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(© Foto: Tryaging/iStock)
Michael Hüther im Handelsblatt Gastbeitrag 20. Februar 2017

Im Fadenkreuz: der Überschuss

Die deutschen Exporterfolge werden im Ausland kritisch beäugt. Doch wer die Politik zum Handeln auffordert, muss gute Gründe haben. Protektionismus muss sich jedenfalls Deutschland nicht vorwerfen lassen. Ein Gastbeitrag im Handelsblatt von IW-Direktor Michael Hüther.

Der hohe Überschuss in der deutschen Leistungsbilanz ist Anlass für vielfältige ökonomische Reflexionen. Wirtschaftspolitischer Handlungsbedarf wird aus der Behauptung abgeleitet, dieser Überschuss schade wahlweise uns, anderen oder allen. Der Eindruck wird genährt, die außenwirtschaftliche Position der Bundesrepublik sei Folge zielgerichteten, konkludenten Handelns, und ihre Korrektur bedürfe nur des makropolitischen Willens, wahlweise der Lohnpolitik oder der Finanzpolitik.

In einer Vorstellungswelt, die von Saldenbetrachtungen geprägt ist, nur homogene Güter kennt und die These zugrunde legt, dass Wechselkurse, Löhne und Preise vollständig flexibel sind, ist ein persistenter Überschuss (respektive Defizit) in der Leistungsbilanz nicht plausibel.

Die Anpassungspfade sind über Aufwertung, Preis- und Lohnreaktion überzeugend beschreibbar. Auf links gewendet findet man diese Argumentation in dem Hinweis auf den aus deutscher Sicht schwachen Euro zur Erklärung des Leistungsbilanzüberschusses. Interessanterweise ist dieser bezogen auf den Euro-Außenwert robust. Ebenso kann man auch bei anhaltender Aufwertung - wie die Schweiz mit noch höherer Exportquote - einen steigenden Leistungsbilanzüberschuss haben. Die simple Modellwelt hilft nicht.

Weitet man den Blick auf die Kapitalbilanz als - bei liberalisiertem Kapitalverkehr - Spiegelbild der Leistungsbilanz, dann erscheint das Konzept außenwirtschaftlichen Ungleichgewichts grundsätzlich als fragwürdig. Denn dem Überschuss hier steht das Defizit dort gegenüber.

Man kann gut begründen, dass die Kapitalbilanz wegen der längeren Fristigkeit der ihr zugrunde liegenden Transaktionen dominiert und den Takt vorgibt. Der Anstieg der deutschen Sparquote seit 2000 um 5,5 Prozentpunkte und die gleichzeitig um 4,5 Prozentpunkte gesunkene Investitionsquote erklären besonders das steigende Kapitalbilanzdefizit. Das rückt die demografische Alterung als Erklärung in den Fokus.

Offenkundig gibt es längere Phasen, in denen Volkswirtschaften relativ robust Nettokapitalimporteur - wie die USA - oder Nettokapitalexporteur - wie Deutschland - sein können, und das auf dem Weg zu einer vergleichbar guten Arbeitsmarktsituation, wie sie für beide Länder mit einer Arbeitslosenquote von rund fünf Prozent derzeit gilt. Die Behauptung, die deutschen Auslandsinvestitionen seien weniger ertragsbringend, widerlegt partiell eine Analyse der Deutschen Bundesbank. Aber selbst wenn nicht, so wäre darin kein Marktversagen zu sehen, das die Wirtschaftspolitik forderte.

Häufig vorgetragen wird das Argument der Wettbewerbsfähigkeit, das meist im nahezu ideologischen Streit darüber zerlegt wird, ob ganze Volkswirtschaften überhaupt wettbewerbsfähig sein können oder nur Unternehmen. Jedenfalls motiviert dies die Frage, in welchem Maß die Position im volkswirtschaftlichen Strukturwandel und damit die erreichte Spezialisierung in der globalen Arbeitsteilung einen Erklärungsbeitrag für die deutsche Leistungsbilanz leisten können.

Hierzu ein paar Beobachtungen: (1) Volkswirtschaften mit einem hohen Industrieanteil weisen tendenziell einen Überschuss in der Leistungsbilanz auf. (2) Die deutsche Exportquote hat sich seit Anfang des Jahrtausends nahezu kontinuierlich von 25 auf 46 Prozent erhöht; seitdem hat sich die Divergenz von Exporten und Importen ausgebildet. (3) Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss (bezogen auf das BIP) weist einen hohen Gleichlauf mit der globalen Investitionstätigkeit auf. (4) Während die Schwäche der deutschen Inlandsnachfrage 2001 bis 2005 die Importe gebremst hat, hat sich trotz einer seit fünf Jahren zunehmend dynamischen Inlandsnachfrage der Leistungsbilanzüberschuss nicht verringert. Das liegt an der Entlastung durch den Ölpreis, vor allem aber an der starken Exportdynamik.

Wer die Politik zum Handeln auffordert, der muss gute Gründe vorweisen und nicht lediglich - wie der IWF - Abweichungen von der Modellwelt beklagen. Und wer ist eigentlich der Geschädigte? Die Antwort bleibt stets blumig unpräzis.

Natürlich ist es richtig, Dienstleistungssektoren zu öffnen, wo dies sinnvoll ist. Das gilt ebenso für die Behebung der Infrastrukturdefizite. Nur: Das Geld steht zur Verfügung, es fließt nicht ab. Die Vereinfachung der Planungsverfahren, der Ausbau der Planungskapazitäten und der mittlerweile hypertrophe Brandschutz gehören auf den Prüfstand. Vor allem aber: Die Mobilisierung der privaten Investitionen setzt eine entsprechende angebotspolitische Agenda voraus. Protektionismus jedenfalls muss sich Deutschland nicht vorwerfen (lassen).

Zum Gastbeitrag auf handelsblatt.com

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