Der Kölner Karneval schafft viel Verschwendung – und entgegen allen Vorurteilen erstaunlich wenig Kinder, schreibt Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, in der Zeit. Eine wirtschaftliche Bilanz der fünften Jahreszeit.
Alaaf: Zwei Milliarden Euro
Der Karneval hat eine enorme wirtschaftliche Bedeutung für das Rheinland. Trotzdem gibt es nur wenige konkrete Zahlen und Daten dazu. Liegt das an den Gemeinsamkeiten von Volkswirten und Karnevalisten?
Ökonomen sind wie Rheinländer, heißt es oft in Büttenreden: nichts verstehen, aber alles erklären können. Und im Nachhinein immer alles gewusst haben. Weder will ich dabei den Ökonomen noch den Rheinländern zu nahe treten, ich bin ja selbst beides. Der Rheinländer ist aber einfach ein besonderer Menschenschlag. Er neigt zur Übererwartung und ist ein Künstler der reinen Ankündigung.
Wenn man sich in Köln darauf einigte, dass am Ende der Saison der 1. FC Deutscher Meister würde, würde der Rheinländer das sofort feiern. Die reine Ankündigung reicht, es bedarf keines empirischen Beweises. Und wenn der Rheinländer sich einmal auf ein (Vor-)Urteil eingelassen hat, dann bringt ihn nichts davon ab. Egal, wie verrückt die Kölner spielen mögen, der Rheinländer bleibt ruhig und gelassen. Vielleicht ist das der Grund, warum Ökonomen bislang so wenige Zahlen zum Karneval vorlegen können: Der Rheinländer würde den Analysen ja ohnehin kein Gehör schenken.
Immerhin, es gibt zwei aussagekräftige Studien. Der Bund Deutscher Karneval hat errechnet, dass in der fünften Jahreszeit bundesweit zwei Milliarden Euro erwirtschaftet werden. 3000 Unternehmen und mehr als 40 000 Mitarbeiter leben ganzjährig vom Karneval – etwas weniger, als in der deutschen Solarbranche beschäftigt sind. Was der Steuerzahler also durch die EEG-Umlage mit rund 20 Milliarden pro Jahr unterstützt, wird im närrischen Treiben ohne Subventionen gestemmt.
Boston Consulting hat 2009 berechnet, wie viel Umsatz allein der Kölner Karneval auslöst, und kam damals schon auf stattliche 460 Millionen Euro. 165 Millionen Euro davon entfallen auf die Umsätze in der Gastronomie, 85 Millionen Euro geben die Kölner für Kostüme und 75 Millionen Euro für den Transport mit Taxi, Zug, Bus, Bahn und Flugzeug aus. Immerhin 30 Millionen Euro werden nach dieser Untersuchung durch Tickets für Sitzungen umgesetzt. Und wer hätte gedacht, dass Köln pro Session 6 Millionen Euro für Orden und Schals ausgibt?
Ja und, würde der Kölner fragen. Seine Stadt ist ohne Karneval undenkbar – das Fest wurde bereits im späten Mittelalter erfunden. Erstaunlicherweise haben sich die lustfeindlichen Preußen um Köln und seine Feierkultur verdient gemacht. Sie bauten nämlich nicht nur den Dom fertig, sondern institutionalisierten auch den Karneval. Um das ungezügelte Treiben in gesittete Bahnen zu lenken, wurden 1823 die ersten Karnevalsvereine gegründet, und die preußische Uniformierung fiel dem Spott anheim.
Heute gibt es nirgendwo sonst im Karneval ein derart großes und vielfältiges Angebot. Das schafft Selbstvertrauen. Und so fällt es dem Kölner leicht, sich mit Düsseldorf und Mainz zu vergleichen. Ökonomische Erkenntnisse werden dabei gern außen vor gelassen, denn nicht Köln, sondern Düsseldorf ist der eindeutige Effizienzmeister: Dort werden pro Rosenmontagszug nur 45 Tonnen Süßwaren benötigt, in Köln 330 Tonnen. Und jetzt kommt’s: Die Düsseldorfer locken mit ihrem Karnevalszug, der mit rund 5000 Teilnehmern nicht einmal halb so groß ist wie das Kölner Pendant, fast die gleiche Anzahl von Zuschauern an.
In Köln ist schlicht der Wirkungshebel geschrumpft: 1950 hatte der Rosenmontagszug 2500 Teilnehmer bei 1 Million Zuschauern. Heute sind es 12 000 Teilnehmer bei der gleichen Besucherzahl. Aber was bestimmt überhaupt die Besucherzahl beim Karneval? Das Bruttosozialprodukt ist es nicht, die Regenmenge auch nicht. Gefeiert wird also nicht nur immer, sondern auch bei jedem Wetter. Einzig die Temperatur hat einen messbaren Effekt: Mit jedem zusätzlichen Grad auf dem Thermometer kommen 23 281 Zuschauer mehr.
Den Bierabsatz wüsste man gerne noch, den gibt’s nur auf Länderbasis, und wie viel die Sauerländer trinken, tut hier einfach nichts zur Sache. Selbst wo konkrete Zahlen und Statistiken existieren – im Karneval ist das meiste doch Ansichtssache. Zwar beginnt die fünfte Jahreszeit immer am 11. 11. um 11.11 Uhr, doch wie lange sie dauert, hängt von der Lage des Ostersonntags ab. Weil die Session also unterschiedlich lang ist, sagt der jährlich von der Fachgruppe Karneval im Deutschen Verband der Spielwarenindustrie erhobene Umsatz der Kostümbranche wenig aus. Erst nach Bereinigung um die Anzahl der Karnevalstage wird deutlich, ob das Jahr gut oder schlecht war. Dieses Verfahren fördert zutage, dass die 87 Tage in der Session 2007/08 zwar ein Umsatzminus von 5 Prozent mit sich brachten, dass sich aber sessionsbereinigt ein Wachstum von plus 1,1 Prozent ergibt. Andersherum erweist sich das Umsatzplus von 1,6 Prozent in der 118 Tage dauernden Session 2010/11 als ein sattes Minus von 7 Prozent.
Weniger Aufwand braucht die Falsifizierung der Ansicht, dass der Karneval den demographischen Wandel verlangsamt. Neun Monate später ist einfach kein Geburteneffekt festzustellen. Vielmehr steigt die Geburtenrate zehn Monate nach dem Karneval dramatisch an. Offenbar brauchen die Menschen erst einmal eine Erholungspause.
Viel mehr ist nicht drin in den jecken Daten. Um dem Vorwurf des Schwadronierens zu entgehen, müssen Ökonomen erst die eklatanten Lücken in der Karnevalsforschung stopfen. Was zum Beispiel ist mit der Schattenwirtschaft, die sich vor allem während des Rosenmontagszuges im überteuerten Straßenverkauf von Dosenbier offenbart. Doch egal, wie viel geforscht wird, an der Bedeutung des Karnevals für das Rheinland ändert das nichts. Das Rheinland ist keine Landschaft, sondern mehr eine Gegend. Ein Vierteljahr Nebel, den Rest der Zeit Rübenanbau und Rübenernte. In solchen Regionen kommen Menschen auf andere Ideen – dem Rheinländer ist der Karneval eingefallen.
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