Der Streit um eine Aufweichung des EU-Stabilitätspakts wirft die Frage auf, ob die öffentliche Hand Schulden machen sollte. In einem Gastbeitrag in der Rheinischen Post argumentiert IW-Direktor Michael Hüther gegen die Staatsverschuldung.
Kann Staatsverschuldung sinnvoll sein?
Die Verschuldung des deutschen Staates hat 2013 ein Niveau von 78,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreicht. Bei vielen anderen Industrieländern ist die Staatsverschuldung noch deutlich höher. Über die letzten vier Jahrzehnte hat sich die Verschuldung der Staaten in Relation zur gesamtwirtschaftlichen Leistungskraft immer weiter erhöht. Das legt die Vermutung nahe, dass trotz überzeugender theoretischer Argumente für eine Kreditfinanzierung des Staates im politischen Alltag einiges schiefgelaufen ist.
Natürlich lassen sich staatliche Investitionsausgaben theoretisch gut begründet durch Kredite finanzieren. Die positiven Effekte erhöhen das Wachstumspotenzial der Volkswirtschaft und verschaffen mehreren Generationen einen Vorteil. Es wäre weder effizient noch gerecht, die Finanzierungslast allein den heutigen Steuerzahlern aufzubürden. Dann wäre mit einem zu geringen Investitionsvolumen zu rechnen. So weit die Theorie. Wäre so gehandelt worden, dann hätte es in mittel- bis längerfristiger Betrachtung nicht zu einem Anstieg der Relation von Schulden zum Bruttoinlandsprodukt kommen dürfen.
Offenkundig ist das nicht der Fall, obgleich der alte Artikel 115 des Grundgesetzes genau diesen Zusammenhang herstellte: Die Investitionsausgaben definieren die Obergrenze der zulässigen Verschuldung. Tatsächlich sind viele staatliche Investitionen nicht produktiv gewesen; so nützt es wenig, in bauliche Infrastruktur - beispielsweise Schulgebäude - zu investieren, wenn nicht zugleich die Lehrerausbildung, die Schüler-Lehrer-Relation, die Autonomie der Schule angegangen wird. Diese Hemmnisse beschränken die Produktivitätswirkung der Sachinvestitionen.
Oft genug ist einfach gegen die ökonomisch fundierte, grundgesetzliche Verschuldungsregel verstoßen worden. Zur Rechtfertigung wurde auf die konjunkturelle Lage verwiesen. Das keynesianische Argument für staatliche Kreditaufnahme zielt auf die Glättung der Konjunktur. Dahinter steht der Befund, dass eine geringere Schwankung der Konjunktur zu einem höheren Wachstumstrend führt, weil die Investoren stabilere Erwartungen bilden können.
Doch so überzeugend auch dieses Argument theoretisch klingt, in der Praxis stellt die antizyklische Verschuldung eine nicht zu überwindende Überforderung der Finanzpolitik dar. Im normalen Auf und Ab des Konjunkturverlaufs kann es schon mangels zeitnaher Informationen, politischer Entscheidungsbedarfe und Wirkungsverzögerungen nicht passgenau gelingen. Vor allem aber mangelt es an der politischen Kraft, im Aufschwung Haushaltsüberschüsse zu erwirtschaften. Über einen Konjunkturzyklus hinweg sollte die Verschuldung ausgeglichen sein.
Freilich haben wir 2009 eine Situation erlebt, in der kreditfinanzierte Ausgabenprogramme Sinn machten: Bei einer tiefen, abrupten und systemischen Krise - also weit entfernt von einer Konjunkturschwankung - kann so erfolgreich gegengesteuert werden. Doch auch dann gilt, rechtzeitig die Kurve zur Normalisierung zu kriegen. Deshalb treten wieder die politischen Erfahrungsargumente gegen staatliche Kreditaufnahme in den Vordergrund. Die Investitionsbedarfe, die in der Infrastruktur (Verkehr, Internet, Stromnetz) identifiziert wurden, sollten über Umschichtungen im Haushalt, aber auch durch die Mobilisierung privaten Kapitals gedeckt werden. Denn die finanzpolitischen Risiken sind wegen niedriger Zinsen, starker Konjunktur und sozialpolitischer Geschenke evident.
Zur Gegenposition von DIW-Chef Marcel Fratzscher auf rp-online.de
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