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Michael Hüther in der Welt Gastbeitrag 18. September 2017

Was den Intellektuellen alles zur AfD einfällt

Dieser Wahlkampf inspiriert nicht, er ermüdet, schreibt IW-Direktor Michael Hüther in der Welt. Aus dem Duell der Kanzlerkandidaten wurde wahrnehmungshalber ein Duett – was sich immerhin als zivilisierter und gelegentlich faktenbasierter Umgang positiv würdigen lässt. Erschütternd ist hingegen, wie im Windschatten andere Akteure nahezu leichtfüßig mit unmoralischen Mitteln den politischen Abgrund bespielen.

Was die AfD hier treibt, ist nicht nur abstoßend, es folgt der expliziten Parteistrategie des Tabubruchs und Protests aus Prinzip. Insbesondere die Herren Höcke und Gauland offenbaren dabei eine Sprache, der jegliche Bindung an den zivilen Umgang in der Bürgergesellschaft fehlt.

Wer anhaltend so redet, dem wird man unterstellen müssen, dass er ebenso denkt und – wenn er es denn könnte – entsprechend handelte. So etwas kannte die deutsche Gesellschaft bislang nicht, zumindest nicht mit der Öffentlichkeitswirkung und schon gar nicht mit der Aussicht auf parlamentarische Beteiligung auf Bundesebene.

Umso mehr muss man darüber reden, sicherlich streiten, und das auch öffentlich und in den Medien. Dennoch wird man als Staatsbürger – und nur als solcher schreibt der Autor hier – fragen dürfen, welche Ratio es hat, wenn Herr Gauland nach seinen Entsorgungsfantasien noch in eine Talkshow des öffentlich-rechtlichen Fernsehens eingeladen wird.

Als Bildungsfernsehen wird man diese Talksendung wohl kaum werten wollen. Wobei es nicht allein die öffentlich-rechtlichen Medien sind, die über viele der vielen Stöckchen springen, die ihnen die AfD-Protagonisten kalkuliert oder intuitiv hinhalten.

Doch werfen wir einen Blick hinter die Kulisse der aktuellen Medienkritik. Als Lektion des Nationalsozialismus wurde staatsfern sowie unabhängig der öffentlich-rechtliche Rundfunk etabliert, an dessen Programm, so das Bundesverfassungsgericht, im Interesse des Gemeinwohls höhere Anforderungen gestellt werden müssen.

Die Geschichte der modernen Demokratie ist ohne die Pressefreiheit und die freie Meinungsäußerung nicht zu denken. Damit wird klar, worum es geht: um unsere Freiheit als Bürger. Deshalb ist der demokratische Staat zur Freiheit verpflichtet, sind seine Bürger zur Freiheit berechtigt. Die Freiheit müssen aber letztlich wir Bürger selber sichern und immer wieder neu erringen, und zwar im öffentlichen Raum.

Dort, von Hannah Arendt konzeptualisiert, finden wir uns im Rahmen von Verfassung und Rechtsordnung zusammen, das ist der Ort der Kooperation, der Koordination, des Konflikts, der Aushandlung und des Ausgleichs. Wir organisieren dort lebenspraktisch unser Miteinander, was unweigerlich zum Ausdruck bringt, dass wir letztlich nur in Abhängigkeit von unseresgleichen leben können.

Im Reden und Handeln erscheinen wir als Individuen im öffentlichen Raum. Öffentlichkeit, so Jürgen Habermas, konstituiert sich im Gespräch und in der gemeinsamen Handlung. Die moderne bürgerliche Öffentlichkeit rekurriert dabei in besonderer Weise auf die Maßstäbe der Vernunft und der Moral.

In dieser abstrakten Darreichungsform würde das Konzept des öffentlichen Raumes vermutlich niemand bestreiten, erst recht nicht die „besonders vielen Akademiker“, die sich laut Alice Weidel in den Reihen der AfD finden.

Allerdings kann nach Hannah Arendt der öffentliche Raum seine demokratische Bedeutung nur erlangen, wenn wir mit gutem Willen zum freundschaftlichen Gespräch bereit sind. Das schließt den Streit, den Konflikt, die scharfe, gar polemische Auseinandersetzung gerade mit ein – unsere politische Kultur leidet eher an einem Mangel solcher Diskursformen.

Doch die Missachtung der Menschlichkeit, der guten Sitten, der Zivilität – all das gehört dort nicht herein. Solchem Reden immer wieder Raum zu geben und dem damit öffentliche Wirkung zu ermöglichen, bedeutet die politische Unabhängigkeit der Medien mit Neutralität in der Demokratie zu verwechseln.

Nun ist es gerade das elende Schicksal intellektueller Eliten, sich in jeder Situation durch reflexive Rationalisierung einhausen zu können. Aus unserer Geschichte haben wir gelernt, dass dies bis zum Zivilisationsbruch reichen kann.

„Unter den Intellektuellen“, so Hannah Arendt in dem berühmt gewordenen Gespräch mit Günter Gaus 1964, „war die Gleichschaltung sozusagen die Regel. … Zu Hitler fiel ihnen etwas ein. Und zum Teil ungeheuer interessante Dinge! Ganz fantastisch interessante komplizierte! Und hoch über gewöhnlichem Niveau schwebende Dinge! … Sie gingen ihren eigenen Einfällen in die Falle.“

Auch heute fällt vielen Erstaunliches ein, zu Trump, zum Brexit, zu Le Pen und auch zu einer AfD, die immer weiter im rechten Sumpf einsinkt. Erstaunliche intellektuelle Girlanden werden geflochten, wo es doch gar nicht um Erklärung und Einordnung gehen kann, sondern schlicht die Fähigkeit zum Urteil verlangt wird: schlechtes Benehmen ist schlechtes Benehmen, Menschenverachtung ist Menschenverachtung, Dummheit ist Dummheit, und Elitenversagen ist Elitenversagen.

Um dagegenzuwirken, ist es notwendig, die Unabhängigkeit der Medien nicht als Neutralität misszuverstehen, sondern als Aufforderung, transparent und nachvollziehbar Position zu beziehen sowie Haltung zu wahren.

Dass dies weder einfach noch eindeutig ist und in Dilemma-Situationen führen kann, sollte klar sein. Doch der Mangel an einfachen Antworten annulliert die Frage nicht. Weicht man der aus und versteckt man seinen Unwillen, zu unterscheiden, hinter fantastischen Geschichten, dann schafft man Referenzen für inakzeptables, weil antidemokratisches Reden und Handeln.

Schließlich blüht der politische Extremismus. Zusammen mit dem Terrorismus und „Spannungen durch den Zuzug von Ausländern“ rangiert dieser interessanterweise derzeit auch ganz oben auf der Sorgenliste der Deutschen.

Angesichts der Herausforderungen müsste die Frage von Identität umfassend erörtert werden – und zwar nicht verengt auf die Zuwanderung. Immer mehr Menschen haben den Eindruck, dass ihr Leben zunehmend fremdbestimmt wird, fühlen sich angesichts der Globalisierung und Digitalisierung anonymen Mächten ausgeliefert.

Darüber zu debattieren und die schwierigen Fragen nationaler Identität in Europa zu erörtern, mag vielen Liberalen rückwärtsgewandt erscheinen. Doch es gibt diesen Orientierungsbedarf, die Welt hat ein anderes Gesicht bekommen. Wer diesen Bedarf ignoriert, der überlässt ihn dem kaum noch getarnten rechten Sumpf, der sich seiner Repräsentation im öffentlichen Raum gewiss sein kann. Beides ist für unsere Demokratie nicht zu akzeptieren.

Zum Gastbeitrag auf welt.de

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