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(© Foto: jacopo manghi - Fotolia)
Michael Hüther im Handelsblatt Gastbeitrag 7. März 2014

Die kraftlose Ökonomie

Russland hat viel von dem Vertrauen eingebüßt, das es durch die mutigen Reformen im Bereich des Marktzugangs einst errungen hatte, schreibt Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, im Handelsblatt. Die Volkswirtschaft ist zu schwach für einen Konflikt.

Politische Konflikte verändern nicht nur kurzfristig die Bedingungen für das wirtschaftliche Geschehen, sondern beeinflussen meist auch die mittelfristigen Aussichten. Dies gilt umso mehr für Volkswirtschaften, die hinsichtlich ihrer Konstitution schon grundsätzlich Fragen aufwerfen. Russland - in der letzten Dekade selbstverständlich mit Brasilien, Indien und China in der dynamischen Bric-Formation mitgeführt - erlebt infolge der Machtdemonstration, die Präsident Putin Richtung Ukraine, aber ebenso an den Westen adressiert, eine Neubewertung seiner ökonomischen Potenz. Die Kapitalflucht dokumentiert ein hohes Maß an Misstrauen. Noch nie waren US-Dollar und Euro für Russen so teuer wie derzeit, und die Moskauer Börse sank Anfang dieser Woche in kurzer Zeit auf den tiefsten Stand seit 2008.

Bereits unabhängig von dieser akuten Verunsicherung hatte sich in den letzten Quartalen der Blick auf die russische Volkswirtschaft wie generell auf die Schwellenländer insoweit verdüstert, als die optimistischen Wachstumsgeschichten so einfach nicht mehr als fortschreibungsfähig erscheinen. Für die Bric-Staaten wird die Aufmerksamkeit derzeit mehr auf die Probleme als auf die Potenziale gerichtet. Mängel im Ordnungsrahmen, Korruption und deshalb ineffiziente Bürokratien verursachen Unberechenbarkeit und begründen damit eine Neubewertung dieser Investitionsstandorte.

Auffällig ist, dass in der Wirtschaftskrise im Jahr 2009 Russland mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um fast acht Prozent unter den Bric-Staaten den schärfsten Einbruch erlitten hatte. Die hohe Bedeutung der Förderung von Erdgas und Erdöl sowie die unzureichende Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie erklären die hohe Abhängigkeit von Weltproduktion und Welthandel.

Trotz der strukturellen Belastung infolge der Rohstoffabhängigkeit ist nicht zu verkennen, dass die Bodenschätze ein wesentlicher Treiber der bisherigen Einkommensdynamik sind. Erreichte das Pro-Kopf-Einkommen im Jahr 2005 nur ein Sechstel des entsprechenden deutschen Niveaus, so hat sich der Abstand bis 2012 halbiert. Mittlerweile verdienen rund 18 Prozent der Russen über 880 Euro, im Jahr 2008 waren es weniger als sieben Prozent.

Nach 2009 hat die russische Volkswirtschaft nicht zur Vorkrisenrobustheit zurückgefunden. Das gilt für den Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts, vor allem aber die Bruttoanlageinvestitionen. Hinzu kommt, dass der öffentliche Sektor expandiert und privates Unternehmertum bedrängt. Bereits seit Mitte des letzten Jahrzehnts sorgt sich die russische Regierung besonders um strategisch wichtige Sektoren wie die Energiewirtschaft und unternimmt dann - wie beim Projekt Sachalin 2 - alles, ausländische Beteiligungen nicht nur zu verhindern, sondern auch bestehende Verträge auszuhebeln.

Mit dieser "neuen Industriepolitik", die mit Verweis auf die Notwendigkeit nationaler Champions begründet wird, hat Russland als Investitionsstandort viel von dem Vertrauen eingebüßt, das es durch die mutigen Reformen im Bereich des Marktzugangs und der Besteuerung nach der Jahrtausendwende errungen hatte.

Diese Mischung aus überkommener sektoraler Industriepolitik und gezielten politischen Prestigeprojekten entspringt einer Tradition, die Modernisierung von oben zu steuern. Die gebotene Aufgabe, Produktion und Export der russischen Volkswirtschaft auf eine breitere Basis zu stellen, wird so nicht zu bewältigen sein. Das nämlich erfordert in größerer Vielfalt private Unternehmen, die im globalen Wettbewerb ihre Position finden können.

Der jüngst erfolgte WTO-Beitritt Russlands könnte zwar Auslandsinvestitionen wieder begünstigen, doch mehren sich zuletzt die Klagen, dass Russland seine eingegangenen Liberalisierungszusagen nicht konsequent genug einhält.

Erschwerend wirkt, dass Russland bei zentralen Wachstumstreibern mit Problemen kämpft. Dies gilt zunächst für das Bildungs- und Innovationssystem. Der Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt liegt mit knapp fünf Prozent deutlich unter dem OECD-Durchschnitt, noch deutlicher ist der Rückstand beim Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE). Gut zwei Drittel aller FuE-Ausgaben werden vom Staat verantwortet, mehr als doppelt so viel wie in der OECD.

Diese Defizite erweisen sich deshalb volkswirtschaftlich als bedeutsam, weil der demografische Trend eine der großen Herausforderungen für Russland darstellt und es deshalb zum Ausgleich einer steigenden Produktivität bedarf. Die Geburtenrate ist mit 1,2 Kindern je Frau sehr niedrig, die Sterberate hoch und die Alterung dennoch beachtlich.

Eigentlich wäre angesichts der "demografischen Krise" eine gezielte qualifikationsorientierte Einwanderungspolitik erforderlich. Es fehlt aber eine Integrationskultur, weil die Zuwanderung überwiegend (und meist illegal) aus ehemaligen Sowjetrepubliken in direkter Nachbarschaft kommt. Russland ist auch kein Nationalstaat, der auf gewachsene Weise Bindungswirkung für die Menschen erzeugt, sondern ein Konglomerat aus vielen Ethnien und Minderheiten. Das darin liegende kreative Potenzial verlangt nach einer neuen Integrationsstrategie.

Eine Antwort, die politisch wie wirtschaftlich perspektivenreich sein kann, ist die Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft als Zollunion, aus der 2015 die Eurasische Union nach Vorbild der EU entstehen soll. Die Vermittlung zwischen Europa und Asien könnte eine verbindende Idee sein. Das aber verlangte von Russland Kooperationsbereitschaft, die aktuellen Gebärden Putins sind dafür eine schwere Belastung.

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