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Sigmar Gabriel/Michael Hüther/Norbert Röttgen/Andreas Dombret/David Deißner im Tagesspiegel Gastbeitrag 19. Juni 2020

US-Truppenabzug aus Deutschland: Trump verfolgt kein außenpolitisches Ziel – sondern macht Wahlkampf

Donald Trump wird mit dem angekündigten Truppenabzug aus Deutschland ernst machen. Was daraus folgt. Ein Gastbeitrag aus dem Vorstand der Atlantik-Brücke.

Präsident Trump hat seine Pläne, 9.500 US-Soldatinnen und Soldaten aus Deutschland abzuziehen, bestätigt. Es ist damit zu rechnen, dass sie vollzogen werden. Das ist mehr als bedauerlich. Die in Deutschland stationierten US-Soldatinnen und Soldaten sind in Deutschland willkommen. Wir wollen, dass sie bleiben, auch weil sie einen Beitrag zu Deutschlands Sicherheit leisten. Aber nur ein kleinerer Teil der Soldaten hat diese Funktion. Die meisten sind aus strategischen und logistischen Gründen in Deutschland stationiert, um die internationale Militärpräsenz der USA im Nahen und Mittleren Osten sowie in Afrika zu koordinieren. Unabhängig von ihrer Aufgabe schätzen wir die amerikanischen Soldaten als Teil unserer Gesellschaft, denn sie geben den transatlantischen Beziehungen jeden Tag aufs Neue ein menschliches Gesicht. Die zwischenmenschlichen Beziehungen, die so entstehen, sind als Fundament unserer Partnerschaft mindestens genauso wichtig wie die Sicherheitsdimension der amerikanischen Präsenz.

Donald Trumps Entscheidung, US-Truppen aus Deutschland abzuziehen, beschädigt erneut das Vertrauen

Auch wenn die Reduzierung der Truppenstärke keine unmittelbare Bedrohung für Deutschlands und Europas Sicherheit bedeutet, haben die Pläne doch eine besorgniserregende Signalwirkung. Denn die Entscheidung Washingtons beschädigt erneut die über Jahrzehnte aufgebaute Vertrauensbasis zwischen den transatlantischen Partnern, den Zusammenhalt des Westens und seine weltpolitische Wirkmächtigkeit. Autoritäre Regime und illiberale Akteure werden dies erfreut zur Kenntnis nehmen. Es gibt viele, die davon profitieren, wenn die liberale Ordnung geschwächt wird.

Die Entscheidung ist nicht außenpolitisch, sondern wahlkampfstrategisch begründet

Also was können wir tun? Wir werden Präsident Trump nicht umstimmen können, denn er verfolgt keine außenpolitische, sondern eine Wahlkampfstrategie und das wird bis November so bleiben. Darauf müssen wir uns einstellen und damit müssen wir umgehen. Das bedeutet, soweit wie möglich Schadensbegrenzung zu betreiben und Vorkehrungen für die Zeit danach zu treffen. Denn auch dieser Wahlkampf ist irgendwann vorbei.

Sind wir ein glaubwürdiger Partner?

Wir wissen, dass es mit den USA bereits vor der Amtszeit von Präsident Trump strittige Punkte gab, und dass es diese auch in Zukunft geben wird – und zwar parteiübergreifend. Seien es der Ausbau des 5G-Netzes, das Nord Stream 2-Projekt oder die Überschüsse in der deutschen Handelsbilanz. Über all dies müssen wir uns mit den USA auseinandersetzen. Unabhängig davon, wie die Wahlen ausfallen werden, deren Ergebnis wir zu respektieren haben, müssen wir uns selbst fragen, ob wir den USA immer als glaubwürdiger Partner begegnen, der seine Bündnisverpflichtungen ernst nimmt. Die vergleichsweise geringen Verteidigungsausgaben Deutschlands gemessen am Zwei-Prozent-Ziel der Nato werden parteiübergreifend in den USA kritisiert.

Wir wollen weiter mit den USA zusammenarbeiten

Uns muss bewusst sein, dass unsere Sicherheit von den USA garantiert wird. Selbst wenn wir das ändern wollten, kann Europa noch für längere Zeit die Stärke der USA als Partner aus eigener Kraft nicht ersetzen. Deshalb ist das transatlantische Verhältnis unverzichtbar. Aber es ist nicht ausschließlich die Außen- und Sicherheitspolitik, in der wir mit den USA zusammenarbeiten wollen. Auch wirtschaftlich und kulturell wollen wir eine enge Anbindung an die USA. Die derzeit noch immer grassierende Pandemie hat gezeigt, wie wichtig internationale Kooperation und starke Partnerschaften sind. Auch die aktuelle Wirtschaftskrise, deren Auswirkungen sich noch weiter verschärfen werden, wird ohne Zusammenarbeit für keinen von uns zu meistern sein.

Europa darf im transatlantischen Bündnis nicht nur mitsegeln, sondern muss es prägen

Wir haben es uns in der Vergangenheit oft zu einfach gemacht und sind im Windschatten der USA mitgesegelt. Europa muss das transatlantische Verhältnis stärker prägen, auch in der geopolitischen Relevanz der Beziehungen zum Beispiel mit Blick auf China. Mehr denn je müssen wir unter aktiver Aufrechterhaltung der transatlantischen Beziehungen unsere eigene Sicherheit und unsere eigenen Interessen stärker selbst in die Hand nehmen.

Eines müssen wir deutlich sehen: Die geopolitische Landkarte hat sich nach dem Kalten Krieg grundlegend verändert. Das Interesse der Vereinigten Staaten am pazifischen Raum wird weiter wachsen. Doch wir wissen auch, dass es auf der anderen Seite des Atlantiks viele gibt, die ebenso wie wir die guten Gründe für eine weiterhin enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit kennen, ohne sich in Nostalgie zu verlieren. Die USA sind nicht Präsident Trump. Die aktuellen Proteste, die das Land erschüttern, unterstreichen, dass Amerika ein zwar gespaltenes Land ist, aber auch eines, das Vielfalt und Kraft zur Erneuerung verkörpert wie kaum ein anderes auf der Welt.

Wir werden die Krise im transatlantischen Bündnis überwinden

In einer von gemeinsamen Werten und Interessen geprägten Partnerschaft lassen sich auch Konflikte aushalten. Neben Kanada sind uns die Vereinigten Staaten so nah wie kein anderes Land außerhalb Europas. Das deutsch-amerikanische Verhältnis wurde in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder von Krisen erschüttert, die wir aufgrund der tief verwurzelten Verbindungen immer wieder überwunden haben. Wir sind sicher: Das kann und wird uns auch dieses Mal gelingen.

Zum Gastbeitrag auf tagesspiegel.de.

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