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Michael Hüther und Ulrich Kater in der Börsen-Zeitung Gastbeitrag 30. Mai 2012

Aus dem Euro eine "richtige" Währung machen

Seit den Parlamentswahlen in Griechenland ist die Ruhe in der Eurozone dahin, schreiben IW-Direktor Michael Hüther und DekaBank-Chefvolkswirt Ulrich Kater in der Börsen-Zeitung. Von Neuem sind die Grundsatzfragen zu stellen.

In jenen Lagern, die immer schon wussten, dass der Euro eine Fehlgeburt war, meint man fast so etwas wie Euphorie zu verspüren: Nun wird dem ganzen Zauber ein Ende bereitet! Unmissverständlich prophezeien Fondsmanager in den USA und Großbritannien den Untergang der europäischen Währung. Alles nur ein Irrtum? Ein großer Fehler sentimentaler Männer, die geprägt von den europäischen Kriegen des 20. Jahrhunderts das Friedensprojekt europäische Integration absichern wollten?

Die Kritik und die Zweifel haben viel für sich. Noch nie hat eine Währungsunion selbständiger Staaten länger funktioniert. Die Divergenzen in der Eurozone sind evident, und zwar sowohl wirtschaftsstrukturell als auch politisch. Dennoch bleiben die Kritiker der Rettungspolitik wie des Euro seltsam unbestimmt, wenn es darum geht, was denn eigentlich zu tun sei. Statt Vorstellungen zu entwickeln, wie ein Europa ohne gemeinsame Währung funktionieren könnte, wie es währungspolitisch zu gestalten ist, erschöpfen sich die Vorschläge darin, den Austritt Griechenlands zu fordern.

Politische Kosten schrecken

So naheliegend diese Überlegung und so notwendig das darin liegende Drohpotenzial ist: Wieso sollte Griechenland ein Interesse haben, aus der Währungsunion auszutreten? Währungsreformen waren historisch geboten, wenn eine Währung ihre Glaubwürdigkeit verloren hatte und damit elementare Geldfunktionen nicht mehr erfüllen konnte. Eine neue Währung soll das korrigieren. Jetzt geht es aber darum, dass der Nutzer einer Währung seine Glaubwürdigkeit verloren hat. Dafür soll er sich freiwillig mit einer erwartbar schwachen Währung selbst bestrafen? Die Fragwürdigkeit dieser Idee scheint auch den Griechen langsam zu dämmern, wie Umfragen zeigen. Wer dem Euro ein Ende bereiten will, müsste den Austritt Deutschlands aus der Eurozone fordern. Wir hätten die Aussicht auf eine starke Währung, und die Bundesbank wäre wieder autonom, das Ziel der Preisniveaustabilität zu verfolgen. Doch so mutig sind die wenigsten Euro-Kritiker. Es schrecken indes nicht die fiskalischen Kosten, sondern die politischen: Deutschland wäre auf absehbare Zeit in Europa politisch isoliert, was für die wirtschaftliche Entwicklung nicht ohne gravierende Folgen bliebe.

Eine Währungsunion konstituiert immer auch eine Schicksalsgemeinschaft. Das geht solange gut, wie sich alle einigermaßen an die vereinbarte Geschäftsgrundlage halten oder nach einem Fehlverhalten bereit sind, die Anpassungserfordernisse zu akzeptieren. Die Anpassungen in den Krisenländern laufen, sei es bei den Primärdefiziten, den Arbeitskosten und Preisen oder bei den Exporten, freilich nicht mit der von den Kapitalmärkten gewünschten, sondern in der Politik möglichen Geschwindigkeit. Die fundamentale Ablehnung des Euro etwa an den angelsächsischen Finanzplätzen erklärt sich allerdings - abgesehen von den eigenen geschäftlichen Interessen - vor allem aus einem Grund: Es gibt beim Euro keinen zentralen Fiskalsouverän. Solch eine Währung erfreut sich an der Wall Street einer Beliebtheit und Glaubwürdigkeit wie hierzulande etwa amerikanische Autos.

Daher gehen zurzeit die Sanktionen der Kapitalmärkte gegen die Euro-Mitgliedstaaten über die Bestrafung des bisherigen makroökonomischen Fehlverhaltens hinaus, und daher rühren die Zweifel am Fortbestand der gemeinsamen Währung. Die Anpassungsanstrengungen in diesen Ländern sind zwar unvermeidbar, um die jetzige Krise zu überwinden, doch nicht hinreichend, um langfristig die Kapitalmärkte mit dem Euro zu versöhnen, weil sie die "Existenzfrage" nicht beantworten. Erforderlich sind nach den unmittelbaren Reparaturarbeiten an den größten Einsturzstellen in Griechenland und anderen Peripheriestaaten institutionelle Reformen in der Währungsunion.

Vertiefung der Integration

Dafür ist mit dem "New Fiscal Compact" im März ein wichtigerer Schritt getan worden, als das viele zurzeit wahrhaben wollen. Denn damit wurden nationale Souveränitätsrechte faktisch aufgegeben. Allerdings war das auch der vorerst definitive Schritt, kommt diese Souveränitätsaufgabe doch einer Überdehnung der in den Verfassungen der Mitgliedsstaaten gegebenen Spielräume sehr nahe. Jedenfalls ist unter den gegebenen nationalen Verfassungen eine weitere Vertiefung der fiskalischen Integration oder gar eine politische Union nicht vorstellbar.

Wir müssten - das sollten ehrlich all jene sagen, die von der politischen Union schwärmen - uns vielfach erst neue Verfassungen geben. Derzeit kaum vorstellbar. Dies bedeutet aber, dass wir kurz- und mittelfristig weitere institutionelle Reformen für die Finanzpolitik, den Kern demokratischer Legitimation, nicht erwarten können. Es muss deshalb um die glaubwürdige Umsetzung des neuen Fiskalpaktes gehen, insbesondere um die strenge und sanktionsbewehrte Budgetaufsicht durch die EU-Kommission. Handlungsfähigkeit wird auch mit der indirekten Aufstockung des ESM durch die Weiterführung der EFSF signalisiert.

Was bleibt zu tun? Griechenland muss als Sonderfall isoliert werden. Notfalls müssen die anderen Euro-Staaten trotz der zu erwartenden Kosten die Kreditprogramme stoppen und damit den Austritt provozieren, um eine nichtkooperative Strategie der Griechen auszubremsen. Dieser nach Nichteinhaltung der griechischen Zusagen legitime Vorgang wäre damit zu begründen, dass ein Versagen der Kooperation der Mitgliedschaft in der Währungsunion die Geschäftsgrundlage entzieht.

Entscheidend für die kommenden beiden Jahre ist die Disziplin und Beharrlichkeit in Portugal und Spanien. Derzeit gibt es hier keinerlei Anlass zum Zweifel, was sich darin zeigen wird, dass Portugal ohne viele Diskussionen eine notwendige Verlängerung der Kredithilfen erhalten wird. Jeder Tag, den die Anpassungsprogramme diszipliniert weiterverfolgt werden, bringt den Zeitpunkt ihrer sichtbaren Erfolge näher. Solche Erfolge stärken die Grundlage für eine andere Perzeption des Euro durch die internationalen Kapitalmärkte. Dazu bedarf es keiner neu zu erfindenden Wachstumsstrategien, denn die Ursachen der Krise in den Defizitländern haben mit zu viel billigem Geld bei zu geringerer Produktivität zu tun; Deregulierung, Innovation und Wettbewerb sind die Stichworte für die notwendige angebotspolitische Agenda. Die angelaufenen Anpassungen belegen dies.

Am Ende wird der Euro ohne "Europäer" nicht überleben können. Das ist auch sein größtes Problem: Die fundamentale Ablehnung durch angelsächsische Investoren sowie die besserwisserische und perspektivlose Kritik europäischer Skeptiker sind lauter zu vernehmen als jene Versuche, die Bedingungen einer gemeinsamen Währung und einer Weiterentwicklung der politischen Integration in einem gemeinsamen Lernprozess zu rekonstruieren.

Natürlich kam der Euro zu früh, nämlich vor einer weiter gehenden politischen Integration, und natürlich würde die europäische Zusammenarbeit mit einer Aufgabe des Euro nicht zum Erliegen kommen, wenngleich der politische Schaden sowie die Unsicherheit, wie es weitergeht, immens wären. Wer darüber hinaus der Auffassung ist, dass die Nationalstaaten alter Prägung die "natürliche Daseinsform" der europäischen Bürger sind, wer Einzahlungen in das politische Projekt Europa intuitiv höher bewertet als die damit verbundenen Vorteile, der hat anschauliche Argumente auf seiner Seite. Aber wer so argumentiert, der muss offen für die Aufgabe des Euro plädieren - so teuer sie auch sei - und für eine Rückkehr zum Status quo ante sein oder eine andere Alternative vorschlagen. Es ist langsam ermüdend zu hören, was alles nicht geht. Wir wollen wissen, was und vor allem wie es gehen könnte.

Klappen könnte es nach unserer Meinung auf dem Weg, den Europa jetzt eingeschlagen hat: Kredite gegen Reformen. Dabei muss die Konsolidierung in einen realistischen Zeitrahmen gestellt werden.

Sanktionsmacht für den ESM

Die Pläne können zeitlich gestreckt werden, wenn die europäische Wirtschaft in die Rezession fallen sollte. Die Europäische Kommission erhält mehr Kompetenzen bei der Überwachung der Finanz- und Wirtschaftspolitik. Auch der ESM muss über ausreichende Befugnisse bei der Durchsetzung von Reformprogrammen verfügen. Investitionen in Infrastruktur können ausgebaut und durch die europäischen Kohäsionsfonds finanziert werden.

Solange an den Kernproblemen mangelnder Wettbewerbsfähigkeit ernsthaft gearbeitet wird, kann die Europäische Zentralbank diesen Prozess mit ihren Instrumenten unterstützen. Und eine politische Initiative zur Klärung der Bedingungen für eine Vertiefung der politischen Integration ist die Voraussetzung dafür, aus dem Euro eine "richtige" Währung zu machen. Diese Währung würde dann an den internationalen Finanzmärkten nicht belächelt, sondern als Konkurrent geachtet und gefürchtet.

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