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(© Foto: hohl/iStock)
Michael Hüther auf n-tv Gastbeitrag 22. Februar 2017

Schulz und die Agenda 2010: Es kann nicht sein, was nicht sein darf

Der künftige SPD-Chef und Kanzlerkandidat Martin Schulz will die Agenda 2010 korrigieren. Die Korrektur von Fehlern, die keine waren, kann allerdings nichts Sinnvolles erbringen. Ein Gastbeitrag von IW-Direktor Michael Hüther auf n-tv.de.

Die Agenda 2010 ist von Anfang an Anlass vielfältiger Dispute gewesen. Dabei war ihre prinzipielle Notwendigkeit angesichts der katastrophalen Arbeitsmarktlage und des anämischen Wachstums in Deutschland zu Beginn des neuen Jahrtausends für die Fachleute unbestritten. Die Bundesbank, aber vor allem der Sachverständigenrat mit seinem Jahresgutachten 2002 ("Zwanzig Punkte für Beschäftigung und Wachstum") hatten deutlich gemacht, wie eine angemessene wirtschaftspolitische Reaktion aussehen könnte. Es wird heute gerne vergessen, wie es damals um die deutsche Volkswirtschaft stand. Nach einem Kurzzeithoch bei der Beschäftigung im Jahr 2001 war diese bis 2005 auf 38,82 Millionen Menschen zurückgegangen und die Arbeitslosigkeit auf 4,86 Millionen angestiegen.

Nun wird niemand behaupten wollen, der im Jahre 2005 einsetzende und durch die Krise 2009 nur kurz moderierte Aufschwung am Arbeitsmarkt sei allein der Agenda 2010 zuzurechnen. Aber ohne sie wäre er nicht so dynamisch ausgefallen. Zusammen mit einer zuvor schon stärker beschäftigungsorientierten Lohnpolitik und der erfolgreichen Internationalisierung der unternehmerischen Wertschöpfungsketten kam es so zu einem seit 2005 nahezu ungebrochenen Aufbau an neuen Jobs. Zum Jahresende 2016 waren 43,54 Millionen erwerbstätig und im Januar 2017 immerhin nur noch 2,78 Millionen registriert arbeitslos.

Waren 2005 rund 69 Prozent der Menschen im erwerbsfähigen Alter erwerbstätig, so sind es heute 78 Prozent. In Europa hat nur Schweden eine noch leicht höhere Erwerbsquote. Und noch nie war bei uns die Erwerbsbeteiligung der Älteren höher als heute. So hat sich die Quote der erwerbstätigen Menschen im Alter von 60 bis 64 Jahren von rund 25 Prozent auf über 50 Prozent mehr als verdoppelt, auch wenn die Rente mit 63 zuletzt dagegen gearbeitet hat. Das zeigt aber, wie es geht und wie es nicht geht, wenn man die Beschäftigung der Älteren erhöhen will. Schließlich hat sich die Quote der Jugendarbeitslosigkeit seit dem Höchststand Mitte 2005 halbiert. Soweit die nüchternen Zahlen vom Arbeitsmarkt.

Dem wird entgegen gehalten, dass die Agenda 2010 ein großangelegtes Verarmungsprogramm gewesen sei. Einerseits seien sogenannte prekäre Jobs auf dem Vormarsch, andererseits habe die Ungleichheit zugenommen. Beides stimmt nicht. Hingegen haben sich beide Phänomene etwa ab Mitte der 1990er Jahre gezeigt, während sie sich ab dem Jahr 2005 stabilisiert haben. So gewann der Niedriglohnsektor nur bis dahin relativ an Bedeutung, ebenso stieg nur bis 2005 die Armutsgefährdungsquote an. Bedeutsam ist der Gewinn an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung von 26,4 Millionen Menschen im Jahr 2005 auf 31,7 Millionen Ende 2016. Im gleichen Zeitraum hat die geringfügige Beschäftigung nur um 500.000 Personen zugenommen. Und der Anteil der Beschäftigten mit einem befristeten Arbeitsvertrag ist in der vergangenen Dekade konstant geblieben.

Realitätsvergessene Kritik

Wenn man diesen Befund betrachtet, fragt man sich, was Martin Schulz treibt, die Agenda 2010 aufzukündigen. Die Wirkungen können es eigentlich nicht sein, oder etwa doch? Gilt etwa, es kann nicht sein, was aus ideologischen Gründen der Linken nicht sein darf? So jedenfalls erscheint dem nüchternen Betrachter der Szene die verbissene und realitätsvergessene Kritik. Glaubt man wirklich, dass man unter den Bedingungen der Globalisierung und des technischen Fortschritts ohne die Reformen der Agenda 2010 hätte volkswirtschaftlich erfolgreich sein können?

Vor allem aber ist nahezu ärgerlich, dass mit diesen seltsamen Vorschlägen die Illusion genährt wird, man könne die verbliebenen Probleme mit solchen gesetzlichen Regelungen lösen. Es wird so der Blick für das eigentlich Notwendige verstellt, nämlich sich in die mühsame Kleinarbeit zu begeben, die sich bildungspolitisch mit den Bundesländern, wohnungspolitisch mit den für die Baulandausweisung zuständigen Kommunen ebenso stellt wie mit der Bundesagentur für Arbeit hinsichtlich der Vermittlungsqualität. Jedenfalls gilt: Die Fehler, die man so reuig beklagt, waren keine. Die Korrektur von Fehlern, die keine waren, kann da auch nichts Sinnvolles erbringen.

Zum Gastbeitrag auf n-tv.de

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