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(© Foto: Vladislav Gajic - Fotolia)
Michael Hüther in der Wirtschaftswoche Global Gastbeitrag 24. Juni 2013

Schwache stärken

Wer heute von einer grundsätzlichen Verschlechterung der Einkommens- und Vermögensverteilung spricht, irrt, schreibt IW-Direktor Michael Hüther in einer Sonderausgabe der Wirtschaftswoche. Doch zweifellos gibt es Verbesserungspotenzial. Wir müssen die Bildungsinfrastruktur ausbauen, um benachteiligten Gruppen verstärkten Zugang zum Arbeitsmarkt zu verschaffen.

Das Ausmaß der Verteilung von Vermögen und Einkommen wird in Deutschland kontrovers diskutiert. Tatsächlich geht es hierzulande jedoch deutlich gerechter zu als vielfach vermutet: Im Gesamtranking des Internationalen Gerechtigkeitsmonitor 2013 belegt Deutschland den siebten Platz und befindet sich im Vergleich der 28 OECD-Staaten damit im vorderen Drittel.

Der Gerechtigkeitsmonitor bildet sechs verschiedene Dimensionen der Gerechtigkeit ab: Bedarfsgerechtigkeit, Leistungsgerechtigkeit, Chancengerechtigkeit, Einkommensgerechtigkeit, Regelgerechtigkeit und Generationsgerechtigkeit. Erstaunlich gut schnitt Deutschland darin bei der Bedarfsgerechtigkeit ab, zu deren Teilindikatoren auch verschiedene Definitionen von Armutsrisiken gehören.

Eine detaillierte Betrachtung der Armutsrisiken in Deutschland zeigt, dass zwischen 14 und 16 Prozent der Bevölkerung relativ einkommensarm sind, je nach zugrunde liegender Datenquelle. Das Einkommen dieses Bevölkerungsteils liegt unter 60 Prozent des Medianäquivalenzeinkommens, also des mittleren bedarfsgewichteten Haushaltsnettoeinkommens.

Von materieller Entbehrung sind aber lediglich fünf Prozent der Bevölkerung betroffen. Nach EU-Definition sind diese Personen aus finanziellen Gründen nicht dazu in der Lage, vier von neun Grundbedürfnissen zu decken. Dieses Maß stellt nicht wie beim Einkommen auf die Ressourcen ab, sondern betrachtet konkret den Lebensstandard.

Auch bei der Altersarmut gibt es keinen alarmierenden Befund. Denn anders als in vielen europäischen Ländern stellt ein hohes Alter in Deutschland kein besonderes Armutsrisiko dar. Bezogen auf das Einkommen, zählen im Jahr 2010 gerade einmal 14 Prozent aller Personen ab 65 Jahren zu den Altersarmen – also etwa so viel wie im Durchschnitt der Bevölkerung.

Deutschland ist also weit davon entfernt, ein Land mit Massenarmut zu werden. Es sind nur wenige Personenkreise von wirklicher Armut betroffen. Dazu gehören Alleinstehende, Personen mit Migrationshintergrund und vor allem Alleinerziehende und Arbeitslose. Diese Personenkreise haben meist Schwierigkeiten, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen oder Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren.

Abgesehen von diesen Befunden, kann auch keine Zunahme der Armut in der vergangenen Dekade konstatiert werden: Die Armutsgefährdungsquote ist, unabhängig von der verwendeten Datenquelle, seit 2005 nahezu unverändert geblieben. Das bedeutet wahrlich nicht, dass in Deutschland gar kein Armutsproblem existiert. Es ist zwar gelungen, den Trend zu mehr Armut, der von Ende der Neunzigerjahre bis 2004 zu beobachten war, zu stoppen. Es ist aber nicht gelungen, die Armutsquote der deutschen Bevölkerung substanziell zu verringern.

Ein signifikanter Abbau der Armutsquote ist nur möglich, indem die betroffenen Personen einen Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten. Hier könnten neben der Sicherstellung eines weiterhin flexiblen Arbeitsmarkts beispielsweise Ganztagsbetreuungsangebote für Alleinerziehende eine große Hilfe sein.

Wird der Fokus auf die Einkommenssituation erweitert, zeigt sich, dass die deutsche Gesellschaft von einer breiten Mittelschicht geprägt ist. Gut die Hälfte der Bevölkerung gehört zur Einkommensmitte und bezieht ein Einkommen zwischen 80 und 150 Prozent des mittleren Einkommens. Auch in längerfristiger Perspektive ist der Bevölkerungsanteil, der zur Mittelschicht zählt, stabil geblieben. Dieser Befund zeigt sich nicht nur aus statistischer Sicht, sondern auch beim Zugehörigkeitsgefühl der Menschen. Bei repräsentativen Befragungen gaben mehr als die Hälfte der Bevölkerung an, sich der Mittelschicht zugehörig zu fühlen. Im europäischen Vergleich befindet sich Deutschland damit im Mittelfeld.

Ein besonders positives Merkmal der deutschen Mittelschicht ist, dass der Großteil recht gut mit dem zur Verfügung stehenden Einkommen auskommt. Nur 14 Prozent der deutschen Mittelschicht gaben an, mit ihrem jeweiligen Einkommen nicht auszukommen. Dies ist nach Schweden (neun Prozent ) und Luxemburg (elf Prozent) der niedrigste Wert.

Zudem verfügt immerhin jeder fünfte Deutsche über ein höheres Einkommen als die Mitte. Bei der zeitlichen Entwicklung der gesamten Einkommensverteilung zeigt sich auch hier keine Verschlechterung – die Verteilung, gemessen am Gini-Koeffizienten, der verfügbaren Einkommen ist in Deutschland seit 2005 unverändert geblieben.

Der aktuelle Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung hat eine heftige gesellschaftliche Debatte über die Verteilung der Vermögen in Deutschland ausgelöst. Die vermögensreichsten zehn Prozent der Bevölkerung besitzen demnach über die Hälfte des Gesamtvermögens, der Anteil der unteren Hälfte der Bevölkerung am Gesamtvermögen liegt dagegen nur bei etwas über einem Prozent.

Betrachtet man aber die Verteilung der Vermögen in Relation zum Einkommen, ergibt sich ein differenzierteres Bild: Die klassische Einkommensmittelschicht verfügt über immerhin 43 Prozent der privaten Nettovermögen. Die Vermögenszahlen im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung beziehen sich allerdings auf das Jahr 2008. Versucht man mithilfe der Erträge aus Vermögen die Entwicklung der Vermögensverteilung bis heute nachzuvollziehen, dann hat die Vermögensungleichheit bis kurz nach der Jahrtausendwende zugenommen. Insbesondere während der Finanzkrise hat die Vermögenskonzentration allerdings wieder deutlich abgenommen.

Auch im Erholungsjahr 2010 ist der Vermögensanteil der Reichen weiter gesunken. Während das Vermögen der Mitte zum großen Teil aus selbst genutztem Immobilienvermögen und privaten Altersvorsorgeversicherungen besteht, spielt in den oberen Einkommensbereichen das Betriebsvermögen eine zunehmende Rolle. Dieses Betriebsvermögen ist dem starken deutschen Mittelstand zugehörig, der sich durch viele Hidden Champions auszeichnet.

Die Kritik, dass das deutsche Steuersystem ungerecht sei und unzureichend umverteile, trifft nicht zu. Im Vergleich mit den anderen Ländern der Europäischen Union wird in Deutschland überdurchschnittlich umverteilt. Die einkommensschwächsten 20 Prozent der Bevölkerung erhalten Untersuchungen zufolge fast die Hälfte, nämlich 46 Prozent ihres Einkommens als Nettotransfer. Diese Umverteilung geht auf der anderen Seite unter anderem mit einem Spitzensteuersatz von 47,5 Prozent einher. Damit rangiert Deutschland hinter Finnland (49,2 Prozent), Großbritannien (50 Prozent) und Frankreich (54,6 Prozent) im Mittelfeld.

Umverteilung ist notwendig und gesellschaftlich gewünscht. Allerdings ist es wichtig, auch hier Maß und Mitte zu wahren. Denn vor jeder Umverteilung steht notwendigerweise die Erhebung von Steuern, und diese führen zu Verzerrungen von Preisen und Entscheidungen sowie schließlich zu ökonomisch ungewünschten Ausweichreaktionen. Die damit einhergehenden volkswirtschaftlichen Kosten in Form von Effizienzverlusten verringern am Ende den zu verteilenden Kuchen.

Das gilt beispielsweise für die gegenwärtig unter anderem von der Sozialdemokratie und den Grünen geforderten Wiedereinführung der Vermögensteuer, wenn diese – wie angesichts der vorliegenden Vorschläge zu erwarten ist – zu einer Substanzbesteuerung der Unternehmen führt. Wird den Unternehmen so die wirtschaftliche Grundlage entzogen, werden massiv Arbeitsplätze, Einkommen und Wohlstand gefährdet. Würden betriebliche Vermögen von der Vermögensteuer ausgenommen, hätte dies bei verfassungsrechtlichen Bedenken einen hohen bürokratischen Aufwand und unerwünschte Ausweichreaktionen zur Folge.

Ein weiteres, oft emotional diskutiertes Thema ist die soziale Mobilität und Chancengleichheit bei Einkommen und beruflichem Aufstieg in Deutschland. Die wichtigsten Faktoren hierbei sind die schulische Ausbildung und die berufliche Qualifikation des Einzelnen. Von den Bundesbürgern, die 1995 mindestens eine abgeschlossene Berufsausbildung und ein mittleres Einkommen hatten, stiegen bis 2007 nur neun Prozent aus der Mittelschicht ab, bei jenen ohne Berufsabschluss waren es dagegen 19 Prozent.

Umgekehrt gelang 55 Prozent der Personen mit Berufs- oder Hochschulabschluss, die 1995 ein geringes Einkommen bezogen, in den folgenden zwölf Jahren der Aufstieg in eine höhere Einkommensklasse. Von den gering Qualifizierten schafften dies 41 Prozent. Im internationalen Vergleich steht die Bundesrepublik bei der beruflichen Qualifikation recht gut da: Im Jahr 2008 hatten nur 15 Prozent der 25- bis 34-Jährigen keine abgeschlossene Berufsausbildung – im internationalen Durchschnitt waren es fast doppelt so viele.

Zudem funktioniert die soziale Mobilität in Deutschland: Inzwischen finden 19,5 Prozent der jungen Leute, die nicht aus einem Akademikerhaushalt stammen, den Weg an die Hochschule. Zu Beginn der Neunzigerjahre waren es erst 15,5 Prozent.

Insgesamt zeigt sich, dass Armut in Deutschland kein Massenphänomen darstellt. Es ist keine Verschlechterung der Einkommensund Vermögensverteilung zu beobachten. Auch bei der Umverteilung und der sozialen Mobilität gibt es keinen Anlass zur Schwarzmalerei.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass es nicht noch Verbesserungspotenzial gibt. Die Bekämpfung von Armut erfolgt am effizientesten durch eine weitere Verbesserung des Arbeitsmarktzugangs für benachteiligte Gruppen und die Unterstützung der sozialen Mobilität durch eine gute Bildungsinfrastruktur.

Kontraproduktiv hingegen war die Einführung des Betreuungsgeldes und wäre alles, was die Flexibilität des Arbeitsmarktes wieder einschränkt.

Zur Sonderausgabe Wirtschaftswoche Global (in Kooperation mit der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft)

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