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Michael Hüther in der Welt Gastbeitrag 15. November 2021

Finanzielle Sanktionen für Impfunwillige

Die Pandemie war hierzulande bislang und weitgehend von großer Solidarität gegenüber Pflegekräften, älteren Mitmenschen und anderen vulnerablen Gruppen geprägt, schreibt IW-Direktor Michael Hüther in einem Gastbeitrag für die Welt.

Gemeint sind nicht die stehenden Ovationen für medizinisches Personal - das war wohl eher ein Ausdruck von Wertschätzung und Dankbarkeit. Auch die Beachtung der Hygiene- und Abstandsregeln dient vor allem dem Selbstschutz und nur mittelbar dem Schutz Dritter. Solidarität kommt vielmehr darin zum Ausdruck, dass die Mehrheit der Bürger akzeptiert, eigene Ansprüche an das Gesundheitssystem zugunsten Schwächerer zurückzustellen und die Kosten der Versorgung von Corona-Patienten gemeinschaftlich zu tragen. Dazu gehört auch, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung sich zunächst gedulden musste, bis er sich hat impfen lassen. Doch Solidarität ist weder eine Einbahnstraße noch kostenlos, sondern ein schützenswertes Gemeinschaftsgut.

Schließlich tragen die Geimpften nicht nur zum Schutz aller bei, sondern gleichzeitig auch die Folgekosten der Ungeimpften. Vor diesem Hintergrund scheint die freie Impfentscheidung immer weniger auf Verständnis der Bürger zu stoßen (Deutschlandtrend), wenn die Konsequenzen dieser Wahl nicht in Selbstverantwortung getragen, sondern ohne Haftungsfolgen der Solidargemeinschaft angelastet werden. Die freie Impfentscheidung ist ethisch fragwürdig und ordnungspolitisch verfehlt. Aus gutem Grund stellt zum Beispiel §1 SGB V in der Gesetzlichen Krankenversicherung dem Solidarprinzip die Eigenverantwortung zur Seite. Versicherte sind demnach "für ihre Gesundheit mitverantwortlich" und sollen beitragen, "den Eintritt von Krankheit und Behinderung zu vermeiden oder ihre Folgen zu überwinden". Immer stärker drängt sich die Frage auf, wie solidarisch es ist, wenn Personen freiwillig auf kostenlose Impfungen verzichten, aber die Konsequenzen im Fall einer schweren Erkrankung durch die Solidargemeinschaft der Beitrags- und Steuerzahler getragen werden müssen.

Es geht nicht um Petitessen oder um vage Hoffnungen auf die Wirkungen der Impfung, sondern den klaren Befund, dass dadurch schwere Verläufe maßgeblich verhindert werden. Deshalb und wegen der gesellschaftlichen Kosten exponentiell verlaufender Pandemiewellen (Lockdown-Schäden, Bildungsverluste u.a.) ist dieser Schritt zur Sicherung des Solidarprinzips gut begründbar. Die gesellschaftlichen Kosten des freiwilligen Impfverzichts sind durchaus beachtlich.

Allein die direkten medizinischen Behandlungskosten eines stationären Krankenhausaufenthalts wegen Covid-19 betragen durchschnittlich über 10.000 Euro, im Fall eines schweren Verlaufs mehr als 38.000 Euro. Hinzu kommen Kosten für Rehabilitationsmaßnahmen und langfristige medizinische Folgen, die noch unabsehbar sind. Weitere Kosten ergeben sich aus dem entstehenden Flaschenhals in der stationären Versorgung und der Warteschlangenbildung in der Regelversorgung. Auch die Wiedereinführung kostenfreier Tests bleiben momentan der Gesellschaft überlassen. Kosten entstehen nicht zuletzt auch den Unternehmen durch Ausfall der Beschäftigten und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Von den Schülerinnen und Schülern ganz zu schweigen, droht ihnen doch mit jeder neuen Infektionswelle ein weiterer Bildungsausfall durch Quarantäne oder Schulschließungen.

Aufgabe der Politik wäre es jetzt, die Solidarität der Mehrheitsgesellschaft nicht überzustrapazieren, sondern zu schützen. Und dazu können ökonomische Anreize einen wertvollen Beitrag leisten. Schon heute können Krankenversicherungen einen Gesundheitsbonus an Versicherte ausschütten - für den Besuch im Fitnessstudio, die Teilnahme an Gesundheitskursen oder auch an Schutzimpfungen gegen Krankheiten. Solch eine finanzielle Ermunterung zur eigenverantwortlichen Gesundheitsvorsorge ließe sich für Coronaimpfungen etwa durch eine Impfprämie verstärken. Angesichts von rund 60 Millionen Geimpften in Deutschland könnten allerdings Kosten im zweistelligen Milliardenbereich entstehen. Man könnte den einmaligen Sonderbeitrag für die Refinanzierung an die gesetzlichen Kassen für Geimpfte anrechnen, sodass der Anreiz zur Impfung wirksam bleibt. Andere Gesellschaften gehen da rigoroser vor und nehmen freiwillig Ungeimpfte in die finanzielle Verantwortung. Man muss nicht, wie in Singapur, die Krankenhauskosten vollständig den ungeimpften Corona-Patienten anlasten.

Aber die Konsequenzen, die aus der Entscheidung gegen eine Impfung resultieren, können sehr wohl den Individuen zugeordnet werden - beispielsweise über höhere Versicherungsbeiträge für Ungeimpfte oder Selbstbehalte. Impfverweigerer (ohne medizinische Indikation) würden so wegen der aus ihrem Verhalten resultierenden externen Effekte auf andere und das Gesundheitssystem finanziell sanktioniert. Offenkundig schätzen die Betreffenden das Risiko von Covid-19 gering, der finanzielle Schaden bei Eintritt sollte aber so groß sein, dass starke Anreize für eine Impfung wirken. Impfverweigerer würden nicht aus dem Gesundheitsschutz herausgenommen, sondern nur aus dessen solidarischer Finanzierung. Natürlich, das geht erst einmal nur in der Gesetzlichen Krankenversicherung. Der damit verbundenen teilweisen Abkehr vom Solidarprinzip steht aber das Schutzinteresse der gesamten Solidargemeinschaft vor übergebührlicher Inanspruchnahme entgegen.

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