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Michael Hüther in der Welt Gastbeitrag 11. März 2024

Die größte Chance auf ein neues deutsches Wirtschaftswunder

Um in herausfordernden Zeiten widerstandsfähig zu werden, muss sich Deutschland auf seine Stärken besinnen und seine Optionen schneller nutzen. Künstliche Intelligenz ist dafür der Schlüssel, schreibt IW-Direktor Michael Hüther in einem Gastbeitrag für die Welt. Allerdings vermisst er eine gute Strategie.

Das Reden von Bundeskanzler Olaf Scholz über ein neues Wirtschaftswunder hat vor allem Irritation und Verwunderung ausgelöst. Jedenfalls hat es keine Zustimmung erfahren, erst recht keine Begeisterung geweckt.

Zu unbefriedigend ist seit 2019 die gesamtwirtschaftliche Entwicklung – vor allem im Verarbeitenden Gewerbe –, zu schwach sind seit Langem die privaten wie die öffentlichen Investitionen, und zu gering ist das Interesse ausländischer Investoren am Standort Deutschland. Sein Geschäftsmodell – industriebasiert, dienstleistungsergänzt, regional verwurzelt und global vernetzt – kann seine Vorzüge nicht mehr ausspielen.

Stillstand und Rückschritt in der Globalisierung belasten besonders deren Hauptnutznießer Deutschland; zusätzliche Impulse sind von den internationalen Märkten nicht zu erwarten. Die grenzüberschreitende Arbeitsteilung vertieft sich nicht weiter, eher das Gegenteil war zuletzt zu beobachten.

Die demografische Alterung hat sich vom Fachkräftemangel zum umfassenderen Angebotsproblem auf dem Arbeitsmarkt ausgeweitet und beschränkt zunehmend die Potenziale der Unternehmen. Der Transformation zur Klimaneutralität fehlt die instrumentelle und politische Stringenz, um den nötigen Investitionen verlässliche Bedingungen zu setzen. So fürchtet der Wirtschaftsminister nun realistischerweise eine lange wirtschaftliche Schwächephase.

Vor dieser Kulisse versinkt das Bild vom Wirtschaftswunder unvermeidbar und unverzüglich wie in einem Moor der Schorfheide. Dennoch bleibt die Frage, was auf realistische Weise neue Fantasie für ein kräftigeres Wachstum zu nähren vermag. Denn natürlich hat der deutsche Standort unverändert im internationalen Vergleich herausragende Stärken und Potenziale.

Geringe Aussichten auf einen internationalen Klimaclub

In einem breit aufgesetzten Standortindikator (IW-Standortindex) liegt Deutschland bei der Infrastruktur, bei den Aufwendungen für Forschung und Entwicklung, Patenten und Arbeitsbeziehungen, bei der Rechtsstaatlichkeit, Regulierung und wirtschaftlichen Freiheit sowie bei der Marktoffenheit und Wettbewerbsintensität auf vorderen Rängen. Im internationalen Vergleich schlecht ist die Situation bei der Steuerlast, den Energiekosten und den Arbeitskosten, was von den positiven Aspekten kaum mehr kompensiert wird.

Es gibt indes beeindruckende Geschichten unternehmerischer Transformation und regionaler Neuaufstellung. Aber all das fügt sich derzeit nicht zusammen. Der Umbau der Volkswirtschaft zur Klimaneutralität verliert sich im Gestrüpp von CO₂-Bepreisung und regulatorischer Feinsteuerung. Dabei ist unbestritten, dass diese Aufgabe zwar zentral, aber nicht allein über den CO₂-Preis zu erreichen ist.

Vor allem das Skalierungsproblem in neuen Märkten verlangt eine staatliche Intervention auf beiden Marktseiten – CO₂-Preis und Leitmärkten. Klar ist aber auch, dass diese Transformation als nationaler Alleingang weder ökonomisch tragfähig noch ökologisch wirksam ist.

Da die Aussichten auf einen internationalen Klimaclub gering sind und mit Blick auf die Präsidentschaftswahl in den USA nicht größer werden, muss die nationale klimapolitische Verantwortung sich erst recht darauf konzentrieren, die Transformation so effizient – zu geringsten volkswirtschaftlichen Kosten – und so wirksam wie möglich zu realisieren.

Das verlangt eine gezielte Strategie, die auf die Handlungsfähigkeit der Unternehmen und die Verbesserung der Investitionsbedingungen zielt. Damit ist die ganze Palette der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik aufgerufen: angemessene Regulierung, verlässlich gute Infrastruktur, herausragende Bildung, exzellente Forschung.

So, wie es ist, geht es jedenfalls nicht weiter, wenn Deutschland im Wettbewerb um Kapital und kluge Köpfe nachhaltig erfolgreich sein will. Beim Blick auf die demografische Entwicklung wird immer deutlicher, wie sehr die entsprechenden Trends in den großen Wirtschaftsräumen Anpassungslasten begründen.

Hoffnungsträger künstliche Intelligenz

China steht in einer dynamischen Bevölkerungsschrumpfung ohne Perspektive auf kompensierende Zuwanderung; die deflatorischen Vorschatteneffekte sind – vor allem über den Immobilienbereich – zu spüren.

Für die USA wird dagegen schwächeres, aber anhaltendes Bevölkerungswachstum mit günstiger Entwicklung des mittleren Alters (Medianalter) prognostiziert; die Probleme liegen in der sich verschärfenden gesellschaftlichen Segregation sowie Spaltung und der daraus folgenden Destabilisierung politischer Institutionen.

In der EU wird bis Mitte des Jahrhunderts die Bevölkerung stabil bleiben, das Medianalter aber höher liegen als in den USA. Positiv dürfte sich auswirken, dass die regionale Heterogenität sich im Vergleich als weniger spannungsreich und besser gestaltbar erweist.

Der Druck, die Produktivitätsentwicklung zu stärken, erweist sich vor diesem Hintergrund für alle entwickelten oder ambitionierten Ökonomien als zentral. Die chinesischen Anstrengungen im Bereich der generativen künstlichen Intelligenz (KI) mag man auch so einordnen. Jedenfalls liegt hier viel Hoffnung auf Wunder für alternde Gesellschaften.

Tatsächlich erweisen sich die Investitionen in KI als Haupttreiber der deutschen Digitalwirtschaft: Fast 4,5 Prozent Umsatzsteigerung erwartet die gesamte Branche in diesem Jahr, für das Geschäft mit KI-Plattformen könnte das Wachstum sogar 38 Prozent betragen. Deutschlands Digitalwirtschaft erreicht mit einem Marktanteil von vier Prozent international Rang fünf; nach den USA (38 Prozent), China (11,4 Prozent), Japan (4,8 Prozent) und dem Vereinigten Königreich (4,3 Prozent).

Enormes volkswirtschaftliches Potenzial

Eine Befragung der IW Consult zeigt, dass 17 Prozent aller deutschen Unternehmen künstliche Intelligenz einsetzen, bei den Großunternehmen ab 250 Beschäftigten bereits 75 Prozent, in der Industrie 31 Prozent und bei Unternehmen in urbanen Räumen 22 Prozent. Zwei von drei Unternehmen planen in den kommenden fünf Jahren große Investitionen in KI und erwarten deutliche Produktivitätseffekte.

Das volkswirtschaftliche Potenzial liegt – so zeigt die Studie der IW Consult aus dem Herbst 2023 – bei jährlich 330 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung. Das entspricht einem Arbeitsvolumen von fast vier Milliarden Stunden, sodass der demografisch bedingte Verlust bis 2030 dadurch weitgehend kompensiert werden könnte. Zusammen mit einer gesteuerten Zuwanderung, die wirksam auf Integration setzt, kann damit der demografische Druck aufgefangen werden.

Vor allem aber verbinden sich mit KI-Anwendungen Erwartungen, dass durch die Schonung von Ressourcen und die Beschleunigung der Mustererkennung die Anpassungsflexibilität der Volkswirtschaft, aber auch der Gesellschaft zunimmt.

In einer Welt multipler Krisen und vor allem einer neuen Dominanz der Geopolitik über die Geoökonomie müssen alle Länder mehr in Sicherheit investieren; kurzum: Die Betriebskosten des weltwirtschaftlichen Systems steigen an.

Das verursacht eine Verwendungskonkurrenz der Steuereinnahmen, die den Sozialhaushalt unter Druck setzt. Die gesellschaftliche Akzeptanz dafür wird davon abhängen, ob die Leistungspotenziale des Einzelnen durch angemessene Institutionen und Systeme auf gesellschaftlicher und politischer Ebene gestärkt werden.

Schock-Resilienz manifestiert sich in der Fähigkeit eines komplexen Systems wie einer diversen Gesellschaft, auf unvorhersehbare Geschehnisse reagieren zu können und schnell zu alter Handlungsfähigkeit zurückzufinden. Es geht nicht um die Rückkehr zur alten Welt, sondern darum, neue Optionen unter veränderten Bedingungen realisieren zu können.

KI scheint dafür ein Treiber zu sein. Die Nutzung von Machine Learning und Deep Learning für die dynamische und reflexive Erkennung von Wirkungszusammenhängen in einem Meer von Texten und Daten macht den Vorzug der Digitalisierung klar: Die Beherrschung von Komplexität gelingt uns (immer) besser als früheren Generationen.

Erste Erfahrungen sind vielversprechend, wenngleich es nach der ersten Begeisterung auch Ernüchterung gibt. Will das Land die Potenziale dieser Schlüsseltechnologie nutzen, muss zur angebotsseitigen Wirtschaftspolitik eine gute KI-Strategie entwickelt werden.

Der KI-Aktionsplan des Forschungsministeriums nennt Stellschrauben, erkennt den Bedarf an Kooperation und Regulierung. Doch zu wenig passiert, zu wenig werden Anstrengungen der Bundesländer für höhere Schlagkraft gebündelt. Klar aber ist: Forschungspolitik ist Wirtschaftspolitik. Darauf konzentriert sich die Hoffnung für einen stärkeren Wachstumspfad.

Zum Beitrag auf welt.de

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