien für systemrelevante Banken und mehr präventives Handeln der Notenbanken, die insbesondere sich aufbauende Vermögensblasen in den Blick nehmen sollen. Banken sollen antizyklisch ihr Eigenkapital aufstocken. Außerbilanzielle Positionen sollen abgebaut und mit Eigenkapital unterlegt werden. Nicht zuletzt sind die Rechnungslegungsbehörden beauftragt worden, jene Bilanzierungsregeln zu ändern, die in der Krise zum kumulativen Wertverlust geführt haben.
All das ist sinnvoll und überfällig. Die Breitseiten gegen Hedgefonds und Steueroasen indes sind dem Populismus geschuldet. Die Informationspflichten für Hedgefonds sind immerhin kein schwerer Eingriff. Im Fall der Steueroasen ist das anders; der Übergriff auf die nationalen Rechtsvorstellungen ist enorm. Der Konsens hierfür speist sich nicht zuletzt aus der Abneigung der Politiker gegen einen Steuerwettbewerb, der die Staatseinnahmen mindern kann. Mit einer vernünftigen Finanzarchitektur hat das rein gar nichts zu tun.
Karen Horn, geboren am 13. Dezember 1966 in Genf (Schweiz), ist promovierte Volkswirtin. Von 1995 bis 2007 war sie Mitglied der Wirtschaftsredaktion der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" als verantwortliche Redakteurin für die Seite "Die Ordnung der Wirtschaft" und die Rubrik "Wirtschaftsbücher". Sie schreibt über verschiedene wirtschaftspolitische und wirtschaftswissenschaftliche Themen. Für die Friedrich-August-von-Hayek-Gesellschaft leitet sie den Juniorenkreis Publizistik. Sie ist Mitglied der Mont Pèlerin Gesellschaft, Kuratoriumsmitglied des Walter-Eucken-Instituts in Freiburg, Mitglied des akademischen Beirats des "Institut Constant de Rebecque" in Lausanne, Vorstandsmitglied des "Council on Public Policy" in Bayreuth sowie Mitglied der Jury für den deutschen Wirtschaftsfilmpreis. 1997 erhielt sie den Ludwig-Erhard-Förderpreis für wirtschaftlichen Journalismus, 2005 den Publizistik-Preis der Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung. Sie hat ein Buch über "Moral und Wirtschaft" verfasst sowie ein Brevier über die Schriften von Benjamin Constant. Seit 2008 leitet sie das Hauptstadtbüro des Instituts der deutschen Wirtschaft in Berlin.
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