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(© Foto: Oliver Boehmer - Fotolia)
Michael Hüther und Manfred Jäger-Ambrozewicz in der Börsen-Zeitung Gastbeitrag 18. April 2012

"Die EZB ist naiv"

Die Existenz des Euro sehen Ökonomen trotz der sich wieder verschärfenden Krise im Währungsraum als gesichert. Allerdings müssen sich vor allem die Deutschen auf eine längere Zeit negativer Realzinsen einstellen. Begrenzt ist das Vertrauen in die EZB. Ob sie im Ernstfall wirklich gegen eine anziehende Teuerung ankämpft, sei zweifelhaft.

Geduld forderte Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen WIrtschaft Köln (IW), beim neunten Finanzmarkt-Roundtable von IW, DekaBank und Börsen-Zeitung am Mittwoch in Frankfurt. Man müsse jetzt abwarten, bis der eingeschlagene Reformkurs in den Euro-Krisenländern wirke. Starke neue Impulse von Seiten der Europäischen Zentralbank (EZB) seien nicht mehr zu erwarten, die Geldpolitik stoße allmählich an eine Grenze.

Hüther zitierte den früheren Bundesbankpräsidenten Helmut Schlesinger, der vor kurzem mit Blick auf die Aufblähung der EZB-Bilanz mahnte: "Das sind Dimensionen, die eher an die Kriegsfinanzierung erinnern."

Vor allem in Deutschland rufen solche Äußerungen Inflationsängste hervor. Aus Sicht von Hüthers IW-Kollegen Manfred Jäger-Ambrozewicz nicht völlig zu Unrecht. Er sei nicht überzeugt, dass die EZB es ohne Weiteres schaffe, die von ihr in den Interbankenmarkt gepumpte Liquidität wieder rasch abzuschöpfen, wenn Inflationsgefahren sichtbar werden, sagte Jäger-Ambrozewicz, der derzeit auch eine Vertretungsprofessur an der Universität Marburg innehat. Allein durch ihre beiden Dreijahreskredite an Eurolands Banken im Dezember und Februar hatten die Währungshüter eine Liquiditätsflut von 1 Bill. Euro losgestoßen.

Er habe das Gefühl, dass die Inflationsrisiken in der EZB nicht ernst genommen werden, sagte Jäger-Ambrozewicz. Das erinnere an die Zeit vor zehn Jahren, als die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) zu lange Deflationsgefahren beschwor und den Leitzins nicht erhöhte. Die niedrigen Zinsen wiederum befeuerten damals Amerikas Häusermarkt - das Ergebnis war eine Blase, deren Platzen das globale Finanzsystem in den Abgrund riss. "Die Tauben fliegen schneller als die Falken", sagte der Senior Economist beim IW. Vertreter einer lockeren Geldpolitik zur Konjunkturstimulierung gelten im Notenbank-Jargon als "Tauben", harte Inflationsbekämpfer als "Falken". Aus Sicht des Ökonomen dominieren bei der EZB derzeit offenbar die Tauben. "Die EZB ist naiv", sagte er.

Aus Sicht von Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater wird die Inflation in absehbarer Zeit zwar nicht aus dem Ruder laufen, aber vor allem die deutschen Sparer dürften die durch die Geldpolitik induzierten negativen Realzinsen spüren: Die deutsche Inflationsrate betrug zuletzt 2,5 %, die Umlaufrendite - ein täglich von der Bundesbank ermittelter Durchschnittszinssatz für börsennotierte Bundesanleihen über alle Laufzeiten ab vier Jahren hinweg - lag am Mittwoch bei 1,4 %. Deka-Chefvolkswirt Kater erklärte, dass damit das gesamte deutsche Geldvermögen der privaten Haushalte pro Jahr um einen zweistelligen Milliardenbetrag an Kaufkraft verliere. "Dies wird auch noch eine Zeit lang so bleiben", prophezeite Kater.

Den Vorwurf, durch ihre lockere Geldpolitik zusammen mit der Fed weltweit die Rohstoffpreise und die Instabilität in Schwellenländern zu treiben, wiesen indes alle drei Volkswirte zurück. Sie stützen damit Draghi, der sich in den vergangenen Wochen entsprechende Vorwürfe etwa aus Brasilien oder Südkorea gefallen lassen musste.

Sollte die in den Industrieländern losgetretene Liquiditätsflut auf die Entwicklungs- und Schwellenländer überschwappen, könnten diese zum Beispiel durch eine Flexibilisierung ihrer Wechselkurse gegensteuern. Auch makroprudenzielle Regulierungsansätze könnten helfen, ein Überhitzen der Wirtschaft zu vermeiden, etwa höhere Eigenkapitalanforderungen an die Banken oder wie in der Türkei höhere Mindestreservepflichten.

Regulierungsbedarf sehen die Volkswirte auch im Euroraum. IW-Chef Hüther kritisierte dabei den derzeitigen Regulierungsansatz. Er sprach sich dafür aus, die Risikogewichtung bei der Ermittlung des regulatorisch notwendigen Eigenkapitals der Banken zu hinterfragen. Volkswirtschaftlich bringe dieser Ansatz keinen großen Vorteil, so Hüther. Besser sei eine einzige Eigenkapitalquote, bei deren Bestimmung die Banken keinen Spielraum haben. Die derzeit geltenden Regeln ("Basel II") liefen letztlich auf eine "Selbstregulierung der Banken" hinaus, weil diese zur Bestimmung der Risikogewichtung eigene Modelle einsetzen könnten. Hüther sprach von einer "Optimierungseuphorie", die bei der Verabschiedung von Basel II geherrscht habe.

Kurzfristig müssten nun vor allem die Banken rekapitalisiert werden. Er forderte, mit den Mitteln des Euro-Rettungsschirms die 29 systemrelevanten Institute der Eurozone zwangsweise zu rekapitalisieren, so dass diese die höheren Eigenkapitalanforderungen der Europäischen Bankenaufsicht EBA rasch erfüllen. Den Banken fehlten noch 106 Mrd. Euro, um die von der EBA bis zum Stichtag 30. Juni 2012 gesetzten Eigenkapitalanforderungen zu erfüllen, erklärte Hüther.

Aus Katers Sicht hat die jüngste Liquiditätsflut der EZB die Lage im Bankensektor sogar verschärft. Schließlich hätten die Banken dadurch einen Anreiz erhalten, Staatsanleihen aus Krisenländern zu kaufen, deren Wert aber mittlerweile schon wieder gesunken sei. Spätestens wenn die EBA einen weiteren Stresstest durchführe, bei der auch das Bankenbuch der Kreditinstitute getestet wird, könne dies der EZB auf die Füße fallen. Hüther sagte deshalb: "Das Bild der dicken Bertha passt, weil die Streuverluste einigermaßen groß sind." EZB-Präsident Draghi hatte die 1 Bill. Euro schweren Tender jüngst als "dicke Bertha" bezeichnet. Zuvor hatten viele Ökonomen den Einsatz der "Bazooka" verlangt und damit nach dem Vorbild der Fed umfangreiche Staatsanleihenkäufe, finanziert durch die Notenpresse, verlangt .

Trotz dieser teils negativen Sicht malten die Experten von IW und Deka nicht völlig schwarz. Im Gegenteil. Ein Scheitern des Euro schlossen sie aus, schon weil der politische Wille zum Erhalt der Währungsunion dafür zu groß sei. "Der Euro ist gesetzt", sagte Kater.

Es gebe zudem auch eine Reihe positiver Entwicklungen. Hüther wies wiederholt darauf hin, dass die Leistungsbilanzdefizite in allen Krisenländern zuletzt zurückgegangen seien. Die Akteure an den Finanzmärkten sollten sich nicht verunsichern lassen, "auch wenn eine Defizitquote mal etwas höher ausfällt" als anvisiert.

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