Die Probleme der Wettbewerbsfähigkeit der Krisenstaaten in der EU seien hausgemacht, schreibt IW-Direktor Michael Hüther in einem Gastbeitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung. Die Fehlentwicklungen müssten über eine Anpassung der Löhne und Preise korrigiert werden.
Unvermeidbare Anpassung
Europa steht vor der Wahl für das Europäische Parlament. Scheinbar verbindet sich damit auch eine Wahl über die wirtschaftspolitische Strategie, um Europa gut aus der Krise zu führen. So bieten die europakritischen Parteien aller Länder ein Programm, das die Abkehr von der mühsamen, weil zweifachen Anpassung der Krisenländer – bezogen einerseits auf die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Volkswirtschaft, andererseits auf die Tragfähigkeit der Staatsschulden – an der Peripherie der Eurozone verspricht. Dann würde alles gut.
Abgesehen davon, dass die Europäische Union erhebliche Korrekturbedarfe am institutionellen Rahmen hat, ist jedoch nicht so recht zu erkennen, wie eine Abkehr von der Anpassungspolitik zu einer Besserung der Lage in den Krisenländern führen soll. Die Probleme der Wettbewerbsfähigkeit sind hausgemacht; niemand hat von außen – sei es von Brüssel oder aus Berlin – die Länder bzw. die dafür verantwortlichen Akteure aufgefordert, ihre Arbeitskosten deutlich stärker anzuheben als es der gesamtwirtschaftliche Produktivitätsfortschritt im Trend vorgibt. Die Folge war evident: Die Lohnstückkosten in Griechenland, Portugal und Spanien sind denen in Nord- und Mitteleuropa enteilt. Das ist nun keine böse Strategie der Deutschen, sondern nur Ausdruck des – zweifellos erfolgreichen – Versuchs, in der Mitte des Kontinents wieder mehr wirtschaftliche Dynamik zu ermöglichen, die dann auch ganz Europa stützend hilft.
Freilich kann man der Frage nachgehen, ob Europa als Ganzes mehr Obacht und Rat hätte geben können, als die infolge der Währungsunion für die Südländer ungewohnt niedrigen Zinsen nicht nur die Verschuldung des Staates beförderte, sondern ebenso die der privaten Sektoren. Die Zinskonvergenz wirkte wie ein Wohlstandsgewinn, für den man nichts geleistet hatte (ähnlich dem Phänomen der "holländischen Krankheit") und der deshalb mit erheblichen Fehlanreizen verbunden war. In Griechenland und Portugal führte dies zu einer Ausweitung des privaten Konsums und zu geringeren Investitionen; in Spanien beförderte es die Fehlallokation von Kapital durch massive Bauinvestitionen. Wie dem auch sei: Die Korrektur der Fehlentwicklung kann nur in den Ländern selbst stattfinden und gelingen.
Was da so qualvoll Austeritätspolitik genannt wird, ist die Antwort auf vorangegangenen Fehlentwicklungen, die von den internationalen Investoren und Kapitalmärkten nicht mehr akzeptiert werden. Dies äußert sich einer Umkehr der Kapitalströme und entsprechenden Zinserhöhungen für staatliche und private Anleihen des betreffenden Landes. Die Abwertungsoption entfällt in der Währungsunion, so muss die Korrektur über eine Anpassung der Löhne und Preise gelingen. Das ist zunächst konfliktreicher, weil es den unvermeidbaren Verteilungskonflikt transparent macht und nicht verschleiert.
Tatsächlich ist aber genau diese Anpassung in den Krisenländern der europäischen Peripherie in Gang gekommen. Dabei geht es nicht, wie gelegentlich von deutschen Ökonomen zu hören war, um die vollständige Korrektur der zuvor realisierten, aber nicht dauerhaft tragfähigen Lohn- und Preiserhöhungen, sondern um einen Trendbruch. Denn während der Anpassung verändern sich ja auch die Produkte und Produktionsverfahren, so dass sich auch von daher die Wettbewerbsfähigkeit verbessert. Die Entwicklung der letzten Quartale zeigt, dass die realisierte Korrektur sich wie bei angebotsseitigen Verbesserungen erwartbar in der Wettbewerbsfähigkeit und der Haushaltssanierung widerspiegelt. Für 2014 wird sich die gesamtwirtschaftliche Besserung weiter ausprägen.
Dennoch gilt: Der Prozess der Erholung wird in jedem Fall bis zum Ende des Jahrzehnts benötigen. Denn Staatsschuldenkrisen in Kombination mit Bankenkrisen benötigen über die Korrektur der Verschuldungsposition einfach Zeit. Die zentrale Herausforderung der nächsten Zeit besteht in der weiteren Stabilisierung des Banken- und Finanzsystems der Krisenländer. Dafür ist die Bankenunion entscheidend, denn sie schließt eine bedeutsame institutionelle Lücke der Währungsunion. Eine gemeinsame Aufsicht, ein Abwicklungsmechanismus und Standards für die Einlagensicherung sind wichtige Elemente, um dauerhaft die Funktionsweise der Währungsunion zu verbessern.
Insofern ist die Diskussion um die Austeritätspolitik ein Irrlicht. Es geht nicht darum, wie in Deutschland unter Reichskanzler Heinrich Brüning oder während des Zweiten Weltkriegs in Großbritannien unter Schatzkanzler Stafford Cripps den Ausgleich des Staatshaushalts zum Prinzip zu erheben, sondern durch die gebotenen Anpassungen eine neue Glaubwürdigkeit der Finanzpolitik zu erlangen. Die Alternative, durch mehr öffentliche Ausgaben im investiven Bereich neue Wachstumsaussichten zu begründen, trägt angesichts der Unmöglichkeit, neue Kredite aufzunehmen, nicht. Die Unterstützung der Partner in der Währungsunion kann sich auf die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit durch Marktöffnung und gezielte Infrastrukturfonds beziehen. Doch all dies kann ebenso wie die Begleitung durch die Geldpolitik im Rahmen ihres Mandats nur gelingen, wenn die Krisenländer selbst den mühevollen Weg nicht scheuen. Man kann es drehen und wenden, wie man will, daran ändert sich nichts.
Zum Gastbeitrag auf bpb.de
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